Politik | Sezession

Die Gräben in der Bevölkerung

"Eine der schwierigsten Aufgaben wird es sein, die Gräben in der Bevölkerung wieder zu schließen“.
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Ein Teil Südtirols dürfte dieser Tage heftig hyperventilieren, wann immer (vermutlich oft) der Blick über den Kanal wandert, hinüber zur „Insel“: Die Wochenend-Ausgaben der großen Zeitungen überschlugen sich förmlich mit Nachrichten, dass sich beim anstehenden schottischen Referendum für oder gegen die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich nicht mehr „nur“ ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürworterinnen und Gegnerinnen abzeichnet, sondern dass - ziemlich plötzlich und sehr unvermutet - die Stimmung unter den Schottinnen (die Schotten sind selbstverständlich mitgemeint...) in diesen letzten Wochen schwer in Richtung „off we go“ gekippt ist.

Ob „gehen“ oder „bleiben“ richtig/er ist, darüber sind sich – das Befragungsergebnis macht’s deutlich – nicht einmal die Schottinnen selbst einig. Insofern möchte ich als Festländerin, die ihnen sowohl räumlich als auch kulturell nicht gerade nahe steht, mir auch kein Urteil anmaßen. Es wird aber interessant sein, zu beobachten, welche Folgen diese Abstimmung nach sich ziehen wird. Viel Gutes schwant mir nicht, wenn noch vor einigen Wochen – die No-Seite lag klar vorn, zwar ohne deutliche Mehrheit, aber immerhin - ein gemäßigter Beobachter sich veranlasst fühlte, festzustellen, dass es „eine der schwierigsten Aufgaben sein wird, die Gräben in der Bevölkerung wieder zu schließen“.

Denn man mag über die Sache der Schotten und überhaupt die demokratische Berechtigung von Sezession und Separation im westlichen Europa des 21. Jahrhunderts denken, was man will – eines scheint jedenfalls klar zu sein und wird niemand bestreiten wollen: Ohne ein gerüttelt Maß an Hass („Der Hass ist manchmal ziemlich unangenehm“, um nur eines der jüngsten Beispiele zu nennen), Ressentiments („historisches Unrecht“) und natürlich Nationalismus in einer seiner negativeren Ausprägungen haben Sezessions- und Separationsbewegungen weder ein Fundament, noch können sie Bestand haben – nicht in Schottland, und auch sonst nirgends. Sie ergeben einfach keinen Sinn:  Nicht einmal bei den Schotten, deren Abspaltungsbefürworter uns aus der Ferne Zuschauenden ja gern als „progressiv“, „links“, „ökosozial“ präsentiert werden, ist das bevorstehende Referendum ohne diese Grundzutaten allen Übels denkbar.

Und hier liegt er auch schon, der Hase im Pfeffer, hier ist der spitze Stein im Schuh, der heftig schmerzt, wenn’s hierzulande (aber auch anderswo) an und um Sezessions- und Abspaltungsfantasien geht: Der Nationalismus, der sie befeuert und antreibt, in und auf dem sie und alle nachfolgenden "Argumente" gründen, ist nicht nur einfach stolz auf das „Eigene“ und das „eigene Charakteristische“, er ist immer auch gekennzeichnet von und gepaart mit einem beträchtlichen Maß an komplexbeladener Überheblichkeit (hoch explosiv, diese Mischung!) denen gegenüber, von denen man sich abgrenzen will: Ohne die können wir besser, ohne die sind wir reicher, ohne die machen wir’s besser. Wir! in unserem Kleinen, in unserem Engen, sind nicht nur anders, wir sind auch: besser. Und natürlich geht’s ums Geld, immer, überall, um Geld, das mehr wäre, in der eigenen Tasche, um Geld, das nicht mehr an die anderen, Faulen, Unfähigen, Korrupten, verschwendet und verteilt werden muss, um Geld, das uns gehört und über das wir selbst bestimmen (!) wollen. Ich bin ziemlich sicher, die Schotten würden sich locker nochmal mindestens 700 Jahre recht gut zu arrangieren wissen mit den Engländern, wenn die Ölvorräte vor der englischen und nicht vor der schottischen Küste lägen. Erinnert sich noch jemand an das Plakat der Süd-Tiroler Freiheit, auf dem Frau Klotz und die ihren behaupten, „Südtirol, (sei) viel zu schade für Italien“. Macht doch sprachlos, oder?

Jedenfalls: Es geht ihnen, den Schotten also, nicht darum, dass sie „Europa wollen“ (oder vielleicht doch, aber wo sonst sollen sie auch hin, sie und ihr Erbe aus der Schlacht von Bannockburn, das Referenz-Ereignis, aus dem Jahre 1314), sondern in erster Linie darum, dass sie mit den Engländern NICHT wollen. Und es geht wohl auch weniger um Demokratie, als vielmehr um Nationalismus, den, der ein Feindbild braucht, um atmen zu können, und der also fleißig gefüttert werden muss, koste es, was es wolle. Was sind da schon ein paar Gräben in der Bevölkerung. Die steht sich 50:50 gegenüber: Was soll da gut gehen? Und was besser werden?

Cameron, der als vorbildlicher Demokrat gefeiert wird, weil er dem Referendum (vermutlich aus einer überheblichen Siegesgewissheit heraus) zustimmte, könnte die Abstimmung unter Umständen schon bald den politischen Kopf kosten. Und mit einiger Sicherheit werden sich die Geschichtsforscher und die Politiker eines Tages darüber streiten,  ob er es war, der diese Büchse der Pandora über Europa geöffnet hat, oder ob’s doch die sturen Schotten waren. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass England, Schottland, ganz Europa diese Geister nie wieder los werden.

Und wenn jetzt die Engländer sich beeilen, den Schotten mehr Autonomie und Zuständigkeiten und Selbstverwaltung in Aussicht zu stellen, dann heißt das noch lange gar nichts, und schon überhaupt nicht, dass die Sezessionisten im Recht waren (allenfalls, dass Cameron als "Demokrat" mit Pauken und Trompeten versagt hat). Denn die Gräben in der Bevölkerung, die werden davon noch lange nicht geschlossen. Südtirol könnte ein Lied davon singen, wenn’s die Schotten denn hören wollten: Das Land mit der "weltbesten Autonomie" (was natürlich keineswegs heißt, dass sie perfekt ist, und/oder nicht verbesserungsfähig wäre; es heißt nur, dass es keine bessere gibt. Ich glaube, das entspricht den Tatsachen) ist voller Gräben, und die sind, Sezessionisten und Revanchisten und Nationalisten sei Dank, in diesen letzten Jahren und Jahrzehnten nicht wirklich, aber vor allem nicht nachhaltig, kleiner geworden.

Lesen Sie auch hier, in der NZZ dazu.

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Sylvia Rier Di., 09.09.2014 - 13:01

Antwort auf von pérvasion

na ja pérvasion, nix für ungut, aber in diesem falle muss ich sagen: was man halt so versteht, unter Horizont und Erweiterung :-D Ich lese aus dem Artikel nur eine Sache, die einigermaßen aber auch nicht wirklich neu ist: Dass die Engländer wohl zu überheblich waren (sage ich ja selbst in meinem Text) und dass die Yes-sers die bessere Werbeagentur engagiert haben/die bessere Kampagne fahren (ich muss gestehen, nachdem ich das Video der No-ers gesehen hatte, kamen sogar mir gewisse Zweifel...). Aber ob die bessere Werbung automatisch für das bessere Produkt steht, würde ich so nicht zu behaupten wagen.

Di., 09.09.2014 - 13:01 Permalink
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gorgias Di., 09.09.2014 - 15:04

Antwort auf von Sylvia Rier

> leider trägt nichts von dem, was sie sagen, auch nur ein Fünkchen dazu bei, meinen Horizont zu erweitern und also meine Meinung, die sie ziemlich gut erfasst haben, zu revidieren <
Ich sehe es nicht als meine Aufgabe eine Person von ihrer Ignoranz und Beschränktheit zu befreien. Ganz besonders wenn Sie schon öfters wie Sie, sich nicht willens gezeigt hat, sich mit irgend einem Thema mit Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit zu befassen und meistens Positionen aufstellt die schon von alleine an ihrer logischen Inskonsistenz und inneren Widersprüchlichkeit außeinanderfallen und kaum durch eine schlampige und verzerrende Rethorik und Tricks zussamengehalten werden.

>(sie hingegen scheinen der Meinung zu sein, es sei eine gute Idee, auf "Revanchismus, Hass und Ressentiments"<
Auf dieses billiges Strohmannargument werde ich nicht weiter eingehen. - Das ist ein typisches Beispiel Ihres Niveaus.

Di., 09.09.2014 - 15:04 Permalink
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pérvasion Di., 09.09.2014 - 09:50

Antwort auf von Sylvia Rier

Hast du meinen obigen Kommentar bzgl. Frau und gönnerhaftem Taschengeld gelesen? In Katalonien sehen mittlerweile alle, auch die im Bericht genannte unabhängigkeitsgegnerische Societat Civil Catalana, ein, dass das Land ein massives Finanzierungsproblem hat. Regionen, die Geld aus Jatalonien erhalten, können ihren Bürgern Dienste anbieten, die sich Katalonien längst nicht mehr leisten kann. Mit Solidarität hat das längst nichts mehr zu tun. Was Katalonien in den Finanzausgleich einzahlt gibt es in Europa kein zweites Mal und liegt weit (!) höher als bei Bayern oder Lombardei. Diese Einschätzung *eint* Unabhängigkeitsbefürworter und -gegner wie auch aus dem NNZ-Beitrag hervorgeht. Der jetzige Präsident Mas ist eigentlich Autonomist und hat monatelang mit Madrid über einen neuen Finanzpakt verhandelt. Keine Chance, die Zentralregierung war völlig taub. Als Gegengewicht zur wirtschaftszentrierten Darstellung der NZZ empfehle ich dir aber auch, diesen Artikel aus der Madrider Tageszeitung "El País" zu lesen: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=19974

Di., 09.09.2014 - 09:50 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 12.09.2014 - 18:17

%Das Land mit der "weltbesten Autonomie" (was natürlich keineswegs heißt, dass sie perfekt ist, und/oder nicht verbesserungsfähig wäre; es heißt nur, dass es keine bessere gibt. Ich glaube, das entspricht den Tatsachen)%
Bitte??? Ich denke mal, Bayern ist ganz ohne Autonomie in vielen Bereichen viel autonomer als es Südtirol in diesem Staat jemals werden wird.

%Das Land mit der "weltbesten Autonomie" ist voller Gräben, und die sind, Sezessionisten und Revanchisten und Nationalisten sei Dank, in diesen letzten Jahren und Jahrzehnten nicht wirklich, aber vor allem nicht nachhaltig, kleiner geworden.%
Und was soll das heissen? Dass BBD schuld am Noch-Exisitieren der ethnischen Gräben in ST sein sollte?

Über den Rest des Artikelshülle ich pietätvoll einen Mantel des Schweigens.

Fr., 12.09.2014 - 18:17 Permalink
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Christoph Moar So., 14.09.2014 - 09:57

Ich will es nicht beurteilen, und schon gar nicht verbieten. Wenn du meine Antwort(en!) aufmerksam liest, merkst du, dass dieser Satz eine Hyperbel war.

So., 14.09.2014 - 09:57 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 17.09.2014 - 16:45

Antwort auf von Harald Knoflach

Ich könnte jetzt das passende Gegenstück nachschießen, gestern auch in der FAZ erschienen, nicht minder interessant. Derweil aber möchte ich drei Artikel aus der NZZ nachreichen, nicht nur, weil ich es besonders interessant bis bedeutsam finde, dass ausgerechnet (!) aus der Schweiz (!) sehr zurückhaltende bis skeptische Töne kommen, zu dieser Abspaltungsbewegung. Sehr auffallend bis bestürzend fand ich auch die Beobachtung, dass in fast allen Foren und zu fast allen Artikeln das Gros der Kommentare den Schotten „die Stange hielt“, ihrem Freiheitskampf (der keiner ist), gegen ihre Unterdrückung (die keine war). Es ging aber, dies mein Eindruck, den Usern sehr viel weniger um die Schotten, als um etwas Eigenes, für das in der Schotten-Bewegung ein Ventil gefunden wurde. Und ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Kommentare aus der gleichen Ecke kommen, aus der bei anderen Gelegenheiten über die grünen GutmenschInnen hergezogen wird. Ja, wir sollten uns Sorgen machen – weniger wegen der Schotten, als wegen dem, was in ihrem Dunstkreis wachsen kann und das auch tut (so war das gemeint mit bbd bei „Follower“, hatte mich vielleicht zu hastig ausgedrückt). Nicht zuletzt bleibt nach wie vor die über-mächtige Frage im Raum: Was tun die links-sozialen Schotten mit ihrem links-sozialen Staat für – im gesamteuropäischen Sinne – Europa, wenn sie sich auf ihr (ammesso e non concesso) links-soziales Selbst zurückziehen und Rest-England endgültig in die Hände der rechts-liberalen/rechts-populistischen/rechts-radikalen Parteien treiben? Und das alles in einem nach rechts driftenden Kern-Europa? Glauben sie etwa, dass sie als eigene Nation diesem Rechtsdrall etwas anhaben können? Geh bitte! Und warum liest man kaum je etwas darüber, dass über 80 Prozent der Schotten den Euro ablehnen? Ist das nicht wichtig? Oder passt es nicht ins Bild der europafreundlichen Schotten?
„Doch das bedeutete nicht, dass das Land vom Parlament zynisch verraten wurde, wie der schottische Historiker Christopher Whatley im Widerspruch zu traditionellen Meinungen betont hat.“ (eine andere Version der üblichen Geschichte: http://www.nzz.ch/international/grossbritanniens-zweckgemeinschaft-1.18…)
„Dass es in Schottland einen akuten Bedarf an einem von der Union bisher blockierten sozialen oder wirtschaftlichen Wandel gibt, kann nicht ernsthaft behauptet werden.“ (http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/die-schotten-haben-es-in-der-hand-…)
„Wenn die Schotten ihre Ressourcen nicht mehr mit den übrigen Briten teilen wollen, mit denen sie dreihundert Jahre lang in einer politischen Union zusammengelebt haben, wie sieht dann ihre Solidarität mit dem Rest der EU aus?“ (http://www.nzz.ch/meinung/debatte/die-eu-muss-sich-mit-dem-separatismus…)

Mi., 17.09.2014 - 16:45 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mi., 17.09.2014 - 17:50

Antwort auf von Sylvia Rier

Hallo Silvia,

na dann mach dir mal Sorgen über das, was werden kann.
Die Frage ist doch, wie man damit umgeht, wenn dieser "Dunstkreis" wirklich rechts abdriften sollte!?!?!
Und da ist deine Antwort, und die Antwort der Grünen einfach nur ignorant!
Man sollte versuchen zu gestalten ohne Scheuklappen, und nicht versuchen zu verhindern mit Scheuklappen.

Mi., 17.09.2014 - 17:50 Permalink
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Christian Mair Fr., 19.09.2014 - 10:01

Zitat aus “in Europa gibt es viele Schottlands” (http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-09/schottland-unabhaengigkeit-r…)

“Trotz der scheinbaren Europaferne des Dramas spielt Brüssel eine Schlüsselrolle. Die Europäische Union hat sich zu einem bürokratischen Durchwurstelapparat entwickelt, der dem Aufflammen von Nationalismus wie gelähmt zusah. Der Versuch in den achtziger Jahren, Aufwallungen von Provinzialstolz in einem “Europa der Regionen” aufzufangen, scheiterte kläglich. Wenn ich heute einen unserer Bezirksräte anrufe, meldet er sich mal aus Barcelona und mal aus Brüssel von Treffen einer “Versammlung der Regionen” oder einem “Ausschuss der Regionen.” Niemand nimmt die durch Europa jettenden Lokalmatadoren ernst.”

Mehr als eine Selbstbestimmung einer Region scheint mir eine Reform von Demokratie und Verwaltung notwendig zu sein. Auf welcher Ebene soll sich in Zukunft eine Subsidiarität entfalten: Kommune, Bezirk, Provinz, Region, Staat?
Und in welcher Form: digital, Ombudsmann, Budgetmitsprache?

Fr., 19.09.2014 - 10:01 Permalink