Chronik | Prozess

Anatomie eines Betruges

Der Stein an Stein-Prozess geht am Bozner Landesgericht in die heiße Phase. Der Chef-Ermittler rekonstruiert im Gerichtssaal die wichtigsten Stationen eines Skandals.

Wer sich einen großen Auflauf erwartet hat, der wird enttäuscht. Außer dem dreiköpfigen Richtersenat sitzen nur fünf Personen am Mittwoch Früh im großen Schwurgerichtssaal des Bozner Landesgerichts.
Der Bozner Strafverteidiger Carlo Bertacchi packt allein im Saal einen Stapel Akten aus. Wenig später erscheint sein Klient. Maximilian Rainer, ehemaliger SEL-Direktor und Angeklagter in diesem Prozess. Er wirkt gefasst, aufmerksam und durchaus selbstsicher. Während des gesamten Prozesstages wird er immer wieder seinem Verteidiger ins Ohr soufflieren.
Als Zivilkläger am Prozess ist die "Sel AG" beteiligt, vertreten durch den Mailänder Anwalt Giacomo Gualtieri. Der Letzte, der an diesem Vormittag erscheint ist der Ankläger: Oberstaatsanwalt Guido Rispoli.
Als erster Zeuge erscheint Michele Sacco. Der Hauptmann der Finanzpolizei zeichnet in der nächsten Stunde nochmals detailliert die gesamten Ermittlungen im Fall nach. Saccos Ausführungen sind dabei von einer Klarheit und Systematik, die man sich für jeden Prozessauftakt nur wünschen kann. Linear rekonstruiert der Beamte der Finanzwache die Geschichte eines mutmaßlichen Betruges und Amtsmissbrauches.

24. November 2006 

An diesem Tag beschließt der SEL-Verwaltungsrat, das Mittewalder Kleinkraftwerk (inzwischen unter dem Namen Stein an Stein in die Südtiroler Zeitgeschichte eingegangen) nicht anzukaufen. Hauptmann Sacco erläutert das Protokoll der Sitzung. Es war SEL-Präsident Klaus Stocker, der den Tagesordnungspunkt den Verwaltungsräten erläutert. Stocker ist es, der drei Gründe anführt, warum die Landesenergiegesellschaft das Kleinkraftwerk nicht ankaufen soll.
In seiner Aussage vor Gericht analysiert und zerlegt der Ermittler folgende drei Gründe. 

Das Schätzgutachten: Dem Verwaltungsrat wird erklärt, dass der Besitzer des Kraftwerkes, die Parcheggi Italia SPA, des Wiener Unternehmers Johann Breiteneder, 500.000 Euro verlangt. Gleichzeitig wird ein Schätzgutachten der Turiner Firma Xelee Srl vorgelegt, in dem der Wert der Anlage mit 75.000 Euro angegeben wird.
Hauptmann Michele Sacco legt dar, dass Breiteneder ein Gesamtpaket für diesen Preis angeboten hatte, das neben dem Kraftwerk auch mehrere verpachtete Immobilien und Gründe enthält.
Vor allem aber habe das Schätzgutachten der SEL nur den Maschinenwert des Kraftwerk geschätzt und nicht den Marktwert. Dieser Marktwert sei kurz vorher aber von einem anderen Interessenten, einem norditalienischen Energieunternehmen geschätzt worden. Das Ergebnis: 1,5 Millionen Euro.

Die Konzession: Die Konzession des Mittewalder Kleinkraftwerks lief am 31. Dezember 2009 aus. Im SEL-Verwaltungsrat wurde das als Grund für den Nichtankauf angeben. Michele Sacco führte aus, dass alle Konzessionen für die Südtiroler Kleinkraftwerke in dieser Phase automatisch verlängert wurden. Genau diese Verlängerung hatte auch das 1,5-Millionen-Gutachten des Konkurrenzbetriebes als gegeben angenommen.

Die Immobilien: Als dritter Grund für den Nichtankauf wird im Protokoll des Verwaltungsrates angegeben, dass die SEL keinerlei Interesse hatte auch die Immobilien zu erwerben. 
Der Ermittler zeigt auf, dass der Großteil der Immobilien an eine Südtiroler Firma verpachtet waren und im Vertrag ein Vorkaufsrecht für dieses Unternehmen vorgesehen war. Auch diese Tatsache wurde dem Verwaltungsrat verschwiegen.
Der Südtiroler Pächter wird Monate später dann auch die Immobilien um 300.000 Euro ankaufen. Während das Kraftwerk am Ende um 185.000 Euro verkauft wird.

12. Dezember 2006

Michele Sacco sagt aus, dass an diesem Tag, also 18 Tage nach der Entscheidung des SEL-Verwaltungsrates für den Nicht-Kauf, eine E-Mail des Verkäufers Johann Breiteneder an die spätere Käuferin, die Wiener Unternehmerin Petra Windt ging, in dem von Gesprächen und Treffen mit Maximilian Rainer die Rede ist.

20. Dezember 2006

An diesem Tag wird ein Vorvertrag zwischen der Parcheggi Italia SPA und der Wiener Pflastersteinfirma Stein an Stein Gmbh zum Ankauf des Mittewalder Kleinkraftwerks unterzeichnet. Die Stein an Stein GmbH gehört Petra Windt, einer Studienfreundin von SEL-Direktor Maximilian Rainer.
Im Vertrag werden zwei Optionen angeführt. Kauf des Gesamtpakets oder nur Kauf des Kraftwerks.

21. Jänner 2007

An diesem Tag wird in Bozen die Stein an Stein Italia GmbH gegründet. Das Unternehmen ist eine 100prozentige Tochter der gleichnamigen Wiener Firma. Sitz des Unternehmens ist das Büro des Bozner Wirtschaftsberaters Paul Schweitzer, der auch für die SEL tätig ist. Formal ist Petra Windt Alleinbesitzerin.
Michele Sacco beschreibt vor Gericht aber, dass man im Büro des Bozner Wirtschaftsberater eine am selben Tag ausgestellte Generalvollmacht für Paul Schweitzer sichergestellt hat, mit der Petra Windt alle Rechte an Schweizer abtritt. Auch den Verkauf der Anteile an andere oder an sich selbst.

12. April 2007

An diesem Tag geht der Verkauf des Mittewalder Kleinkraftwerks an die Stein an Stein Italia GmbH dann endgültig über die Bühne. Am selben Tag unterzeichnet der Auerer Wirtschaftsberater Rudolf Stocker, Bruder von SEL-Präsident Klaus Stocker, in Trient eine Bankbürgschaft über 450.000 Euro für die Stein an Stein Italia.
„Rudolf Stocker hat mit dem Unternehmen formal nichts zu tun“, sagt Michele Sacco vor Gericht, „deshalb ist diese Bürgschaft absolut ungewöhnlich“.

10. Juli 2007

Der Osttiroler Wirtschaftsberater Martin Kofler gründet in Innsbruck die EVB - Energie Verteilung - und Beteiligungsgesellschaft. 

21. August 2007

Petra Windt verkauft über Paul Schweitzer 30 Prozent der Stein an Stein Italia Gmbh an die EVB. Der Verkauf erfolgt über den Nominalwert von 4.500 Euro. „Das ist eine finanziell absurde Aktion“, urteilt Michele Sacco im Zeugenstand.
Dazu sagt der Beamte der Finanzwache aus, dass man im Büro des Osttiroler Wirtschaftsberaters Martin Kofler einen Treuhandvertrag beschlagnahmt hat. Der Vertrag ist nicht unterschrieben und legt fest, dass Kofler, die 30 Prozent treuhändisch für Franz Pircher verwaltet. Pircher ist damals Präsident des SEL-Aufsichtsrates.

26. August 2011

An diesem Tag übernimmt Franz Pircher bei der Raiffeisenkasse Bozen eine Bankbürgschaft von 250.000 Euro für die Stein an Stein Italia Gmbh. Michele Saccos rhetorische Frage: „Warum unterschreibt jemand eine Bürgschaft, wenn er formell keinerlei Verbindung zum Unternehmen hat?“

Die Rechnung

Auf Frage von Oberstaatsanwalt Guido Rispoli beschreibt Michele Sacco dann noch den Geschäftsgang der Stein an Stein Italia Gmbh von 2007 bis 2010. Nach der Analyse der Finanzwache machte das Unternehmen 2007 einen Gewinn nach Steuern von 39.165 Euro, 2008 von 35.780 Euro, 2009 von 18.094 und 2010 von 70.800 Euro.
Zudem erklärte Sacco, dass man in den Buchhaltungsunterlagen der Stein an Stein Italia  eine Rechnung der Wiener Muttergesellschaft über 12.500 Euro gefunden hat. Für Dienstleistungen. Der Ermittler führte aus, dass eine solche Rechnung nicht erklärbar ist, außer es handelt sich um eine Art Entgelt für Strohfrau-Funktionen.

Lesen Sie hier ab 19.15 Uhr, wie der Prozess weitergeht.