Kultur | Ungebautes

Was wäre wenn

Der Architekt, Kurator und Autor Andreas Kofler geht für das Schweizerische Architekturmuseum ungebauten Projekten auf den Grund. Grund genug für ein vertieftes Gespräch.
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  • SALTO: Sie haben sich in ihrer Ausstellung „Was wäre wenn“ für das Schweizerisches Architekturmuseum (S AM) eingehend mit „ungebauter Architektur“ befasst. Woher das Interesse für „Liegengebliebenes“?

    Andreas Kofler: Weil dies zum Alltag eines noch so erfolgsverwöhnten Architekturbüros gehört: Verlieren und Scheitern gehört sogar inhärent zu ihrem Berufsalltag. Doch egal wie schmerzlich etwa der Verlust eines verlorenen Wettbewerbs ist, am Tag danach sind Architekt*innen wieder im Büro und arbeiten weiter. Uns war es ein Anliegen diese Resilienz und unermüdliche Leidenschaft zu vermitteln. Dies geschieht indem wir ausnahmsweise das Nicht-Gebaute in den Mittelpunkt einer Ausstellung stellen. Sie zeigt aber auch, dass auf viele Faktoren die ein Projekt zum Straucheln bringen, Architekt*innen meist nur sehr begrenzten Einfluss hatten. Doch ärgern tun sie sich natürlich trotzdem. So lesen sich die 23 Projektverläufe in der Begleitpublikation zur Ausstellung fast schon so wie Gute-Nacht-Geschichten für betrübte Architekt*innen, anhand derer sie kopfschüttelnd erkennen, dass es eigentlich allen gleich geht. Egal, ob junge Büros oder Pritzker-Preisträger*innen.
     

    Sicher ist, dass der hohe Grad der Mitbestimmung die Schweiz zu einem der mächtigsten Demokratien in Sachen Architektur macht.

  • Was wäre wenn: Über das Rendering hinaus möchte die Ausstellung des Schweizerischen Architekturmuseums Projekte die, zum Glück oder leider, in der Schublade statt in der Landschaft landeten. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum

    Die Schweiz verfügt nicht nur in Sachen Architektur über ein weitreichendes Mitspracherecht bei Projekten. Was könnte Südtirol dazu lernen? Kürzlich realisierte Seilbahn- und Hüttenprojekte waren keine demokratiepolitischen Vorzeigeprojekte, eher "freunderlwirtschaftliche" Umsetzungsprojekte…

    Wenn größere Bauprojekte mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und - beziehungsweise oder – einer wichtigen Umwidmung der Bodennutzung bedürfen, liegt eine öffentliche Abstimmung eigentlich nahe. Dem Land oder den Südtiroler Gemeinden stünde nichts im Wege die Bevölkerung dafür zur Urne zu bitten. Um die Kosten gering zu halten, könnten solche Abstimmungen mit anderen Wahlgängen kombiniert werden oder digital stattfinden. In der Schweiz werden auf Bundesebene bereits seit über 175 Jahren Volksabstimmungen durchgeführt, seit 1891 auch Volksinitiativen, für die ein Initiativkomitee innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimmberechtigten sammeln muss. 

  • Auf Bundesebene sind Abstimmungen mit direkter Auswirkung auf die Architektur – wie die Revision des Raumplanungsgesetzes (2013) – eher selten. Bei Volksabstimmungen und -initiativen auf Gemeinde- oder Kantonsebene wird hingegen auch über Finanzierungen und/oder Bewilligungen von Bauprojekte abgestimmt und dadurch informieren und vermitteln Gemeinden und Kantone ihre Projekte proaktiver. Es besteht natürlich auch immer das Risiko, dass solche Wahlgänge eine indirekte Abstimmung über die architektonische Gestaltung eines Projekts werden, beziehungsweise lassen sie die Medien auch gerne zu einer werden: “Stadt X sagt Nein zu Projekt Y von Architekt*in Z”. 
    Dies lässt den Trugschluss entstehen, dass Schweizer*innen nach ihrem persönlichen Geschmack Projekte mit einem “Ja” krönen oder mit einem “Nein” versenken können. Doch die Gründe von eventuellen Ablehnungen sind bei jedem Fall differenziert zu betrachten. Die Ausstellung wirft auch die Frage auf, ob die Angst vor einer Abstimmung die Architekt*innen und Bauherrschaften bewusst oder latent zu konsensuellen Entwürfen bewegt. Etwas schärfer formuliert: ob die direkte Demokratie eine gute Bauherrin ist. Sicher ist, dass der hohe Grad der Mitbestimmung die Schweiz zu einem der mächtigsten Demokratien in Sachen Architektur macht.
     

    Die entstandene Alternativschweiz amplifiziert also nicht nur die Wünsche, Ambitionen und den Mut der Planer*innen, sondern auch die mit der jeweiligen Zeit verbundenen Unkenntnisse und Defizite.

  • Was wäre wenn: Für Andreas Kofler muss die Frage zumindest ausformuliert wird, ob direkte Demokratie eine gute Bauherrin ist. Mehr als Projekte direkt zu verhindern, nimmt sie Einfluss auf die Architekturbüros. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum

    Welches der nie umgesetzten Projekte in der von Ihnen kuratierten Ausstellung würden Sie gerne irgendeinmal gebaut sehen?

    Im nicht umgesetzten Zürcher Schauspielhaus von Jørn Utzon – dem Architekten der Sydney Oper – würde ich mir schon gerne ein Stück von Max Frisch ansehen. Aber am Heimplatz entstand schliesslich, 50 Jahre später, David Chipperfields Erweiterungsbau vom Kunsthaus Zürich. Einige Besucher*innen der Ausstellung stellen sich sicherlich die Frage was sie lieber “besuchen” würden. Aber weder die Ausstellung noch die Publikation suchen bewusst nach polarisierenden Gegegenüberstellungen.
    Wichtiger ist uns, anhand dieser Schweiz, die es nicht gab, die gebaute Schweiz und ihre Entscheidungsprozesse zu verstehen. Dafür haben wir die Projekte nicht selbst ausgesucht sondern Architekturforen und -institutionen aus allen Landesteilen um Vorschläge gebeten. 

  • Doch auch in dieser etwas mutigeren Parallelwelt wird schliesslich gerodet, abgerissen, betoniert, verbraucht und zersiedelt. Und es ist wiederum ein Land, das vorwiegend von Männern geplant und gebaut wurde, die bis zu einem gewissen Punkt sogar exklusiven Zugang zur direkten Demokratie hatten. 
    Die entstandene Alternativschweiz amplifiziert also nicht nur die Wünsche, Ambitionen und den Mut der Planer*innen, sondern auch die mit der jeweiligen Zeit verbundenen Unkenntnisse und Defizite. Die Zeitreise regt dadurch auch an darüber nachzudenken, wie zukünftig auf unsere heutigen Entscheidungen und Handlungen zurückgeblickt werden wird. Vor dem Hintergrund der Klimakrise sollte der Schwerpunkt der Architektur eher auf der Transformation des Bestehenden als auf dem Neuen liegen. So sind wir uns bewusst, dass die Projekte in dieser Ausstellung paradoxerweise die klimaneutralsten sind, die wir bisher im S AM gezeigt haben – denn sie wurden nie gebaut.

  • Was wäre wenn: Der Blick auf eine Alternativschweiz soll Architekt*innen auch Mut machen und Ursachenforschung betreiben. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum
  • Welchen Weg nehmen gescheiterte Projekte? Den direkten in die Schublade…

    Jein. Oder zumindest wird die Schublade sehr selten definitiv geschlossen. Architekt*innen nehmen “gute Ideen” die nicht umgesetzt werden an späterer Stelle wieder auf und arbeiten sie in neue Projekte ein. Doch der “Mehrwert” gescheiterter Projekte liegt darin, dass durch die Auseinandersetzung mit ihnen der Diskurs weiter betrieben werden kann: Wer sind wir beziehungsweise was wollen wir in Zukunft werden? Was brauchen wir um besser und inklusiver leben zu können? Wie soll unsere Stadt und unser Land in 20 oder 50 Jahren aussehen? 
     

    Aber man muss dazu sagen dass Architekturprojekte so gut wie nie einen linearen Weg bestreiten. Sie schreiten voran, zweigen ab, kehren um oder bleiben stehen. 

  • Was wäre wenn: Ganz beiläufig wurde die Ausstellung des Schweizer Architekturmuseums auch zur klimaneutralsten in der Geschichte der Institution, weil in die Klimabilanz eine Null geschrieben werden kann. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum

    All das lässt sich mehr am Nicht-Gebauten, als am Gebauten diskutieren, beziehungsweise idealerweise auch direkt am Entstehenden. Südtirol bräuchte dafür ein Architekurzentrum oder ein permanentes -forum, das Architektur, Landschaftsplanung und Städtebau laufend beobachtet, aufarbeitet, präsentiert und diskutiert. Sonst geht der Diskurs in Fachkreisen verloren. Bisher hat in Südtirol nur Kunst Meran der Architektur eine ununterbrochene und regelmäßige Ausstellungsserie gewidmet. Dabei ist es essentiell, dass es Schnittstellen zwischen Bevölkerung und den öffentlichen und idealerweise auch privaten Bauherrschaften gibt. Orte und Anlässe sich zu treffen, miteinander zu sprechen, voneinander zu lernen und auch Projekte partizipativ zu verhandeln. 
    Die direkte Demokratie der Schweiz “erzwingt” dies indirekt, doch dass solche Prozesse auch “bei uns” funktionieren können zeigen u.a. die Arbeitweise von BAU oder Lungomare oder die Nutzungen des ehemaligen Kasernenareals in Schlanders oder die Themenhefte der Turris Babel – die Zeitschrift der Architekturstiftung Südtirol. Wenn ein Projekt gemeinschaftlich getragen wird, reduziert sich ganz wesentlich das Risiko dass es später den Weg in die Schublade findet.

  • Was wäre wenn: Ideen, die von Architekt*innen ad acta gelegt werden, werden selten gänzlich verworfen. Gute Einfälle werden andernorts, bei neuen Projekten aufgegriffen und angepasst. Foto: Schweizerisches Architekturmusum

    Was wäre gewesen, wenn das Völkerbundhaus vor rund 100 Jahren von Le Corbusier umgesetzt worden wäre? Wie lässt sich ungebaute Architekur weiterdenken…

    Wenn das Palais des Nations nach den Plänen von Le Corbusier und Pierre Jeanneret umgestetzt worden wäre, sähe zugegebenermassen die Architekturwelt ein bisschen , aber Genf nicht ganz so anders aus. Le Corbusier war zwar ein Sturkopf, aber wer weiss ob das Projekt in der Umsetzung nicht an der Radikalität des Wettbewerb-Entwurfs verloren hätte. Schliesslich hat die öffentliche Diskussion rund um das Projekt aber dazu geführt, dass die modernen Architekt*innen sich hinter Le Corbusier gestellt haben und die Internationalen Kongresse Moderner Architektur (CIAM) initiierten. Von den 23 Projekten, die wir in der Ausstellung in Basel zeigen, gibt es effektiv nicht ein einziges bei dem sich nicht ein noch so kleines “Happy End” finden ließe. 

  • Der Dokumentarfilm “The Competition” ist effektiv ein großes Theater, der – Achtung Spoiler – mit dem Misserfolg aller Beteiligten endet.

  • The Competition: Der Dokumentarfilm von 2013 unter der Regie von Angel Borrego Cubero gibt Einblick in die Welt der Architekturwettbewerbe, der oft ein großes Theater ist, nicht nur wenn ein Schauspielhaus gebaut werden soll. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum

    Einen Teil nimmt in der Ausstellung auch ein Architekturwettbewerb in Andorra ein. Im Bezug zum Schweizer Andorra-Autor Max Frisch – der ja auch selbst Architekt war – nur ein Zufall?

    Die Verbindung haben wir noch gar nicht gemacht – danke dafür –, aber die Ausstellung hat lauter Handlungen und Figuren die miteinander verstrickt sind. Max Frisch war auch in der Jury des erwähnten Wettbewerbs für das Zürcher Schauspielhaus und sehr stark an der weiteren Ausarbeitung beteiligt. 
    Aber der Dokumentarfilm “The Competition” ist effektiv ein großes Theater: Er zeigt den Wettstreit zwischen einigen der weltweit bekanntesten Architekt*innen um den Zuschlag für das zukünftige Nationale Kunstmuseum in Andorra (2013), der – Achtung Spoiler – mit dem Misserfolg aller Beteiligten endet. Es ist das erste Mal, dass ein Architekturwettbewerb so unnachgiebig filmisch dokumentiert wurde und deshalb wollten wir den Film unbedingt als Prolog zur Ausstellung zeigen. Er zeigt auch die fast schlaflosen Nächte vor dem Abgabetermin und die nervenzehrende Arbeitsleistung, die mit solchen Wettbewerben verbunden sind. 
    Der Film ist in einem Raum zu sehen in dem wir ein langes Regal mit ausrangierten Architekturmodellen aufgestellt haben, die uns von Büros und Hochschulen überlassen haben. Sie werden im Verlauf der Ausstellung von Schüler*innen zu neuen Projekten umgestaltet. Damit wollen wir nicht nur den Aufwand sichtbar machen, aber auch zeigen dass nichts verloren geht – wirklich gute Ideen leben weiter.

  • Der urbane Benko-Großeinkauf in Bozen erinnert literarisch – und weniger architektonisch – auch an einen Schweizer, nämlich an das Dürrenmatt-Buch Der Besuch der alten Dame. Wie haben Sie dieses bauliche Vorhaben außerhalb des Südtiroler Tellerrands verfolgt?

    Persönlich mit der Enttäuschung, dass die bestehende Bausubstanz nicht als erhaltenswert bewertet wurde. Sie war 2017 Teil der Armando Ronca gewidmeten Ausstellung, die Magdalene Schmidt und ich für Kunst Meran ausgeiarbeitet haben. Vor dem Hintergrund der Klimakrise ist heute so gut wie jeder Abriss kritisch zu betrachten. Denn egal wie nachhaltig der Neubau ist, durch einen Abriss geht die Energie verloren, die für das bestehende Gebäude aufgewendet worden ist. Daneben verliert man meist auch noch bestehende soziale Strukturen und erschwinglicher Mietraum. 

  • Was wäre wenn: Egal, wie nachhaltig ein Neubau gestaltet wird, der Abriss von intakter Baumasse ist für Andreas Kofler aus heutiger Sicht immer kritisch zu hinterfragen. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum
  • Wie gefährlich sind undurchsichtige Zusammenarbeiten großer Architekturbüros mit Immobilienhaien? Was kann man aus der Benko-Pleite lernen?

    Ich gehe davon aus das David Chipperfields Büro sich bewusst war, dass der Projektverlauf eine Achterbahnfahrt werden könnte. Es gibt Bauherrschaften, die durch ihre Schlagkraft Projekte kompromissloser vorantreiben als andere. Diese “Gefährlichen Liebschaften” bringen Architekt*innen genauso Vorteile wie Risiken. Aber man muss dazu sagen, dass Architekturprojekte so gut wie nie einen linearen Weg bestreiten. Sie schreiten voran, zweigen ab, kehren um oder bleiben stehen. Unabhängig vom Maßstab addieren sich im Laufe eines Projekts die Einflussnahmen. Es gibt Gönner*innen und Widersacher*innen, Unterstützer*innen und Saboteur*innen, kleine und große Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen, die schließlich auch noch einem verbindlichen Normenwerk entsprechen müssen. Man kann sich vorstellen, wie diese Entscheidungen sich zu einem Multiversum aus “Parallelwelten” addieren. Und eine solche Parallelwelt zeigen wir gerade im S AM.

  • Was wäre wenn: Selten nehmen Architekturprojekte von der ersten Idee ausgehend - etwa von einer Skizze - den geradlinigsten oder auch naheliegendsten Weg zur Umsetzung. Foto: Schweizerisches Architekturmuseum

    Sie haben in vielen großen Städten – Madrid, Wien, Rotterdam, Tokio, Paris... – studiert und gelebt. Welche hat Sie architektonisch am meisten beeindruckt?

    Dass ich so oft meinen Wohnort gewechselt habe beziehungsweise jetzt parallel in Frankreich und der Schweiz lebe, zeigt wohl, dass ich die Frage nicht abschließend beantworten kann. Ich pendle fast wöchentlich in nur drei Stunden zwischen Paris und Basel und beobachte wie wunderbar die zwei Orte sich ergänzen. 

  • Basel ist, wohl wie Rotterdam, ein Ort in dem architektonisch viel experimentiert wird, weil die Stadt nicht als vollendet verstanden und in Transformation ist. Paris kann hingegen nur noch “pariserischer” werden, wie Rem Koolhaas dies beschrieb, denn eine Stadt mit einer so klaren Identität ist darin auch gefangen. 
    Südtirol hat wohl ein bisschen was von beidem. Ich glaube, viele würden sagen wir haben eine klare – architektonische – Identität, doch wenn man fragt “welche” kommt man ins stottern. Aber genau darin steckt auch noch großes Potential.

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Josef Fulterer Do., 04.01.2024 - 07:06

Entscheidungen des Wähler würden sicher EINIGE, der -s e l b s t - s i c h - e i n -DENKMAL setzenden Politiker erfundenen Unsinnigkeiten + aufgeblasene MEGA-BAUTEN von Spekulanten, vom Format Hager & Benco verhindern ...
... ja wenn die Wähler wirklich neutral über das Vorhaben informiert werden + nicht mit blah - blah - blah Verheißungen + einem -g e s c h ö n t e m- RÄNDERING mit viel Buschwerk + allerhandhand Bäumen + einer entstellten Umgebung, gründlich getäuscht werden.

Do., 04.01.2024 - 07:06 Permalink