Hilferuf der Primare
Herr Pycha, kommt jetzt die definitive Abrechnung mit dem Sanitätsressort?
Keineswegs. Dieser Brief ist weder ein persönlicher Angriff auf Landesrat Theiner noch eine Generalabrechnung. Im Gegenteil: Wir haben seit zwei Jahren eine gute Gesprächsbasis mit dem Assessorat. Doch das Problem ist: Es passiert nichts, alles was wir sagen, bleibt ohne Konsequenzen. Ich würde diesen Brief also als Hilferuf der Primare bezeichnen. Wir würden gerne gehört werden und wir hätten gerne, dass unsere Einwände zumindest bedacht werden.
Das Diktat der Ökonomie, das sie in Ihrem Brief kritisieren, hat aber teilweise auch mit Zwängen zu tun, der die Politik aufgrund nationaler Vorgaben oder Sparzwängen ausgesetzt ist. Haben Sie hier konkrete Gegenvorschläge?
Wir haben etliche konkrete Vorschläge gemacht in den vergangenen zwei Jahren. Diese wurden auch immer gehört und zum Teil wurde gesagt, ja, so könnte man das machen. Aber danach ist nie etwas passiert. Es ist auch nicht unsere Aufgabe die politische Sanität zu leiten, wir sind an der Front und kämpfen an der Front. Doch wir sehen das wie in einem Autorennstall: Auch dort wird der Pilot gefragt, wie die Maschine geht und der Rat eines Piloten ist für die Ingenieure Gold wert. Deshalb war Michael Schumacher auch so gut, weil die Ingenieure gesagt haben, wir kriegen brauchbare Hinweise, was wir verändern müssen.
Doch die Schumachers der Krankenhäuser werden nicht gehört?
Gehört werden sie, doch es ändert sich nichts. Wir haben der Sanitätsdirektion zum Bespiel das Problem des Aus- und Fortbildungsportals für Ärzte vorgebracht. Früher brachte man die nötigen Dokumente, also Vortragsplan, Teilnehmerlisten und Kostenaufstellungen, in das zuständige Amt am Krankenhaus und dann wurde das Programm in einer Kommission genehmigt oder nicht. Heute muss ich als Primar sämtliche Daten in meinem Computer selbst eingeben, es danach genehmigen lassen, und danach wieder alle nötigen Dokumente selbst ausdrucken. Das heißt, was mich vorher vielleicht eine halbe Stunde gekostet hat, frisst nun zwischen zwei Stunden und einem halben Tag.
Und das schreibt Ihnen Landesrat Theiner oder Sanitätsdirektor Fabi vor?
Das wurde von einer Kommission erarbeitet, in der kein Arzt saß. Das heißt, irgendwelche Bürokraten haben festgelegt, dass die Verantwortung jetzt beim Primar liegt, die Entscheidungsverfügung bleibt aber nach wie vor beim Bürokraten. Als wir dann der Sanitätsdirektion erklärten, dass es nicht Aufgabe eines Primars sein kann, Teilnehmerlisten einer Ausbildungsveranstaltung in den Computer einzutippen, hat es geheißen, das ändern wir. Doch wir tippen noch immer ein.
Hat das Lean Management Ihrer Meinung nach zu einem Qualitätsverlust in Südtirols Gesundheitswesen geführt?
Nein, man darf nicht so tun, als wäre Südtiroler Sanität qualitativ schlecht, dagegen verwehre ich mich. Ich habe in Deutschland und Österreich gearbeitet, und ich glaube Südtirol kann glücklich sein, diese Qualität zu haben. Umso größer ist jedoch die Vermessenheit, zu schreiben, wir müssen Umstände schaffen, damit Qualität möglich wird.
Wie es im 2011 verfassten Dokument formuliert wurde, mit denen das Lean Management eingeführt wurde...
Dort wurde so getan, als ob bisher keine Qualität da gewesen wäre. Und gleichzeitig wird immer nur abgegraben, wird Personal reduziert, Arbeit verdichtet und intensiviert – und auch noch gefordert, dass die Leute super motiviert sind.
Das heißt, nicht die Qualität für Patienten, sondern die Arbeitsqualität für das Personal ist zurückgegangen?
Schauen sie nur das Programm SP-Experts an. Ein Programm zur Personalplanung, das laut Generaldirektor Fabi 450.000 Euro gekostet hat und das niemand will und braucht, weil es weder für den Primar noch für die Mitarbeiter irgendeinen Zugewinn, sondern wieder nur unendlich viel Bürokratie bringt. Der einzige Nutzen? Die Verwalter haben wieder etwas, das sie kontrollieren können und das ihnen eine Daseinsberechtigung verleiht.
Wie erwarten Sie sich nun nach diesem Hilferuf der ANPO, die immerhin zwei Drittel der 118 Südtiroler Primare vertritt?
Es wird am kommenden Montag ein Gespräch der ANPO mit dem Assessorat geben. Und jetzt warten wir einmal ab, was dort herauskommt.
Boxenstopp oder Rennstallwechsel
Wenn ein Primar von der Größe eines Dr. Pycha, und seinem Bruder ergeht es nicht viel besser, einen Vergleich zieht mit der Formel 1 und sich eine Zusammenarbeit wünscht, wie sie Schumacher immer vorgefunden und gelobt hat, dann spricht das Bände. Einmal weil der Primar nicht nur von seinem Fach was versteht, sondern auch von Management und Teamgeist. Sicher hat er die Serien-Erfolge Schumachers vor Augen und würde sich sowas auch in seinem Krankenhaus vorstellen können und wünschen. Doch es wird nicht möglich sein. Denn im Südtiroler Rennstall wird nicht der Fahrer Weltmeister, sondern der Teamchef und der Chefmechaniker. Das genügt vollkommen. Der Fahrer muss schon froh sein, wenn ihm beim Boxenstopp die Reifen gewechselt werden. Neulich sollen nur mehr zwei von vier ausgetauscht worden sein, wegen der Sparmaßnahmen. Wenn der Fahrer in den letzten Runden dann auf den Felgen daherkommt, ist das sein Pech und das der Zuschauer, sprich Patienten. Da wird wohl nur ein Rennstallwechsel etwas bringen. Aber dann hat das Südtiroler Team wieder einen guten Fahrer weniger. Jammerschade. Weltmeister werden wir aber trotzdem, wohlgemerkt!
Gesellschaft oder Politik
Fällt mir noch ein: Ist dieser Beitrag nicht irgendwie falsch plaziert.
Das Ganze hat wohl mehr mit Politik zu tun als mit Gesellschaft. Obwohl, ich kann damit leben, denn ich sage mir oft: "Das ist mir eine nette Gesellschaft!"