Das finstere Tal - der neue Alpenwestern
Eigentlich hätte es die Weltpremiere in Bozen geben sollen, nicht im “öden Berlin”, wie Regisseur Andreas Prochazka dem zahlreich erschienenen Publikum gestand. Auch Moderator Rudi Gamper sowie Landeshauptmann Arno Kompatscher sprachen halb ironisch davon, dass die Bozner Premiere schon doch die wichtigste sei. Vor allem die Schnalstaler hörten das gerne, das halbe Tal war angerückt und es musste ein zweiter Kinosaal für die Filmpremiere aufgesperrt werden. An 44 Tagen wurde “Das finstere Tal” gedreht, verteilt auf Winter und Frühjahr. Eine Zeit, in der die 90-köpfige Filmcrew die Gegend um Kurzras im Schnalstal bevölkerten und den Marchegghof zum Set für das Rachedrama umbauten.
Ein Geheimnis liegt in der Luft
Den Film erzählen kann man schlecht, ohne sein Geheimnis im Ansatz zu verraten; ein zweites bringt der Fremde ins Tal. Lange folgt die Kamera dem jungen Greider (Sam Riley) auf seinem Ritt durch die Schlucht, auf die schneeigen Höhen, bis zum Hof des Brennerbauern. Dort muss Greider seinen ersten Wegzoll bezahlen, den sechs Brenner-Söhnen, die arrogant und brutal übers Tal und seine Bewohner herrschen, so wie sie es vom Vater, dem alten Brenner (Hans-Michael Rehberg) gelernt haben.
Die Gesichter bestimmen den Film, die Gesichter sind wie die rauhe Berglandschaft selbst, stoisch, ausdrucksstark, zerklüftet jene der Alten und Bitteren, oder rein, aber kalt, wie das der jungen Luzi, die Erzählerin des Films (Paula Beer). Sie erzählt im Dialekt, einem der Berlinerin angelernten, während die anderen Darsteller ihre knappen Ansagen im echten Bayrisch-Tirolischen machen: “Wos willsch?” fragt der Älteste der Brenner-Buben, Tobias Moretti, den Fremden, und dieser gibt ebenso hart und kurz zurück: “Quartier!” Das sind die Dialoge im “Finsteren Tal” und es braucht auch nicht mehr. Sprechen tut anderes: die Landschaft zum Beispiel, der Schnee, der Wald und die ganze Düsterkeit und erstickende Enge, die dem Film seinen Stempel aufdrücken. Kein klappriger Saloon in einer Western-Wüste kann trostloser sein als diese Holz gewordenen Alpträume älplerisch-archaischer Behausungen.
Altes patriarchales Recht - wer nicht mitmacht, wird kaltgemacht
Großartig gehen Regisseur Prochazka und sein Fotograf mit den Bildern um; sie zeichnen das Porträt einer abgeschnittenen verfluchten Gemeinschaft am Berg, die durch den urpatriarchalen Anspruch auf das “ius primae noctis”, das Recht der ersten Nacht, entwürdigt und hilflos gemacht ist. Der alte Brenner hat seine Söhen gedrillt, wer nicht mitmacht, wird kaltgemacht. Davon erzählt die Vorgeschichte des Films und wie der Fim voranschreitet, erfährt man, warum der Fremde im Tal ist. Beleibe nicht zum Fotografieren allein, auch wenn es eine schöne Beobachtungsmetapher ist.
Als ein Brenner-Sohn beim Holzfällen ums Leben kommt, und das Totenglöcklein das erste Mal anstimmt, kennt man den weiteren Verlauf. Ein Rachefeldzug, dem die Brenner-Söhne wenig entgegenzuhalten haben. Sam Riley hingegen fährt als Greider zu großer Form auf, so groß, dass man sich fragt, warum nicht er, sondern Tobias Moretti den Bayrischen Filmpreis bekommen hat. Ohne Regungen führt Greider seinen Auftrag zu Ende, Leichen pflastern sozusagen seinen Weg.
Die ziemlich gut kalkulierte und umgesetzte Wuchtigkeit der Szenen nützt sich jedoch da und dort ab, hat Hänger und wirkt manchmal ein klein wenig lächerlich, etwa wenn Greider die junge Luzi aus den Fängen der Brenner-Sippe rettet. Toll die Musik, ein rockig-melodischer Klangteppich der entfernt an Neil Youngs Soundtrack für “Dead Man” erinnert.
Dass “Das finstere Tal” das Genre Alpenwestern neu erfindet, ist schon klar, dass sich der Regisseur dabei aber über gewisse Klischees nicht hinaustraute, ist ebenso zu sehen. Umso versöhnlicher der Schluss, der Fremde hat das Tal und seine Bewohner befreit, doch wie Luzi sagt: “Die Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt."