Gesellschaft | Integration

Ein Flüchtling in meinem Garten

Bozen nimmt italienweit eine Vorreiterrolle in Sachen Integration ein. Auch die Caritas trägt ihren Teil dazu bei. Sie vermittelt Asylbewerber als Hilfs-Arbeitskräfte.

Integration. Ein Thema, das immer wieder und immer heftiger diskutiert wird. Schnell verlässt die Diskussion am Stammtisch, in den Medien und in Wahlkampfzeiten die sachliche Ebene. Gern werden Wörter wie “Integrationsunwilligkeit”, “Bringschuld” oder “Assimilation” gebraucht, um darauf hinzuweisen, was nicht läuft, was eingewanderte Mitbürger leisten und wie sie sich verhalten müssten. Doch wo stehen wir wirklich? Wie schaut es tatsächlich aus in Sachen Integration? Eine kürzlich veröffentlichte Studie belegt: Zumindest unsere Landeshauptstadt Bozen macht sich im nationalen Vergleich nicht schlecht, wenn es um ein einigermaßen gelungenes Zusammenleben geht.


Risiko für soziale Prekarität und Konflikte geringer als anderswo

Die Stiftung Leone Moressa hat alle 116 Provinzhauptstädte Italiens unter die Lupe genommen und auf das Risiko von Marginalisierung der ausländischen Bevölkerung hin untersucht. Für den in der Studie entwickelten “soziale-Prekaritäts”-Index wurden vier Bereiche berücksichtigt: soziale Inklusion, wirtschaftliche Integration, Kriminalität und öffentliche Ausgaben für Integration. Allesamt Risikofaktoren für soziale Ausgrenzung, Konflikte und Unbehagen. Und damit ein schlechtes Klima für Integration.

Ergebnis der Untersuchung: Besonders in den wohlhabenden Regionen und Provinzen des Zentrums und des Nordens besteht großer Nachholbedarf in Sachen Integration, während der Süden besser abschneidet. Einzige Ausnahme im hohen Norden: Bozen. Unsere Landeshauptstadt reiht sich an 17. Stelle im Klassement der 21 Hauptstädte von Regionen und autonomen Provinzen ein. Bozen gelingt es also anscheinend um einiges besser als seinen Nachbarn – Trient etwa weist ein deutlich höheres Risiko von Ausgrenzung und Konfliktsituationen auf –, ein integrationsfreundliches Klima zu schaffen.

Das Klassement: Wo die Integration am meisten gefährdet ist. Je höher der Wert des Index, desto weiter hinkt die Integration hinterher. Bild: Corriere della Sera

Integration durch Arbeit

Wie wichtig die Integration in den Arbeitsmarkt für ein gelungenes Zusammenleben ist, unterstreicht nicht nur die Dienststelle für Integration des Landes Südtirol. Die Zuständigen dort setzen auf Informationsarbeit und Bewusstseinsbildung. Auch die Caritas versucht seit einiger Zeit, Sensibilisierung und Aufklärung zu leisten. Und dabei Eingewanderte und Einheimische einander näher zu bringen. Bereits drei Jahre läuft das Projekt “Freihand”. Flüchtlinge, die sich in Südtirol aufhalten, werden an Privatpersonen vermittelt, die Unterstützung bei anfallenden Arbeiten, etwa in Haus oder Garten, benötigen.

“Wir kennen jeden einzelnen Flüchtling, der im Projekt dabei ist gut und suchen für jeden Auftrag die am besten passende Person”, berichtet Leonhard Voltmer von der Flüchtlingsberatungsstelle der Caritas. Angestellt werden die Flüchtlinge normalerweise für einen Tag, die Entlohnung kommt von der Caritas: “Wir bezahlen die Leute nach dem Vouchersystem. 7,50 Euro netto bekommen sie pro Stunde”, erklärt Voltmer, “dadurch sind sie bei der Arbeit versichert und zahlen Steuern.” Jene Auftraggebern, die es sich leisten können, werden von der Caritas angeregt, Spenden in der Höhe von 10 Euro pro Arbeitsstunde zu leisten, “damit wir das Projekt auch weiterhin finanzieren können”, so Voltmer.


Brücken bauen statt Gräben schaufeln

“Freihand” – eine seltene Gelegenheit, für Flüchtlinge, die auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten, erste Erfahrungen im Südtiroler Arbeitsmarkt zu machen. Voltmer zeigt sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf: “Sowohl die Auftraggeber als auch unsere Klienten, die Flüchtlinge, sind sehr zufrieden. Bisher hat es keinerlei Kritik am Projekt gegeben.” Denn auch jene, die gegen Ausländer seien, fänden es durchaus begrüßenswert, wenn diese arbeiten. Und dabei nehmen sie auch niemandem die Arbeit weg. Wie Voltmer bestätigt: “Denn wir bieten keine Dienste an, die bereits auf dem Markt vorhanden sind.”

Und doch, ab und zu muss erst einmal Aufklärungsarbeit geleistet werden: “Einige Menschen, die bei uns anrufen, haben Fragen, wie etwa ‘Wie schauen die denn aus, die da zu uns kommen?’”. Doch anfängliche Vorurteile verfliegen ganz schnell, sobald der Flüchtling dann Hand anlegt. “Einerseits werden die Flüchtlinge dafür sensibilisiert, wo und wie die Leute hier in Südtirol leben. Andererseits wird leidigen Diskussionen, etwa darüber, dass ‘die alle faul’ seien ganz schnell die Luft genommen”, zeigt sich Voltmer sichtlich erfreut. “Es wird schwer, in Klischees zu sprechen, wenn man einmal einen Flüchtling getroffen hat. Und die Diskussion findet auf einem anderen Niveau statt, wenn Flüchtlinge nicht mehr in der Masse wahrgenommen, sondern als einzelne Personen sichtbar werden.”

Südtirol – eine selige Insel der Integration also? Laut den Zahlen der Leone-Moressa-Stiftung sind wir zumindest auf einem guten Weg. Doch angesichts zunehmend ausufernder Diskussionen und Debatten in sozialen Netzwerken, der Berichterstattung in den Medien sowie der politischen Instrumentalisierung von Ausländern und Flüchtlingen scheint der Weg noch ein weiter zu sein.