Cultura | Interview

Wir sind was anderes!

Urs Lüthi und Arnold Mario Dall’O in der Galerie Alessandro Casciaro in Bozen (Teil 2)

TEIL 2

Im zweiten Teil dieses Gesprächs erzählt Urs Lüthi aus dem Nähkästchen seiner 20 Jahre andauernden Unterrichtstätigkeit und von der nachlassenden Widerspenstigkeit heutiger KünstlerInnen, Arnold Mario Dall’O wirft einen Blick auf Entwicklungen in der Südtiroler Kunstszene. Abschließend werden Definitionen der Kunst an sich versucht und darüber sinniert, was es ausmacht, ein_e KünstlerIn zu sein.

Salto.bz: Wie hat sich die Kunst und die Kunstwelt in den letzten Jahrzehnten verändert? Und was wird aus der Kunst in Zukunft?

Urs Lüthi: Die Kunst verändert sich nie. Das ist wie mit Liebe machen. Das habe nicht ich erfunden, das hat schon Man Ray gesagt. Liebe machen erfindet man auch nicht neu. Nur die Aspekte, die Mechanismen verändern sich. Aber die Kräfte, warum man Kunst macht, sind immer die gleichen. Da kann man bis zu den Steinzeitmenschen zurückgehen, das glaube ich wirklich. Aber die Attitüden verändern sich natürlich sehr stark. Ich habe 20 Jahre unterrichtet, und ich habe da viel erlebt und gesehen mit jungen Leuten, die Künstler werden, und eigentlich ist es immer dasselbe, um was es geht. Aber der Markt hat sich ganz entscheidend verändert. Das ist ganz gravierend, und auch für die Künstler extrem schwierig: heute muss man als Künstler ein Geschäftsmann oder eine Geschäftsfrau sein. Man muss ganz anders vorgehen. Was ich für mich immer abgelehnt habe - ich bin so ein Fossil, ein Bohemien, dass ich nicht eine Gauloise rauche, ist ein Wunder - ich habe es eigentlich immer abgelehnt, ein Geschäftsmann zu sein. Ich habe nie Kunst gemacht in der Annahme, dass ich einmal berühmt oder reich werde, sondern einfach weil ich das machen musste.

Ich habe selten in den 20 Jahren meiner Unterrichtstätigkeit von einem_r jungen KünstlerIn gehört, dass sie dadurch besser geworden wären. Der erste Punkt war immer, berühmt zu werden. Wenn man es bis 30 nicht geschafft hat, dann macht man was anderes. Es gibt Ausnahmen, aber insgesamt ist es schon so. Da liegt das große Problem für die Künstler heute. Sie werden gezwungen, sich extrem geschäftsbetont zu geben, nicht als Künstler aufzutreten, sondern als Geschäftsleute. Die amerikanische Methode hat schlussendlich weltweit gegriffen. Man muss ein Markenzeichen schaffen, und zwar schnell und möglichst in jungen Jahren, und dann muss man ganz schnell abkassieren, weil es in ein paar Jahren schon wieder vorbei ist. Ich habs aber immer schon gesagt, in den 70er Jahren wusste ich das schon: es wird wie im Popbusiness werden, wo man einen Hit landet - wenn man Glück hat, eine Number One -, und da muss man dann kassieren, sonst hat man Pech gehabt.
Aber ich glaube, dass dies die wirkliche Kunst schlussendlich nicht verändert. Die wirklichen, guten Künstler machen immer nur das, was sie machen wollen. Sobald einer anfängt, nachzudenken darüber, was kann ich tun, damit dies und das usw., kann er sich eh schon die Kugel geben, finde ich.

Das habe ich immer meinen Studenten gesagt: 1. Es gibt immer einen, der noch berühmter ist, oder der noch mehr verdient und 2. Du musst dein Zeug machen, und nicht das, was alle anderen gut finden. Das Zeug, was wichtig wird, ist ja das, was alle anderen abgelehnt haben.
Es ist einfach heute, auf die Schnelle Erfolg zu haben, aber in 2-3 Jahren sind die alle wieder weg vom Fenster. Außer da, wo mit dieser Mixtur von Geld und Business so viel Geld geflossen ist, dass man sie einfach weiter stützen muss. Aber die Zeit ist erbarmungslos. Man muss einfach nur ein paar 100 Jahre dazutun, und dann schaut alles wieder ganz anders aus.

Arnold Mario Dall’O: Mich wundert oft, dass sich jüngere Künstler freiwillig diesem Diktat unterordnen. Ich bin da nicht deiner Meinung, dass sie dazu gezwungen werden, sondern dass sie es schon fast dankbar aufnehmen.

Lüthi: Sie wissen, dass es anders gar nicht geht. Es ist mir auch aber auch immer mehr aufgefallen, dass die jüngere Generation von sich aus weniger widerspenstig ist, als ich es gewesen bin. Die sind angepasster. Meine eigene Tochter, die ist sowas von angepasst, ich könnte manchmal heulen. Die ist zwar wunderbar und alles, aber der bedeutet alles so viel, diese Bürgerlichkeiten und so. Das ist eine Gegenreaktion zu meiner Generation, die ein bisschen rebellischer und antiautoriärer gewesen ist.

Aber es ist schon verrückt: als ich Professor war, waren wir diese Gruppe von Leuten an der Akademie in Kassel. Wir hatten beschlossen, dass wir die starren Klassen auflösen: es gibt einfach keine Klasse mehr, wo man nur malen darf usw. Ich war einer, der das richtig provoziert hat. Ich hab gesagt, ich mach das nicht mit, diese komischen technischen Schubladen. Wir haben uns geeinigt, und alle Professoren machten das dann so. Das ging ein paar Jahre, und es war richtig toll.
Dann kamen jüngere Kollegen, einer nach dem anderen, und die wollten alle wieder ihre Neue Medien-Klasse, der andere wollte eine Klasse für Fotografie usw. Und ich hab gesagt: Seid ihr eigentlich wahnsinnig? Warum wollt ihr das jetzt wieder? Die waren auf einmal wieder so verschult im Denken. Die haben gesagt: ohne einen richtigen Abschluss geht es gar nicht! Und wenn die Leute nicht genug liefern, bis die Basisklasse vorbei ist, dann fliegen sie raus! Und ich hab gesagt: seid ihr wahnsinnig? Wollt ihr es so machen wie in der restlichen Gesellschaft? Wir sind was anderes! Bei uns geht’s um Kunst! Und nicht um Effizienz und um Gewinn.
Wenn bei mir jemand im ersten Jahr nichts geliefert hat, hab ich schüchtern nachgefragt: Du sag mal... usw., und hab vielleicht ein Gespräch gesucht, wobei ich das schon vorher gesucht habe. Aber ich hätte nie jemanden rausgeschmissen, der einfach Zeit braucht. Ich habe oft erlebt, dass Leute gekommen sind und mir gesagt haben: „Wissen Sie, ich bin Ihnen wahnsinnig dankbar, dass Sie mir diese Zeit gelassen haben. Jetzt kann ich mein Zeug machen.“ Meine jüngeren Kollegen hätten das nie zugelassen. Das ist wirklich heute ganz ganz anders. Die Künstler heute denken so wie irgendwelche Geschäftsleute.
Einmal kam der Oberchef von der Uni Kassel und hat gesagt: Ihr verkauft euch so schlecht da unten in der Kunstakademie, ihr müsst so und so... Da haben meine Kollegen gesagt: Wir bemühen uns, wir bemühen uns. Ich hab gesagt: Ne Entschuldigung, aber genau was anderes wollen wir aber nicht. Da hatte ich nachher ein großes Problem mit meinen jüngeren Kollegen, die mir Naivität vorgeworfen haben. Die haben gesagt: „Du bist einfach ein naiver Bohemien.“ Heutzutage geht das nicht mehr. Da wird die Schule abgeschlossen und so.
Das stimmt aber alles nicht. Das wage ich zu behaupten, dass sie sich da irren. Die Kunst hat andere Aufgaben als diese Effizienz.

Dall’O: Ich glaube - und vielleicht klingt das anachronistisch -, ich glaube nach wie vor an die Arbeit. Und nicht an die Netzwerke.


                               Arnold Mario Dall'O: Ohne Titel / Senza Titolo, 2016
 

Lüthi: Ich glaube auch, dass sich das wieder regulieren wird, auch am Kunstmarkt. Es wird nicht ewig so weitergehen, dass Kunst ein Lifestyle-Instrument ist. Daran glaube ich nicht. Sobald wieder etwas kompliziertere Kunst gemacht wird, komplizierter als sie jetzt im Hauptlevel am Markt gemacht wird, dann wird sie nicht mehr solche Summen erzeugen.

Dall’O: Was mich immer wundert ist, dass jüngere Leute immer vom Netzwerken und weiß Gott über was sprechen, als von der Arbeit. Es braucht Zeit für die Arbeit und einen Raum für die Arbeit.

Lüthi: Das lustige ist aber, dass das z.B. in den Siebziger Jahren in  New York absolut schon gang und gäbe war. Ich war 1977 ein Jahr in New York, und alle diese Bekannten von mir, die dort gearbeitet haben, haben eigentlich immer nur genetzwerkt. Die waren jeden Abend auf einer Eröffnung oder einer Party, und tagsüber haben sie damals halt telefoniert anstelle von gesmst oder gefacebookt, und irgendwann nach den Parties haben sie vielleicht dann noch ein bisschen gearbeitet. Mir war damals in den 70ern schon klar, gerade nach diesem Jahr in New York: das ist nicht meine Welt - ich bin ein europäischer Künstler und so will ich auch sein. Ich will lieber ein Außenseiter dieses Marktes sein - bitte nicht völlig vergessen werden -, aber vielleicht eine Figur, wie ein Dieter Roth es gewesen ist. Sagt Ihnen Dieter Roth was? Er war ein großer Schweizer Künstler.

Herr Dall’O, was sagen Sie zu der Entwicklung in Südtirol in den letzten 20 bis 30 Jahren?

Dall’O: Die Entwicklung ist genau dieselbe, die Urs beschrieben hat. Da sind wir in Südtirol nicht weit davon entfernt.

Lüthi: Es ist einfach ruhiger.

Dall’O: Ja, es ist ruhiger, vielleicht. Trotz allem, die Tendenz, die stattfindet, ist eine ähnliche.

Lüthi: Ja, aber der Rudi Stingel ist natürlich inzwischen einfach ein astreiner amerikanischer Kassenschlager. Der hat ja nichts mehr mit hier zu tun, oder irgendeiner Tradition von hier. Das ist amerikanische Marktkunst. Was nichts über die Qualität sagt.

Dall’O: Was mir bei den Jüngeren oft auffällt, ist die Reibung, die entstehen muss, die fehlt mir jetzt vollkommen. Es kommen die Jüngeren nach, und die könnten von der Arbeitsweise her eigentlich schon 50 Jahre alt sein.

Lüthi: Ich denke, da muss man aber aufpassen, weil wir erkennen das nicht immer auf die Schnelle. Die haben einfach eine andere Art. In den ganzen Jahren, wo ich unterrichtet habe, habe ich gesehen: es gibt eh nicht Millionen gute Künstler. Unter diesen Hunderten von Leuten, mit denen ich zu tun hatte in diesen 20 Jahren, da waren mehrere Leute, die richtig wahnsinnig gut waren. Die einfach ihren Weg gehen werden, egal was da kommt, und wie die Kunst sich entwickelt. Das waren einfach gute Leute, das war völlig klar.

Dall’O: Das zahlenmäßige Verhältnis Bevölkerung – Künstler ist in Südtirol relativ gesegnet, es gibt sicher überproportional viele Künstler hier.

Lüthi: Es gibt aber nur wenige, die rausstechen aus dem Durchschnitt. Das ist ein ähnliches Problem wie in der Schweiz. Da gibt es eine unglaubliche Menge an relativ guter Kunst, auch junge Künstler, die sehr unterstützt werden. Es gibt ein extrem hohes Mittelmaß an Qualität, aber so richtig drüber gibt es nicht so ganz viel. Es gibt aber auch nichts, was so ganz mies wäre. Das ist natürlich in diesem wohligen Wohlstandsstaat, in dem wir leben, eigentlich klar.

Herr Lüthi, Sie hatten eine Ausstellung in Meran, die hieß „Art is the better life“. Ist es besser, ein Künstler zu sein als ein Handwerker oder ein Bauer, und was macht es besser?

Lüthi: Nein, das ist damit überhaupt nicht gemeint. Ich glaube, jeder sollte das, was er tut, einfach gut machen. Für mich bedeutet „Art is the better life“,  dass ich glaube, dass die Kunst einfach viel radikaler sein kann und ist als das Leben. Ich bin angetreten in der Meinung, dass die Kunst und das Leben im Idealfall identisch werden könnten, jedoch habe ich sehr schnell gemerkt, dass das ein großer Trugschluss ist. Das Leben kann nie so radikal sein wie die Kunst. Sonst müsste man als Einsiedler leben und sich irgendwo verstecken. Man kann nie so radikal leben wie man Kunst machen kann.
Indem ich Kunst mache, ist mein Leben auch besser: weil ich diese Radikalität einfordern kann an mich selber und mit meiner Arbeit, und nicht ständig kompomissiere überall. Sondern das, was ich meine und denke, radikal ausdrücke. Das kann man im normalen Leben eigentlich nicht. Dazu ist es viel spannender.
Das Leben normalerweise ist relativ langweilig, nicht nur, natürlich nicht. Aber im Verhältnis zu den Abenteuern, die man macht, indem man Dinge tut, von denen man keine Ahnung hatte - Sie sind ja selber Künstlerin -, indem man ständig neu, bei Null wieder anfängt, das ist im Leben überhaupt nicht der Fall oder nur ganz selten. Für mich ist das einfach so eine Überzeugung geworden. Bevor ich diesen Satz geprägt habe, hieß es für mich „Art for a better life“,  Kunst für ein besseres Leben, und dann ist mir aufgefallen: eigentlich ist es nicht das, sondern es ist das bessere Leben.

Und das für die anderen alle auch, oder nur für sich?

Lüthi: Ja, was heißt Kunst? Was ist Kunst? Ich glaube, der eigene Geist ist die Kunst. Kunst ist nicht ein Bild malen. Kunst ist ein sehr sehr weiter Begriff. Kunst ist das persönlichste, was man hat, sein eigener Geist, das was man ausdrücken möchte. Und das kann ein Bauer sein, der sein Feld bestellt, oder ein Schnitzer, ein Handwerker oder ein Koch genauso.

Dall’O: Es geht im Grunde um die Haltung. Das gilt für jeden Beruf.

Lüthi: Es geht um dieses Ausschließliche, dieses Ding so zu machen, dass es anders nicht geht, das meine ich damit.

Dall’O: Ich habe bei Emilio Vedova studiert in Venedig. Eines der Dinge, die mir von ihm geblieben sind, ist ein Satz, den er uns als Proletensohn, der er war, immer eingehämmert hat: „Bildet euch nicht ein, ihr seid etwas Besseres, ihr macht nur euren Job, und den so gut wie möglich. Punkt.“ An das glaube ich nach wie vor. Das hat mit einer Haltung zu tun und mit Verantwortung für den Beruf. Da sollten wir uns als Künstler nicht als was Besseres fühlen.

Lüthi: Wenn man den Satz von mir als das verstehen würde, dass Künstler was Besseres wären, das wäre ganz falsch.

Herr Dall’O, Sie sind immer noch fasziniert von Bildern aller Art?

Dall’O: Bilder aller Art? Nein, Bilder aller Art nicht. Nein, ich wache oft morgens auf und denke mir, eigentlich bin ich sehr privilegiert mit dem, was ich den ganzen Tag tun darf. Und dann kommt nachmittags langsam wieder der Frust. Weil diese Freiheit, die wir haben, birgt gleichzeitig auch eine Verantwortung. Man versucht, das Beste draus zu machen. Tag für Tag. Das erfordert Disziplin, Strenge, Kontinuität. Ich glaube an das, und ich mache es nach wie vor gern. Ich arbeite im Grunde seit meinem 17. Lebensjahr daran. Ich glaube, dass die Aufgabe eines Künstlers ist, mit dem Kopf und mit dem, was er als Verlängerung hat, seinen Händen, zu arbeiten.

Hier der 1. Teil des Gespräches

http://www.ursluethi.com/
http://www.arnoldmariodallo.net/