Das Phantom-Gutachten
Christoph Perathoner war jahrelang SEL-Verwaltungsrat. Der Vorsitzende der SVP-Bezirksobleute schilderte gestern im Zeugenstand wie es zum Beschluss des SEL-Verwaltungsrates zum Nichtankauf des Mittewalder Kleinkraftwerks gekommen ist.
Es war SEL-Präsident Klaus Stocker, der an diesem 24. November 2006 das Kaufangebot und die Gründe, die dagegen sprachen, erläuterte. Aber auch Maximilian Rainer und Aufsichtsratspräsident Franz Pircher ergriffen zum Thema das Wort. „Wir hatten in der SEL einen sehr aktiven Aufsichtsrat, der in den Sitzungen auch mitgeredet hat“, erklärte Perathoner vor Gericht.
Der ehemalige SEL-Verwaltungsrat bestätigte, dass es auf dieser Sitzung das erste und letzte Mal war, dass das Mittewalder Kleinkraftwerk zum Thema gemacht wurde. Für ihn und auch für den gesamten Verwaltungsrat sei das Gutachten eines Sachverständigen ausschlaggebend gewesen, den Deal abzulehnen.
Das Gutachten stammt von der Turiner Firma Xelee Srl und aus der Feder des Ingenieurs Michele Morelli. Morelli hatte den Wert des Kraftwerks auf 75.000 Euro geschätzt. Bereits Mittwoch früh hatte der Hauptmann der Finanzwache Michele Sacco im Gerichtssaal nachgewiesen, dass der Gutachter damit aber nur die veralteten Maschinen, aber keineswegs den Marktwert des Kraftwerks geschätzt hatte.
Kurz nach Mittag stürzte dann aber einer der wichtigsten Punkte der Verteidigung des Angeklagten Maximilian Rainer wie ein Kartenhaus ein.
Im Zeugenstand sitzt der Turiner Gutachter Michele Morelli. Morelli bestätigte die Tatsache, dass sein Gutachten keine wirtschaftliche Schätzung des Marktwertes, sondern eine technische Schätzung der Anlagen war. Vor allem aber musste der Gutachter das zugeben, was die Ermittler der Carabinieri-Sondereinheit ROS in ihrem Ermittlungsbericht lückenlos rekonstruieren konnten.
Der SEL-Verwaltungsrat hat sich bei seiner Entscheidung am 24. November 206 auf ein Gutachten berufen, das es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab. Offiziell übergab Michele Morelli das Gutachten erst ein halbes Jahr später an die SEL AG. Man hat das Gutachten dann nachträglich – ohne einen Hinweis – zu den offiziellen Akten des SEL-Verwaltungsrates gelegt.
Die Geschichte dieses unorthodoxen Gutachtens leitet vor Morelli im Gerichtssaal bereits ein anderer Zeuge ein. Stefano Indigenti hatte für die KMPG gearbeitet und dabei auch den Kunden SEL betreut. 2005 machte sich der Wirtschaftsprüfer selbstständig und ging auch bei der SEL auf Auftragsfang. SEL-Direktor Maximilian Rainer ersuchte Indigenti im Frühjahr 2005 für die SEL zwei Kleinkraftwerke in Franzensfeste zu schätzen: Das Kraftwerk Staffler und das spätere Stein-an-Stein-Kraftwerk.
Indigenti, der kein Techniker ist, holte den Turiner Ingenieur Michele Morelli dafür mit ins Boot. Im Juni 2005 und später im Frühsommer 2006 machte man einen Lokalaugenschein beim Kleinkraftwerk in Mittewald.
Stefano Indigenti erläuterte gestern, dass sein Auftrag aber nie wirklich formalisiert wurde. Maximilan Rainer habe die Sache einfach einschlafen lassen. Der Turiner Unternehmer hat zwar Vorarbeiten geleistet, aber weder ein Gutachten erstellt, noch ein Honorar kassiert.
Dafür arbeitete aber Michele Morelli weiter. Auch er ohne formellen Auftrag. Dabei war sein Ansprechpartner immer SEL-Direktor Maximilian Rainer. Rainer war es auch, der Morelli Ende 2006 um das Schätzgutachten für das Mittewalder Kleinkraftwerk bat.
„Ich habe einen ersten vorläufigen, nicht unterschriebenen Rohentwurf am 22. Dezember 2006 an Rainer per E-Mail geschickt“, erklärte Michele Morelli im Zeugenstand. Das endgültige Gutachten habe er am 21. Mai 2007 übergeben. Auch sein Auftrag wurde vom SEL-Direktor erst am 21. Mai 2007 formalisiert.
Wie aber konnte der Verwaltungsrat der SEL am 24. November 2006 aufgrund eines Gutachtens entscheiden, das es zu diesem Zeitpunkt gar nicht gab und dessen Rohentwurf erst vier Wochen später in der SEL eintraf?
Morelli versuchte gestern vor Gericht eine halbherzige Antwort: „Es könnte sein, dass ich Rainer telefonisch vom Ergebnis unterrichtet habe“.
Dabei gibt es eine viel einfachere Antwort: Maximilian Rainer & Co haben dem SEL-Verwaltungsrat bewusst und gekonnt ein Gutachten vorgegaukelt, das es zu diesem Zeitpunkt gar nicht gab.
Ein Gutachten, das für sie aber ausschlaggebend war, ein privates Millionen-Geschäft zu machen.
Lesen Sie hier Teil 3 des ersten Prozesstages.