Kein Händchenhalten in Südtirol
Irgendwann, im Laufe des Gesprächs, wird Andreas Unterkicher leise. Der Vorsitzender des Vereins Centaurus, „vollkommen geouteter“ Schwuler und Gerichtsdiener sagt: „Mit meinem Freund öffentlich Händchenhalten würde ich glaube ich hier bei uns nicht.“ Er denkt nach am Telefon, „nein, das hab ich noch nie gemacht“, entkommt es ihm. Und das macht nachdenklich. Es sagt viel aus, über Schwulsein in Südtirol, „sich offen zu zeigen, das traut sich kaum jemand. Ja, nicht mal ich und jeder weiß, dass ich schwul bin. Da hat man glaube ich einfach Angst“, sagt Unterkircher, „verbale Angriff kommen schnell, da wird man schon schief angeschaut.“
Ein Wagnis also in Südtirol wenn sich gleichgeschlechtliche Paare öffentlich zeigen. Liebe und Zuneigung darf es geben, aber bitte doch nicht vor aller Augen. Guido Barillas Aussage vom 26. September, er würde niemals Werbung mit homosexuellen Menschen machen, löste internationale Aufregung auf. Für Andreas Unterkircher ist diese Aussage einmal mehr ein Beweis für die italienische Kultur des Tabuisierens und Zudeckens. Die Suizidrate bei jungen Männern in Italien sei sehr hoch, dieses Thema werde im Kirchenstaat tunlichst vermieden, „ja“, sagt er, „der neue Papst ist sicher besser als sein Vorgänger. Doch die katholische Kultur ist hierzulande sehr stark, da kann selbst ein Papst nicht viel ausrichten.“
Einer von drei jungen Schwulen mit Suizidgedanken versucht demnach, sich das Leben zu nehmen. Bei den Heterosexuellen sei es nur einer von 34. Mehr über die Schweizer Studie lesen Sie hier.
Planggers Aussagen
Unterkircher möchte in Südtirol einiges nicht so stehen lassen. Einmal wäre da das Interview der Südtiroler Tageszeitung mit dem SVP-Abgeordneten Albrecht Plangger, in dem das von der Kammer verabschiedete Anti-Homophobie-Gesetz noch mal aufgerollt wird. Unterkircher findet dieses Gespräch „allerhand“, „scheinheilig“ und „bespickt mit homophoben Aussagen.“ Planggers Worte, die Unterkircher aufstoßen: „Man hat den Schwulenhass fast mit dem Ausländerhass gleichgesetzt, soweit muss man nicht gehen“, und es könne ja nicht angehen, „den Schwulen einen Heiligenstatus zu verschaffen.“ Vordergründig stimmt Plangger für das Anti-Homophobiegesetz, hintenrum wird ihm Wahltaktik unterstellt, Unterkircher postet: „Kompliment an den Herrn Abgeordneten, es hat ihn einige Mühe gekostet." Eine Rangordnung für Diskriminierungen aufzustellen, "das finde ich schon schlimm", sagt Unterkircher. Ausländer vor Schwule? "Diskriminierungen sind auf jeden Fall zu vermeiden.“ Und er unterstreicht: „Nein, wir wollen nicht als Heilige dargestellt werden.“
Ein halb volles Glas für Schwule
Plangger sagt das, was sich viele denken: Schützen wir die Schwulen, aber sie sollen sich doch bitte angemessen verhalten. „Ja, ich bin schon etwas stuff“, gibt Unterkicher unumwunden zu, „seit Jahren kämpfen wir für ein Gesetz, das die Beleidigung und Beschimpfung von Schwulen ahndet und jetzt haben wir wieder einmal ein halb gefülltes Glas.“ Am Gesetzesentwurf kritisieren Homosexuelle Vereinigungen im ganzen Stiefelstaat vor allem einen Passus: für politische und religiöse Vereine und Verbände gilt die Ahndung nicht. „Das ist wirklich ein Wahnsinn“, erklärt Unterkircher „eine Vereinigung wie Forza Nuova kann als Gruppe Schwule weiterhin beleidigen ohne, dass es als erhärtender Umstand bewertet wird. Nur Einzelpersonen sollen laut Gesetzesentwurf bestraft werden.“ Bezeichnend sei das, sagt der engagierte Schwule, der für die Grünen bei der Landtagswahl kandidiert. „Einmal mehr ein Zeichen dafür, dass sich die politische Szene in Italien nicht wirklich mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzen will.“
Mitten im Parlament, während der Debatte rund um das Anti-Homophobie-Gesetz, standen Dutzende Abgeordnete auf, und küssten sich.
„Ich bin traurig.“
Ein Gegenwind, ein starker, sei bemerkbar, sagt Unterkircher „wir hoffen jetzt einfach, dass diese Einschränkung im Senat gestrichen wird.“ Dass sich Schwule in Italien („wir bilden das Schlusslicht in Europa mit einem Antihomophobie-Gesetz“) „dauernd mit halben Sachen zufrieden geben müssen, darüber bin ich traurig“, sagt er. Das Anliegen gleichgeschlechtlicher Paare auch in Italien endlich den Schritt vor den Traualtar zu gehen bewertet Unterkicher so: „Wir wollen genau das kriegen, was mittlerweile überholt ist – die Ehe. Wir wollen die Gleichberechtigung. Wir wollen aussuchen können, wilde Ehe oder offizielles Zusammensein. Wir wollen mündige Staatsbürger sein.“
Guido Barilla hat sich in der Zwischenzeit entschuldigt, Arnold Tribus, Herausgeber der Südtiroler Tageszeitung schrieb in seinem Kommentar am 5. Oktober 2013: „Wer Homopaare nicht mag, ist deshalb nicht homophob.“ Die ganze Aufregung um den Barilla-Chef versteht Tribus nicht: "Ja hat ein Unternehmer nicht das Recht, für die traditionelle Familie ein zu stehen?"
Wer Kinder nicht mag ist nicht kinderfeindlich, wer Ausländer nicht mag, noch lange nicht ausländerfeindlich. Oder? Europa ist nicht ausländerfeindlich, wenn Flüchtlinge vor der italienischen Küste ertrinken? Europa mag nur keine Ausländer. So ist das eben.
stiller Protest
Lieber Andreas, wie wäre es mit einem stillen "händchenhaltenden" Marsch durch Bozen? Dann können sich Hetero's Händchenhalten, Homo's Händchenhalten und wer sonst noch will Händchenhalten (Ich lade auch A. Tribus ein). Hintereinander, nebeneinander, gemeinsam, spazieren wir dann durch die Stadt. Als ob es das Normalste der Welt wäre. Genau das was es auch sein müsste. Ich komme gerne. Meld di.