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Die iBox der Pandora

Prometheus brachte der Menschheit das Feuer. Steve Jobs steuerte das iPhone bei. Zeus rächte sich mit der Box der Pandora. Was aber befindet sich in ihrer iBox?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Pandora
Foto: Noel Nichols by Unsplas

Vor rund einer Million Jahren machten sich unsere Vorfahren das Feuer nutzbar. Dies gilt zu Recht als entscheidender Meilenstein in der Menschwerdung des Homo Erectus. 

Es muss dies der Zeitpunkt gewesen sein, als - gemäß griechischer Mythologie - der Titan Prometheus den Göttern das Feuer entwendet und zu den Menschen bringt. Zur Strafe fesselt ihn Zeus an einen Felsen und ein Adler frisst ihm bei lebendigem Leibe die Leber aus dem Körper. Immer wieder wächst diese nach und immer wieder kommt der gefräßige Adler. Schließlich wird Prometheus von Herakles mit Pfeil und Bogen von der immerwährenden Qual erlöst.

Doch Zeus kann den Diebstahl nicht vergessen und schickt zur Rache die aus Lehm geformte Pandora zu den Sterblichen. Pandora wird von den anderen Göttern üppig mit Schönheit und Talenten beschenkt, so dass aus ihr ein unwiderstehlich verführerisches Wesen wird. Aber noch eines gibt Zeus diesem liebreizenden Wesen mit: die Büchse der Pandora.

In dieser Büchse befinden sich sämtliche Laster und Übel, die bis dahin noch nicht in der Welt sind. Zeus gibt Pandora folgende Weisung mit auf den Weg: Die Büchse sei ein Geschenk an die Menschen und diese dürften die Büchse niemals öffnen.

Epimetheus - der Bruder von Prometheus - erliegt den Reizen Pandoras und nimmt sie zu seiner Frau. Sofort nach der Hochzeit wird die Büchse geöffnet und so kommt all das Leid und Mühsal - unter dem wir bis heute leiden - über die Menschheit.

 

Das iPhone als mystisches Objekt

Eine Million Jahre später, am 09. Juni 2007 stellt Steve Jobs in San Francisco das erste iPhone der staunenden Welt vor. Der sich seitdem immer wieder wiederholende Hype beim Verkaufsstart einer neuen iPhone-Generation hat je nach Leseart durchaus hysterische oder mystische Züge. iPhone-Jünger stürmen am Tag x die Applegeschäfte und tragen in Ekstase das neueste iPhone wie eine Monstranz aus dem Laden. Das iPhone scheint auf große Teile der Menschheit eine ähnlich verführerische Wirkung zu zeigen wie das einst Pandora auf Epimetheus tat. Und tatsächlich ist das aus seltenen Erden geformte Wundergerät üppig mit Design und Funktion bestückt ganz so wie es einst Pandora war.

Nun scheint es fraglich, ob die Entwicklung des iPhones eine ähnliche kulturgeschichtliche Bedeutung hat wie es die Nutzbarkeitsmachung des Feuers darstellt. Tatsache ist, dass das iPhone und sein androider Bruder mittlerweile milliardenfach in unserer Welt sind und das Leben einer ganzen Generation (und wahrscheinlich auch der kommenden Generationen) verändert haben.

Wir kommunizieren anders, wir recherchieren anders, wir informieren uns anders, wir lernen anders, wir wirtschaften anders, wir leben Beziehungen anders, … als dies die Generationen vor uns getan haben. Mit unserem ständigen Begleiter in unserer Hosentasche/Handtasche tragen wir digitale Rechenleistung mit uns, die vor wenigen Jahren noch ganze Hallen füllte. Unser Smartphone verwaltet unser Geld, es sagt uns wie wir von A nach B kommen, es leitet uns zur besten Pizza “in town” und checkt für uns, wie gut wir mit einem potentiellen Partner “matchen”. Unser digitaler Assistent versorgt uns zielsicher mit Informationen, die unseren Interessen entsprechen und erledigt im Hintergrund Aufgaben für uns. Ganz nebenbei unterhält uns dieser Alleskönner mit Musik, Videos und Spielen. Und mit einem Klick halten wir wichtige Momente in unserem Leben fest und archivieren sie für die Ewigkeit in Clouds und sozialen Medien. “Always on” heißt das Zauberwort und mittels Smartphone und Facebook verschwimmen und verschwinden die Grenzen zwischen Individuum und den unendlichen Weiten des Internets. Everybody goes virtual.

Der Erfolg der sozialen Medien ist eng verbunden mit dem Aufstieg der Smartphones. Ich selbst tingelte noch vor ein paar Jahren durch die Lande und verkündete in Vorträgen die Versprechen von Facebook und Co. Sie würden zu einer Demokratisierung der veröffentlichten Meinung, der politischen Meinungsbildung und letztlich zu einer Stärkung der Demokratie führen, davon war ich überzeugt und dafür habe ich geworben. 

Nun ist es nicht so, dass die “digitale Revolution” nicht objektiv viele Vorteile und Möglichkeiten schafft, die es ohne sie nicht gäbe. Wäre ich nicht weiter davon überzeugt, dann würde ich meine Brötchen nicht mehr in der Digitalisierungsbranche verdienen. Aber über die Potentiale und die Möglichkeiten der Digitalisierung gibt es an anderer Stelle viel Wahres zu lesen. 

So wie uns das Feuergeschenk des Prometheus die Büchse der Pandora bescherte, wurde  uns durch die schöpferische Tat von Steve Jobs mit dem iPhone auch die iBox der Pandora frei Haus geliefert.

 

Ein geflügeltes Pferd übernimmt die Kontrolle

Eine weitere Figur aus der griechischen Mythologie begegnet uns, wenn wir nachsehen was sich neben vielen anderen Dingen in der iBox der Pandora befindet: Pegasus - das geflügelte Pferd, dieses Mischwesen aus Pferd und Vogel, Sohn von Poseidon und Medusa. Oder viel profaner: Spionagesoftware, entwickelt vom israelischen Unternehmen NSO. Zwar wird das Unternehmen nicht müde zu beteuern, dass die Software nur zur Überwachung von Terroristen und Kriminellen eingesetzt wird, aber die jüngsten Veröffentlichungen des internationalen Recherchenetzwerks “The Pegasus Project” zeigen eine ganz andere Realität: die Spionagesoftware findet sich auf den Smartphones von Politikern, Bürgerrechtlern, Anwälten und Journalisten. Zu den Kunden gehören Staaten wie Mexiko, Ungarn, Dubai und Saudi Arabien. Nun kann man politisch geteilter Meinung sein, was den französischen Präsidenten Macron anbelangt, dass Macron aber weder Terrorist noch Mitglied der organisierten Kriminalität ist, wird wohl niemand bestreiten und dennoch findet sich seine Telefonnummer auf der Liste möglicher Spähopfer von Pegasus. NSO dementiert vehement.

Pegasus erlaubt es, über nahezu jedes Smartphone auf dieser Welt die Kontrolle zu übernehmen und den persönlichen Begleiter in ein Tag und Nacht aktives Abhörgerät zu verwandeln. Alles was dazu benötigt wird: die Telefonnummer des zu überwachenden Smartphones. Mussten früher Richter überzeugt und dann mühevoll Wanzen in der Wohnung der zu überwachenden Person installiert werden, übernimmt man nun innerhalb von Sekunden die Kontrolle über das Smartphone, Kamera, Mikrofon, Passwörtern und sämtlichen Daten, und wie die Recherchen und die rapid steigenden Umsatzzahlen des israelischen Unternehmens zeigen, wird diese Möglichkeit auch massiv genutzt. 

Man muss wohl davon ausgehen, dass Pegasus so manchen Regimekritiker hinter Gitter gebracht und damit mundtot gemacht hat. Ein weiteres mögliches prominente Opfer ist der saudische Journalist Jamal Khashoggi, der 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde. Aber auch Ungarn hat sich in der Überwachung von Dissidenten und politischen Gegnern hervorgetan.

Pegasus ist ein direkter Angriff auf die demokratischen Rechtsstaaten und besonders bedenklich ist es, dass die Kontrolle über diese Superwaffe im Cyberkrieg in den Händen eines profitorientierten Unternehmens liegt.

 

Die Fiktion von Orwell und die chinesische Realität

Unter staatlicher Kontrolle liegt hingegen die totale Überwachung der eigenen Bevölkerung in China. Auch diese Beigabe findet sich in der iBox der Pandora. Besonders in der chinesischen Provinz Xinjiang, der Heimat der Uiguren, ist die Überwachung mittlerweile total (digital).  Man geht davon aus, dass sich allein in der Provinz der Uiguren mittlerweile ständig mehr als eine Million Menschen in Internierungslagern befinden, weil sie sich nicht gemäß den Vorgaben der chinesischen Zentralregierung verhalten. Der chinesische Präsident Xi Jinping führt das Land mit eiserner Hand und nutzt die digitale Überwachung, um ein Milliardenvolk auf Linie zu halten. George Orwells Dystopie “1984" liest sich geradezu wie Pipifax-Literatur im Vergleich mit der chinesischen Realität.

Hätte die STASI über Pegasus und die chinesische Überwachungstechnologie verfügt wäre die Mauer 1989 wohl nicht gefallen und vermutlich auch bis zum heutigen Tag nicht. Das sollte uns zu denken geben.

 

Echokammern der sozialen Medien

Ein drittes Übel aus Pandoras iBox sind die Echokammern der Sozialen Medien: Verrückte und Verschwörungstheoretiker erreichen plötzlich ein Massenpublikum und ziehen durch die Foren und Channels der diversen Plattformen wie einst der Rattenfänger durch Hammeln. Befeuert werden sie unter anderem durch staatlich gelenkte und finanzierte Desinformationsmedien. Russland hat sich hier in den vergangenen Jahren besonders hervorgetan. COVID-19 und die unselige Diskussion um eine Impfpflicht sind nur der vorläufige Höhepunkt dieses Phänomens. Wahrscheinlich wird es dieser Absatz des Artikels sein, der das höchste Potential hat, als Weckruf für Kommentatoren zu wirken.

Das Bedenkliche an diesem Phänomen: es hat das Potential, die Fronten derart zu verhärten, dass ein gesellschaftlicher Dialog nicht mehr möglich ist. Dies stellt für unsere libertären Demokratien quasi die Bedrohung von innen dar. Ein demokratischer Staat verliert sein Fundament, wenn seine Bürger die Dialogbereitschaft ad acta legen.

Wie ging eigentlich die Geschichte mit der Büchse der Pandora aus? Nun es gibt zwei Versionen davon. Neben den Plagen und Übeln enthielt die Büchse auch die Hoffnung. In der ersten Version der Geschichte wurde die Büchse nach dem Entweichen der Übel geschlossen und die Hoffnung blieb darin gefangen. Die Welt wurde zu einem Ort der Verzweiflung. In der zweiten Version der Geschichte wurde die Büchse ein zweites Mal geöffnet und die Hoffnung konnte entweichen. Die Welt wurde zu einem Ort der Hoffnung und der Zuversicht.

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RomeoSierra A4 Wed, 07/28/2021 - 10:26

Tatsächlich wünsche ich mir schon lange, dass zentralisierte Plattformen wie Facebook und Co, mit denen man mit lächerlichen Geldmitteln 50% der Weltbevölkerung erreichen und beeinflussen kann, viel viel (viel!) stärker reglementiert werden. Dabei geht es nicht um Zensur, sondern um Reichweite. Man müsste statt einem Facebook 50.000 Facebooks haben. Z.B. geordnet nach Regionen, Themen etc. und dort, wo es mich interessiert, bin ich dabei. Das würde es solchen Desinformationskampagnen deutlich schwerer machen...

Wed, 07/28/2021 - 10:26 Permalink
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Alois Spath Sat, 07/31/2021 - 10:43

Auch ich finde, ein lesenswerter Beitrag, der einen interessanten Bogen spannt. Ich vermute auch, dass die modernen Büchsen der Pandora noch einige unerwartete, überraschende und alles andere als angenehme Ingredienzien enthalten.
Was die "Echokammern der sozialen Medien" anbelangt, bin ich eigentlich ganz froh darüber, auch wenn ob der Vielfalt des Angebots eine Überprüfung auf Qualität und Güte nicht immer leicht fällt. Man stelle sich aber andererseits vor, wir müssten uns mit dem Einheitsbrei unserer Hausmedien begnügen!
Ein demokratischer Staat verliert sein Fundament, wenn seine Bürger die Dialogbereitschaft ad acta legen? Einverstanden. Dasselbe geschieht auch im umgekehrten Fall, wenn nämlich der Staat bzw. die Regierung (lokal wie national) jegliche Dialogbereitschaft verweigert, sich dem offenen Diskurs nicht stellt. Das wurde in meinen Augen bisher völlig versäumt, ich vermute sogar, bewusst verweigert.

Sat, 07/31/2021 - 10:43 Permalink
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Alois Spath Sun, 08/01/2021 - 13:07

Da ich kein Haus in Österreich besitze, beziehe ich mich mit dem Begriff Hausmedien auch nicht auf die österreichische Realität, sondern ganz banal auf unsere Südtiroler Medien, welche alle größtenteils dieselben Nachrichten bringen, wobei sie größtenteils die Pressemitteilungen der Sanitätseinheit übernehmen bzw. die Verlautbarungen unserer Politiker in der Regierung brav abschreiben

Sun, 08/01/2021 - 13:07 Permalink