Gesellschaft | Interview

"Irgendwann reicht es einfach"

Wenn die Hausärzte auf die Barrikaden gehen, sei das vor allem der Politik zu verdanken. "Der Wille fehlt", sagt Eugen Sleiter. Dabei bestehe dringender Handlungsbedarf.

Die Hausärzte haben die Schnauze voll. Bei einer Pressekonferenz machten die Gewerkschaftsvertreter ihrem Ärger über die seit Monaten stockenden Vertragsverhandlungen mit dem Land Luft. Als Folge der zähen Gespräche weigern sich seit dem gestrigen Montag zahlreiche Hausärzte, die Ticketbefreiung aus Einkommensgründen auf die roten Rezeptzettel einzutragen. Das Gesundheitsressort hat mit ersten Strafanzeigen reagiert. Die Hausärzte kontern mit kantigen Sprüchen (“Dieses Mal ziehen wir ihnen das Fell über die Ohren”) und kündigen weitere Protestmaßnahmen an. Im April soll gestreikt werden. Einer, der am Montag fehlte, war Eugen Sleiter. Der frischgebackene Landessekretär der Cisl Medici saß nicht zwischen den Vertretern der drei Hausarzt-Gewerkschaften, die sich der Presse stellten.

Herr Sleiter, Sie fehlen auf den offiziellen Fotos vom Montag. Teilen Sie die Empörung der anderen Gewerkschaften nicht?
Eugen Sleiter: Ich war sehr wohl dabei, bin allerdings im Publikum gesessen. Bei der Pressekonferenz wollte ich mir die Motivationen der anderen drei Gewerkschaften anhören, warum sie diese schnelle Entscheidung getroffen und diesen Weg gewählt haben.

Sie sprechen vom Ticket-Streik?
Wir wurden erst am Freitag, also verzögert, darüber informiert. Daher wollte ich mir das erst einmal öffentlich anhören und nicht unbedingt dazu Stellung nehmen.

Trägt die Cisl Medici den Protest mit?
Bei der Ticketbefreiung haben wir es den Mitgliedern offen gelassen, ob sie sich daran beteiligen wollen. Wir sind natürlich solidarisch mit den anderen Gewerkschaften, weil es derzeit wirklich einen Stillstand gibt. Das kann man ganz offen und ehrlich sagen. Als Landessekretär versuche ich hier aber auch, den korrekten Weg zu gehen. Daher haben wir gestern (Montag, Anm. d. Red.) den stato di agitazione ausgerufen – um einen legitimen Streik gesetzgemäß durchführen zu können. Das werden die anderen Gewerkschaften im Laufe der Woche sicherlich noch nachholen. Aber ich möchte betonen, dass es gut ist, wenn alle vier Gewerkschaften eine gemeinsame Linie finden, um auch in den Vertragsverhandlungen weiterzukommen.

Wir wollen, dass die Politik, Mehrheit wie Opposition, endlich mehr Wille zeigt, mehr in das Territorium zu investieren.

Denn der Stillstand, von dem Sie sprechen, bezieht sich auf die Vertragsverhandlungen nach dem Abschluss des Landeszusatzvertrags im Juli 2015, infolge dessen viele Ärzte auf bis zu 20 Prozent ihres Gehalts verzichten müssen?
Genau. Im Schnitt sind wir als Hausärzte alle 10 bis 15 Prozent unter dem bisherigen Honorar. Wir haben inzwischen monatelang Gespräche geführt und kaum Ergebnisse erzielt. Man muss mal hergehen und schauen: Wir verhandeln seit Juni letzten Jahres und in den ganzen Sachen, die auf den Tisch gekommen sind, wurde ein einziger Landesbeschluss gemacht. Und der bezieht sich auf die Altenheime. Allerdings ist dieser auf Druck zustande gekommen, weil es dort Probleme gibt, Ärzte zu bekommen. Andernfalls wäre das bisher noch nicht vonstatten gegangen. Alles, was sonst ausgemacht, unterschrieben und von den Gewerkschaften gegengezeichnet wurde, hat rechtlich nichts Fertiges hervorgebracht. In der ganzen Geschichte hat es bis heute keinen einzigen Beschluss gegeben.

Da ist der Frust vorprogrammiert?
Also man muss sich schon fragen, was gehen wir hin, verhandeln monatelang, holen uns irgendwelche Versprechungen ab, für die es keinen Beschluss gibt und somit auch kein Geld. Das heißt, für die ganzen Gelder, die die Provinz jetzt herumschiebt, mehr zahlen oder anders zahlen, gibt es heute keine rechtliche Grundlage. Dann muss man eben sagen, irgendwann reicht es einfach. Schade um die Zeit.

Ganz konkret: Wo liegen die größten Versäumnisse seit? Sprich, was müsste laut Ihnen längst schon umgesetzt sein?
Vor kurzem hat Frau Stocker gesagt, für mehr Patienten bekommen wir mehr Geld. Derzeit ist es aber so – und dafür gibt es Statistiken, es steht also schwarz auf weiß –, dass wir mehr tun für weniger Geld. Die Ambulatorien sind überall voll.
Prioritär wäre eine Anpassung der variablen Pro-Kopf-Quote, die wir je Patient bekommen. Wir wollen keine Erhöhung der fixen Quote, die sich italienweit auf 40 Euro pro Patient beläuft. Aber bei der variablen Quote hat das Land die Möglichkeit, uns so viel zu geben, wie es gedenkt zu geben. Es gibt kein Gesetz, das das verbietet. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sagen, ihr bekommt statt der 6 Euro, die derzeit diskutiert werden, 10 Euro. Dafür stellt ihr alle eine Krankenschwester ein, macht aber zusätzliche Dienste wie Blutabnahme, Harnspiegel oder EKG. Wir wollen, dass die Politik, Mehrheit wie Opposition, endlich mehr Wille zeigt, mehr in das Territorium zu investieren.

Wenn es finanziell so eng wird und ich am Ende des Monats draufzahlen muss, dann überlege ich mir, ob es sich auch auszahlt, gewisse Leistungen weiterhin anzubieten.

Salopp gesagt, die Hausärzte wollen mehr verdienen?
Nein, das heißt nicht, dass wir das als Ärzte einstecken wollen. Sondern das Geld würde den Ärzten, die wirklich viele Patienten und auch entsprechend Angestellte haben, dazu dienen, den Service, den sie bieten, weiterhin zu garantieren. Ansonsten müssen wir diesen Service zurückfahren. Und das ist ein Nonsens. Wenn man weiß, dass wir Hausärzte immer weniger werden und die Bevölkerung immer älter, dann muss man hier investieren und froh sein, dass die Hausärzte ihre Arbeit leisten. Das ist es, was die Politik nicht einsehen will. Es wird immer gesagt, “das ist das Budget, mehr geht nicht” und und und. Aber es muss mehr Geld fließen und wenn der Wille der Politik da wäre, ginge alles. Die Mehrheit der Ärzte, glaube ich, wäre sehr wohl froh. Nicht darüber, mehr Geld zu bekommen, sondern wirklich mehr Service anbieten zu können.

Wenn das jetzt so weitergeht und man beim Land nicht von seiner Position abrückt, wird es negative Folgen für die Patienten geben?
Auf jeden Fall. Die Lohnsteuer für die Hausarzt-Angestellten mit 14 Monatsgehälter steigt stetig. Während wir als Freiberufler nur 12 Gehälter beziehen. Wie schaffe ich es also, mehr anzubieten, wenn meine Kosten ständig raufgehen? Und ich diesen finanziellen Spielraum nicht mehr habe, ob ich Leistungen, die ich anbiete, auch schaffe, selbst zu finanzieren.

In den letzten Monaten bin ich enttäuscht worden.

Wie ist das zu verstehen?
Wenn ich zum Beispiel einen Verbandswechsel mache, dann bekomme ich 18,35 Euro brutto. Das heißt, man kann ungefähr 45 Prozent abziehen, dann bleiben mir zirka 10 Euro netto. Davon muss ich ein Paar Handschuhe kaufen, ein Pflaster, Desinfektionsmittel, eine Salbe oder Creme und so weiter. Sprich, manchmal bleibt mir unterm Strich nicht einmal das, was ich für Material ausgebe. Da muss ich sagen, wenn es so eng wird und ich am Ende des Monats draufzahlen muss, dann überlege ich mir, ob es sich auch auszahlt. Denn den finanziellen Puffer, den wir früher hatten und es egal war, ob ich am Monatsende einen Verlust schreibe weil es einen Ausgleich gab, gibt es nicht mehr. Die Konsequenz: Ich kann diese Leistung einfach nicht mehr anbieten. Und das heißt dann weniger Leistung für weniger Geld.  

Kann nun davon ausgegangen werden, dass alle vier Gewerkschaften in Zukunft gemeinsam auftreten werden? In der Vergangenheit war das ja eher selten der Fall.
Ich bin natürlich offen für die anderen Gewerkschaften. Ich habe immer gesagt, dass ich kompromissbereit und offen für konstruktive Vorschläge bin. Da gibt es von meiner Seite sicher keine Ablehnung. Aber ich bin auch jemand, der sagt, dass ich bei Streiks die Streikmodalitäten einhalten will. Wir haben den stato di agitazione ausgerufen, die anderen Gewerkschaften werden es wie gesagt sicher auch noch tun und wir werden ein gemeinsames Datum im April finden, um den Streik mit den Krankenhausärzten durchzuführen. Alle zusammen.

Irgendwann reicht es einfach. Schade um die Zeit.

Erwarten Sie sich, dass das Land nach doch so langer Zeit der Auseinandersetzungen in irgendeiner Form einlenkt?
Ganz ehrlich: Am Anfang war ich noch positiv gestimmt und habe mich auf Frau Stocker verlassen, als sie gesagt hat, wir werden es schaffen, alles in sechs Monaten durchzuziehen. Da war ich überzeugt, dass das wirklich der Wille der Politik war.

Und heute?
Ich muss sagen, in den letzten Monaten bin ich enttäuscht worden. Weil ich einfach gesehen habe, dass, wenn der Wille tatsächlich da gewesen wäre, die Sache innerhalb einer Woche hätte abgeschlossen weren können. Es geht natürlich um Geld, um Investitionen, aber es geht in erster Linie um die Versorgung für die Bevölkerung. Aber es scheint kein Interesse da zu sein, in die Gesundheit zu investieren. Es wird über einen Flughafen diskutiert oder 70 Millionen für eine Software zur Vernetzung der Krankenhäuser locker gemacht. Aber dann muss sich die Politik fragen, was ist mir jetzt wichtiger, wo liegt in meinem Bewusstsein der Patient und wo liegt die Zukunft? Und dieses Denken muss vorausschauend passieren, nicht im Hinblick auf die nächsten Landtagswahlen. Aber das macht unsere Politik nicht, aus welchen Gründen auch immer.