Politik | Kommentar

Schweigen ist Gold!

Das Tagblatt der Südtiroler verschweigt seit fast einer Woche bewusst, dass der Haupttäter der Meraner Schlägerei ein Südtiroler ist. Südtirols alltäglicher Rassismus?

Eigentlich war der Kampagne bereits die Luft ausgegangen. Dann plötzlich wurde alles anders. Ein brutaler Übergriff auf einen jungen Meraner. Ein Täter, der wenig später gefasst wird und perfekt ins Bild passt. 19 Jahre alt und Albaner. Und dann eine Landespolitik, die reagiert wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen. Gleich zwei Sicherheitsgipfel werden einberufen und der Ruf nach mehr Polizei und Kontrollen wird per Volkszorn dekretiert und von den Lokalpolitikern umgehend publikumswirksam hinausposaunt.

Der Meraner Überfall ist aber auch der Grund, dass das Tagblatt der Südtiroler eine Kampagne wieder ausgräbt, die der Ebner-Verlag vor 15 Monaten ins Leben gerufen hat: „Stopp der Gewalt - Gemeinsam gegen Schlägerbanden“.

Der bedauernswerte Angriff auf zwei Kinder von Chefredakteur Toni Ebner war im Sommer 2013 der direkte Anlass für den Start dieser Kampagne. Über Nacht rief man plötzlich eine Art Gewaltnotstand in Südtirol aus. Mit seiner gesamten publizistischen Macht machte der kirchliche Verlag tagelang gegen „organisierte albanische Schlägerbanden“ mobil und verbreitete ein einfaches Bild: Südtirol sei im Würgegriff von albanischen Schlägern.

Schon bald aber bekam man auch im Haus Athesia Angst vor den Geistern, die man da gerufen hatte. Man brauchte nur in eigenen Internetforen nachlesen, was manche Südtiroler und Südtirolerinnen da zum Besten geben, um zu merken, dass man dem primitivsten Rassismus den Weg bereitet. Zudem protestierten die Journalistengewerkschaft und die Zivilgesellschaft gegen diese publizistische Hetzjagd. Das Tagblatt der Südtiroler musste daraufhin die Schlagrichtung leicht korrigieren.

Jetzt aber folgt Teil 2 der Kampagne. Diesmal noch perfider.

Seit gut zehn Tagen breitet das Tagblatt der Südtiroler Details über den namentlich genannten 19jährigen Haupttäter aus dem Kosovo aus. Am Freitag legt man dann ein Scheit nach: Die Dolomiten berichten auf ihrer Titelseite von einem „Paukenschlag“. Der Meraner Täter soll angeblich in den Hausarrest entlassen werden. Der Grund: Der Tathergang sei nicht restlos geklärt. Im Internetportal STOL schreibt man wenig später dann: „Die schweren Fußtritte gegen den Brustkorb und ins Gesicht des Bewusstlosen soll ein 17-Jähriger getätigt haben.“ Die Wirkung des „Paukenschlages“ auf der Titelseite kann man immer noch in den Internetforen des Landes nachlesen.

Damit die Volksseele aber so hochkocht, muss die „Athesia“ kurzerhand die Realität etwas zurechtrücken. Denn bis heute hat das Tagblatt der Südtiroler eine zentrale Nachricht bewusst verschweigen. Der 17jährige Täter aus Meran ist ein Südtiroler mit deutschem Vornamen. Genau das ist seit sieben Tagen aktenkundig und bekannt. Am vergangenen Mittwoch hat der ermittelnde Staatsanwalt Axel Bisignano auf „Rai Südtirol“ eine entsprechende Medienmeldung bestätigt.

Doch das passt nicht ins Weltbild der selbsternannten Retter des Abendlandes. Denn bis heute stand davon kein Wort im Tagblatt der Südtiroler. Man will und muss es anscheinend bewusst verschweigen.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

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Mensch Ärgerdi… Mo., 06.10.2014 - 16:44

Ich glaube dass es hier um eine Krankheit handelt die mehr oder weniger alle Medien und Blätter betrifft.
Hier auf Salto ist heute Mittag auch ein Artikel auf einmal verschwunden, vielleicht weil die Kommentare darunter doch ein wenig zu weit gingen und man eine Person in der Luft zerrissen hat? Das soll jetzt keine Anschuldigung an die Redaktion sein, aber ich hab das nicht ganz korrekt gefunden.

Mo., 06.10.2014 - 16:44 Permalink
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Harald Knoflach Mo., 06.10.2014 - 19:21

natürlich wird hier mit zweierlei maß gemessen. keine frage.

doch das hauptproblem, das franceschini leider nicht anspricht, ist doch nicht, dass hier name und herkunft NICHT genannt werden, sondern dass sie in den meisten anderen fällen entgegen rechtsstaatlicher prinzipien und journalistischer ethik SEHR WOHL genannt werden.

der umgang mit persönlichkeitsrechten in südtirol und in italien ist eine sauerei und auf mittelalterlichem niveau im vergleich zu anderen demokratien in europa. in nordtiroler medien wäre es undenkbar, dass unfallopfer geschweige denn verdächtige/beschulidigte mit namen genannt werden. alles anonymisiert.

den zweiten kapitalfehler, den franceschini macht (den ich sonst für seine großartigen berichte und reportagen sehr schätze), ist, dass er den verdächtigen als täter bezeichnet. in einem rechtsstaat ist man so lange unschuldig bis die schuld von einem ordentlichen gericht bewiesen ist. folglich darf ich auch nicht von einem täter sprechen. die person ist ein verdächtiger oder höchstens ein mutmaßlicher täter. schweinerei sowas.

damals - bei diesem mord am virgl wurde beispielsweise nicht nur der name des tatverdächtigen sondern sogar der einer zeugin publik. veröffentlicht haben die namen damals die carabinieri!!! essentielle prinzipien des rechtsstaates mit füßen getreten, von der exekutive selbst. *kopfschüttel*

anlässlich des virgl-mordes hab ich meine gedanken bereits einmal niedergeschrieben: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=14476

Mo., 06.10.2014 - 19:21 Permalink
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Thomas Kobler Di., 07.10.2014 - 11:51

Antwort auf von Harald Knoflach

Ich schätze deine beruhigende und durchdachte Art sehr. Nur fällt mir immer wieder auf, dass du mit deinen Beiträgen den eigentlichen Sukkus solcher immens wichtiger Beiträge wie den jetzt von Franceschini damit irgendwie zunichte machst. Schön und gut, er dürfte nicht von Täter sprechen und müsste vom "Hauptverdächtigen" schreiben, aber haben wir damit einen Erkenntnisgewinn erzielt? Jede/r hier weiß wahrscheinlich genauso gut wie du, dass es zuerst einen Richterspruch braucht, um zu diesem Urteil zu kommen. Aber du nimmst dem wirklichen Thema immer den Wind aus den Segeln. Die wirkliche Schweinerei, nämlich die Berichterstattung und den sog. Journalismus (der definitiv keiner ist) der Athesia ignorierst du, anstatt endlich mal das anzuprangern, was es wert wäre angeprangert zu werden. Du verlierst dich in Details und diskutierst lieber darüber was Franceschini das nächste Mal hätte besser machen können. Das ist gut und wichtig, keine Frage, aber bei der Dolo und am Weinbergweg wird man sich darüber freuen, dass es Leute gibt, die von den eigentlichen Sauereien in diesem Land auch noch ablenken. Bewegt es dich denn emotional und als Mensch kein bisschen, dass wir es hier fast schon mit institutionellem Rassismus zu tun haben, dass es da eine Blattlinie gibt, die nicht feige ist eine Stopp-der-Gewalt-Kampagne auf dem Rücken von bestimmten Personengruppen zu starten und dann nachfolgend in der Berichterstattung zwar immer wieder den "schwer belasteten Albanerschläger" samt Vor- und Nachnamen zu nennen, aber über den mittlerweile Hauptverdächtigen Südtiroler kein Wort zu verlieren? Dein Unrechtsbewusstsein bei irgendwelchen Textfetzen scheint sehr ausgeprägt, während du dabei vergisst, die wirklichen Schweinereien in aller Entschiedenheit zu geißeln und gegen dieses absolut augenscheinliche Unrecht deine Stimme zu erheben. Verstehe ich nicht und werde ich auch nie nachvollziehen können. Denn das Hauptproblem ist nicht etwa, dass der Name und die Herkunft genannt oder NICHT genannt werden (du hast mit deinem Einwurf absolut Recht!), DAS Hauptproblem, also jenes, das unsere Gesellschaft Tag für Tag vergiftet ist die Berichterstattung bzw. Nicht-Berichterstattung der Athesia-Medien.

Di., 07.10.2014 - 11:51 Permalink
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Harald Knoflach Di., 07.10.2014 - 12:59

Antwort auf von Thomas Kobler

hallo thomas,

1. hab ich in meinem ersten satz den grundsätzlichen inhalt von franceschinis beiträgt bestätigt und gutgeheißen.
2. denke ich, dass die achtung der persönlichkeitsrechte eines der absolut höchsten güter im rechtsstaat ist, und dass eine missachtung derselben sehr schwerwiegend ist. sonst können wir die gerichte gleich abschaffen und lassen einfach die medien und den pöbel über schuld und unschluld entscheiden. und wie mein link zeigt, kreide ich das nicht erst jetzt an, sondern habe das spätestens zum damaligen virgl-mord schon getan. in kommentaren bereits davor - egal ob es sich um aus- oder inländer handelte. ich bleibe dabei: das problem ist nicht, dass herkunft und name des nunmehrigen mutmaßlichen täters nicht genannt werden, sondern dass in den meisten fällen davor - vor allem wenn es um ausländer ging - die persönlichkeitsrechte systematisch verletzt wurden.
3. klar bewegt mich das. und anlässlich der stopp-der-gewalt-kampagne hab ich das ja auch bereits niedergeschrieben.
http://www.salto.bz/article/15062013/ein-maennerproblem
4. mir vorzuwerfen, dass ich in rassismusfällen zu wenig aktiv sei, ist abenteuerlich. erstens kannst du nicht wissen, wo und wie ich überall in dieser hinsicht aktiv bin und ich habe auch in einem anderen thread (der mittlerweile gelöscht ist,) zu diesem fall bereits stellung bezogen und zweitens habe ich zahlreiche hetzerische facebook-postings gemeldet - wobei ich hoffe, dass du das auch gemacht hast.
5. das hauptproblem ist sehr wohl der mittelalterliche umgang mit persönlichkeitsrechten. würden diese nicht ständig mit füßen getreten, würde sich obige frage gar nicht stellen. ich finde es pervers, dass jetzt quasi gefordert wird, einen mutmaßlichen (!) täter an den pranger zu stellen. die forderung muss umgekehrt sein - die anonymität aller verdächtigen muss zumindest bis zur verurteilung (nach ansicht mancher auch danach) gewahrt bleiben.

Di., 07.10.2014 - 12:59 Permalink
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Profil für Benutzer Thomas Kobler
Thomas Kobler Di., 07.10.2014 - 13:30

Antwort auf von Harald Knoflach

Lieber Harald, ich stimme dir ja absolut zu und weiß deinen Einwurf auch zu schätzen (was ich übrigens mehrmalig zum Ausdruck gebracht habe), aber was mich einfach stört, ist, dass dein Beitrag sich kaum bis gar nicht mit dem wirklichen Inhalt des Artikels auseinandersetzt.
Außerdem habe ich nicht gefordert einen der Täter an den Pranger zu stellen, im Gegenteil, ich habe lediglich davon gesprochen, dass die Art der Berichterstattung der Athesia-Medien zu geißeln wäre. Dass wir es hier mit institutionellem Rassismus zu tun haben ist hier wohl mittlerweile so offensichtlich, dass alles andere Augenwischerei wäre.
Zudem werfe ich dir bestimmt nicht vor, dass du dich nicht gegen Rassismus einsetzen würdest, wer wäre ich denn, wenn ich das machen würde? Ich kenne dich nicht persönlich und deshalb stünde es mir auch gar nicht zu, diesbezgl. ein Urteil zu fällen, ich schätze deine Texte und deinen Einsatz sehr. Aber dennoch und das wollte ich hiermit zum Ausdruck bringen, kann ich mich manchmal nicht des Eindruckes erwehren, dass durch deine wichtigen und richtigen Einwände, das eigentliche Thema etwas unter den Tisch fällt und man über Begrifflichkeiten und Details diskutiert, anstatt den Kern des Problems zu thematisieren. Die Athesia-Medien sind mittlerweile fast schon auf Kronenzeitung-Niveau angelangt (auch wenn auf den ersten Blick vielleicht nicht so offensichtlich scheint) und wir tun großteils so, als wäre das eben normal bzw. nicht zu ändern. Ich kann hier nur nochmals und in aller Deutlichkeit sagen, dass ich mehr denn je der Meinung bin, dass die Athesia-Medien den Bärenanteil daran tragen, dass die allgemeine Stimmung in diesem Land immer deutlicher und merklicher nach rechts auszuschlagen scheint und dass bestimmte gruppenbezogen-menschenfeindliche Positionen gerade und durch die Art der Berichterstattung erst salonfähig gemacht wurden. Wir sollten uns das schlichtweg bewusster machen und es auch jenen Menschen näher bringen, die sich kaum oder gar nicht mit der Manipulationskraft von Medien auseinandersetzen und bestimmte perfide Zusammenhänge nicht sehen oder viell. auch nicht auf den ersten Blick durchschauen wollen.

Di., 07.10.2014 - 13:30 Permalink
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Profil für Benutzer Klaus Hartmann
Klaus Hartmann Di., 07.10.2014 - 16:08

Unsere Medien leisten mit bewussten Falschmeldungen (oder eben unterlassenen Meldungen) dem Irrsinn Vorschub.
Ich habe nicht den Anspruch ein gut informierter Bürger dieses Landes zu sein.
Ich bin ein Schlagzeilenleser und als solcher reime ich mir den Rest notfalls zusammen.
Aber auch Schlagzeilen haben es in sich.
Man spürt den Schlag. Der Schlag soll treffen - am besten in die Magengrube. Es muss wohl so sein. Er soll unser Denkvermögen deaktivieren, uns mürbe machen, uns zerstreuen, vom wesentlichen ablenken, uns emotionalisieren, manipulieren, verunsichern und verängstigen.

Die Botschaft ist klar: „die Welt ist böse“ oder besser noch „die Andern sind böse“.
Unser Zuhause, unsere Dörfer, Städte, Straßen, Plätze, Schulen, Promenaden usw. sind keine sicheren Orte der Begegnung und des Austausches mehr – es sind vielmehr Orte der Gewalt und diese Gewalt ist willkürlich, allgegenwärtig und brutal. Dann geben wir dieser Gewalt noch ein Gesicht – dunkel, fremd – anders eben. Man plärrt uns diese Botschaft so lange vor bis wir an sie glauben – bis wir sie ganz und gar verinnerlicht haben.

Spätestens jetzt hat man uns soweit. Spätestens jetzt kann man aus unserer Angst Kapital schlagen. Politisches, soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital. Spätestens jetzt sind wir fremdbestimmt.

Wir kaufen uns Sicherheitstüren und -schlösser, Alarmanlagen, Pfefferspraydosen, besuchen Selbstverteidigungskurse, richten Bürgerwehren ein, beargwöhnen die Anderen, suchen nach Schuldigen und nach Beschützern, stimmen jeder staatlich angeordneten Überwachungs- und Durchsuchungsmaßnahme zu, schließen uns zu Hause ein, lassen unsere öffentlichen Räume, unsere Bars, Restaurants und Mietshäuser Videoüberwachen (mit Aufzeichnung wohlgemerkt) und merken nicht mehr wie es um und in uns eng und finster wird.

Wie lange wird es dauern bis wir das Recht auf Bewaffnung fordern und Selbstjustiz als legitimes Mittel zur Gewährleistung unserer Sicherheit betrachten?
Wie lange wird es dauern bis unser Ruf nach Recht und Ordnung uns in Uniformen zwängt?
Wie lange wird es dauern bis der „starke Mann“ die Bühne betritt und wir zu Marionetten werden?

Di., 07.10.2014 - 16:08 Permalink