Gesellschaft | Allgemeinmedizin

Die Obergrenze als Chance

Ein Hausarzt wird künftig nicht mehr als 1.575 Patienten betreuen dürfen. Außer dort, wo Ärztemangel herrscht. "Eine Chance für junge Ärzte", meint Martha Stocker.

Es ist ein Urteil des Kassationsgerichts, das in Südtirol einige Neuerungen im Bereich der hausärztlichen Versorgung notwendig macht. Erwirkt von der Ärztegewerkschaft Fimmg, besagt das letztinstanzliche Urteil, dass auch Südtirol den nationalen Kollektivvertrag für Allgemeinmediziner einhalten muss. “Wir müssen die Entscheidung respektieren und uns anpassen”, sagt Martha Stocker. Was das konkret bedeutet, erklärt die Gesundheitslandesrätin am Montag Vormittag auf einer Medienkonferenz. Flankiert von Martin Matscher, dem Abteilungsdirektor für Leistungen und Territorium des Südtiroler Sanitätsbetriebs, und Eugen Sleiter, dem frischgebackenen Landessekretär der SGBCisl-Ärztegewerkschaft und Vertreter der Jungärzte.


Obergrenze gilt bei Ärztemangel nicht

“Das Urteil bedeutet, dass auch bei uns ein Hausarzt nicht mehr als 1.500 Patienten betreuen darf”, zeigt Stocker auf. 1.575, wenn die Familienangehörigen mit berücksichtigt werden. Gleichzeitig erinnert sie an den Beschluss der Landesregierung vom 31. Juli 2015. Dieser regelt die Bestimmungen zum Landeszusatzvertrag für Hausärzte. “Darin ist vorgesehen, dass die Obergrenze von 1.575 nur in jenen Gebieten gilt, wo es neue, junge Ärzte gibt. Jene Einzugsgebiete, in denen ein Mangel an Hausärzten gibt, den so genannten ‘zone carenti’, können die Ärzte auch mehr als 1.575 Patienten betreuen und bekommen dafür auch bezahlt”, stellt Stocker klar.

Aktuell praktizieren 282 Hausärzte in Südtirol. 141, also genau die Hälfte, betreuen mehr als die vorgesehenen 1.575 Patienten, 60 Hausärzte sogar mehr als 2.000. In 26 der 31 Einzugsgebiete sind derzeit nicht alle Stellen besetzt. Diese werden also als “zone carenti” eingestuft und die dort praktizierenden Hausärzte können ihre Patientenanzahl beibehalten, auch wenn sie die 1.575er-Grenze überschreiten. Bei den restlichen fünf Einzugsgebieten handelt es sich um Welschnofen/Deutschnofen, Auer/Aldein/Altrei/Truden, Sarntal, Tramin/Kurtatsch/Margreid/Kurtinig und Mölten/Jenesien. “Dort sind alle Stellen besetzt und dort tritt auch die im Kollektivvertrag festgesetzte Grenze in Kraft”, erläutert Martin Matscher. Konkret bedeutet das, dass in diesen fünf Gebieten die Patientenzahlen angepasst werden und infolge ältere Hausärzte den ein oder anderen Patienten an jüngere Kollegen auch abtreten müssen. Zwar könnten die Hausärzte theoretisch ihre Patienten weiterhin betreuen, dürften jedoch für jene Patienten über der Grenze von 1.575 nicht mehr vergütet werden.


Den Jungen das Vertrauen

Eine Herausforderung für Landesrätin und Sanitätsbetrieb. “Es sind nicht unbedeutende Änderungen, die auf uns zukommen”, gesteht Matscher, “aber gleichzeitig ergeben sich durch den Druck, den Kollektivvertrag umzusetzen, auch neue Chancen”. Etwa für die Anwerbung von jungen, frisch ausgebildeten Medizinern, die dem chronischen Ärztemangel entgegenwirken können. “Eine paradoxe Situation”, beurteilt Eugen Sleiter. “Wir wollen einerseits nicht, dass Ärzte für ihre Tätigkeit nicht bezahlt werden, andererseits gilt es gerade in der Peripherie Jungärzte zu stärken”, so der Gewerkschafter, der auf konkrete und machbare Lösungen pocht.

Im Juli 2016 werden vier neue Hausärzte die Ausbildung abschließen, im August 2017 voraussichtlich 20, im Herbst 2018 voraussichtlich 21. Gleichzeitig gibt es heute 56 Ärzte, die über 65 Jahre alt sind und im Laufe der nächsten fünf Jahre (Allgemeinmediziner dürfen bis zu einem Alter von maximal 70 Jahren ihren Beruf ausüben) in Pension gehen. Unterm Strich bedeutet das, dass jährlich 20 neue Ärzte benötigt werden, um die Pensionierungen in den nächsten Jahren abzudecken. “Wir sind also auf Kurs”, zeigt sich Stocker erfreut und erleichtert. Nun gilt es aber einerseits, ausgebildete Ärzte in Südtirol zu halten und ihre Ansiedlung zu erleichtern. Andererseits muss auch die Bevölkerung motiviert werden, sich einem neuen Arzt anzuvertrauen.

Wie genau das passieren soll, dafür hat man im Gesundheitsressort keine Patentlösung. “Es geht darum, die Menschen zu überzeugen, einen jungen Arzt zu wählen. Das ist keine einfache Aufgabe, aber wir sind sicher, eine Lösung zu finden”, meint Martha Stocker. Doch ebenso wie Eugen Sleiter und Martin Matscher ist sie überzeugt, dass die Jungärzte das Vertrauen von Bevölkerung und Politik und eine Chance verdient haben. “Denn”, gibt Stocker zu bedenken”, “auch Hausärzte leben nicht ewig und irgendwann muss jeder einen neuen Arzt wählen”.