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„Der Recycling-Mythos“

Alexandra Fruhstorfer und Nina Sandino wollen die Fast Fashion umkrempeln und sind bald in Bozen zu Gast. Interview mit Fruhstorfer über Schafwolle und Zukunft.
Alexandra Fruhstorfer, Nina Sandino
Foto: Christine Pichler
  • SALTO: Frau Fruhstorfer, Sie beschreiben sich als transdisziplinäre Designerin mit einem investigativen und forschungsgeleiteten Ansatz. Wie sieht Ihre alltägliche Arbeit aus?

    Alexandra Fruhstorfer: Ich habe an der Universität für angewandte Kunst in Wien Industriedesign studiert. Derzeit arbeite ich sehr wenig im kommerziellen Bereich für Unternehmen, sondern sehr viel im Kunst- und Kulturbereich mit Museen, Designfestivals und Stakeholdern aus der Zivilgesellschaft. Meine Formate lassen sich wahrscheinlich eher mit forschender Bewusstseinsbildung beschreiben, dabei beschäftige ich mich mit Innovation aus den Perspektiven von Gesellschaft und Design im Fokus auf die ökosoziale Transformation. 

    Um was geht es in Ihren Formaten?

    Ein Schwerpunkt meiner Arbeit sind kulturelle Forschungsprozesse, in die ich Gruppen partizipativ mit einbinde. Es ist mir wichtig, Innovationsprozesse transparent zu machen, zu öffnen und zu demokratisieren. In Workshops nähern wir uns erlebnisorientiert gemeinsam an Themen an und beschäftigen uns mit Materialien, Prozessen aber auch mit gesellschaftlichen Zusammenhängen. Die Ergebnisse dieser Workshops lasse ich in meinen zweiten Arbeitsschwerpunkt, die Ausstellungsformate, einfließen. Darüber hinaus berate ich Unternehmen, wie sie ihr Management sozial und ökologisch nachhaltiger gestalten können. 

    „Ein Großteil der Textilprodukte wird heute jedoch aus Erdöl hergestellt.“

    Wie hat das Studium an der Angewandten Ihre spätere Arbeit beeinflusst?

    Der Studienzweig „Industrial Design“ ist stark durch die Besetzung der Professur geprägt. Vor meiner Generation war das Studium sehr klassisch auf die Produktentwicklung ausgerichtet, Hartmut Esslinger hat beispielsweise die ersten Computer von Apple designt und leitete den Studiengang bis zum Jahr 2011. Als ich mein Studium begann, war die Professur mit seiner Nachfolgerin Fiona Raby besetzt. Sie prägte mit Anthony Dunne am Londoner Royal College of Art die Begriffe Critical Design und Speculative Design und revolutionierte damit den Designbegriff als solchen. Das hat mich in meinem Schaffen stark inspiriert. Wie kann man Design dazu verwenden, nicht in erster Linie Antworten und Lösungen zu bieten, sondern Diskursräume dafür zu öffnen, wie wir in Zukunft zusammenleben möchten? Denn Design als Werkzeug, um den Markt mit immer neuen Gegenständen zu bedienen, muss aus meiner Sicht in Frage gestellt werden. Design kann in der Gesellschaft auch eine neue andere Rolle einnehmen. 

  • Fashion For Future in Bozen

    Die Veranstaltungsreihe „Fashion For Future“ findet heuer zum zweiten Mal von 20. bis 24. April in Bozen statt und ist Teil der weltweiten „Fashion Revolution Week“. Teil des Programms sind Kleidertauschpartys („Swap Party“), eine Keynote von Alexandra Fruhstorfer, ein Workshop mit der Tänzerin und Performance Künstlerin Nina Sandino und viele weitere Veranstaltungen. 

    Foto: Fashion For Future Bolzano
  • Sie kommen für „Fashion For Future“ nach Bozen. Über was werden Sie in Ihrer Keynote sprechen?

    Ich beschäftige mich seit mehreren Jahren mit den verschiedenen ökosozialen Auswirkungen von Fast Fashion, dem noch immer vorherrschenden Produktionsparadigma der Modeindustrie. Dabei sind sowohl die Hinterlassenschaften auf dem Planeten als auch die Arbeitsbedingungen in der Modeindustrie der Ausgangspunkt für viele meiner Projekte. Viele der verheerenden Folgen, die auf die Massenproduktion zurückzuführen sind, sind uns schon bewusst, beispielsweise die Desertifikation ganzer Landstriche durch den Wasserbedarf von Baumwollplantagen. Ein Großteil der Textilprodukte wird heute jedoch aus Erdöl hergestellt. Nicht nur die Gewinnung dieses Rohstoffes hinterlässt bedenkliche Spuren, synthetische Textilien tragen außerdem im Gebrauch maßgeblich zur globalen Mikroplastikverschmutzung im Wasser, wie auch an Land bei. Dieser Aspekt wird auch auf politischer Ebene noch vernachlässigt und stattdessen wird mit dem Recycling-Mythos sehr erfolgreich Greenwashing betrieben.

  • Alexandra Fruhstorfer: „Mode drückt etwas aus und kann politisch sein.“ Foto: Valerie Marie Voithofer

    Was meinen Sie damit?

    Ein Pullover wird aus recycelten Plastikflaschen hergestellt und nicht mehr aus Rohöl. Am Ende des Tages muss dadurch an der Produktionskette selbst nicht viel verändert werden. „Das Recycling“ eignet sich aber bestens für Marketing. Diese Art von Recycling, besonders im Textilsektor, impliziert massives Downgrading (Herabsetzung, Anmerkung d. R.) des Rohstoffes. Greenwashing im Zusammenhang mit Recycling muss deshalb diskutiert werden. Gleichzeitig müssen wir auch in die Zukunft schauen und neue nachhaltigere Modelle für die Textilproduktion entwickeln. Zum Beispiel wird viel Schafwolle gar nicht für die Textilproduktion genutzt, da die Viehhaltung vielerorts nur der Fleischerzeugung dient. Das ist sowohl in Österreich als auch in Südtirol Thema. In der Nutzung nachwachsender Rohstoffe liegt also noch viel Potential. Abgesehen davon braucht es nicht nur einen materiellen, sondern vielmehr einen kulturellen Wandel, um die Nutzungsdauer von Kleidungsstücken zu erhöhen, beispielsweise durch Reparatur und Pflegepraktiken. Wie können wir mit weniger Ressourcen unsere Bedürfnisse in der Mode stillen?

    Eine schwierige Frage… 

    Mode ist ein vielschichtiges Thema. Mode drückt etwas aus und kann politisch sein. Es ist ein ideologisch aufgeladener Konsumbereich. Die ökosozialen Folgen der Modeindustrie und die eigene Verantwortung sind deshalb ein besonders interessantes Spannungsfeld für mich. Dabei steht natürlich die wichtige Frage im Raum, wie wir das Modell Fast Fashion mit alternativen und konkurrenzfähigen Modellen ablösen können. 

    „Dafür braucht es innovative Ideen und Prozesse, um diese Veränderungen auch vorstellbar zu machen – und die gibt es!“

    Junge Südtiroler Schneiderinnen gibt es. Es fällt ihnen aber sehr schwer, mit diesem Geschäft über die Runden zu kommen. 

    Wenn wir nur über ökonomische Konkurrenzfähigkeit sprechen, dann gibt es keine Chance für alternative Modelle. Denn im Moment profitieren wir sehr viel von globalen Ungerechtigkeiten. Die Preise in Geschäften hier sind nur möglich, weil es weltweit komplett unterschiedliche ethische Standards für den Umgang mit Menschen, Tieren und Umwelt gibt. Das ist ein großes strukturelles Problem. Ein lokales Modell, wo Umwelt- und Tierethikstandards eingehalten und ordentliche Löhne gezahlt werden, kann da nicht mithalten. 

    Gibt es Licht am Horizont?

    Das zwar sehr abgespeckte Lieferkettengesetz, das nun von der EU beschlossen wurde, ist auf politischer Ebene ein erster Schritt, wenn auch ein zögerlicher. Darüber hinaus können Werte wie Transparenz und Fairness auch die Kaufentscheidung Einzelner beeinflussen. Wenn die Politik, die Unternehmen und auch die Menschen, die Kleidung kaufen und nutzen, zusammenspielen, dann können alternative Modelle konkurrenzfähig werden. Dafür braucht es in erster Linie innovative Ideen und Prozesse, um diese Veränderungen auch vorstellbar zu machen – und die gibt es! Sie müssen nur vor den Vorhang geholt und ausprobiert werden.