Kultur | TIPP

Kinder, lasset uns schwitzen!

Ein temporärer Denk- und Handlungsraum im Mantel eines Hamams.

Es gibt Räume, die gibt es eigentlich gar nicht. So einer ist die in drei aneinandergrenzenden Kunststoffkuppeln untergebrachte "Hamamness" im Vorraum des Hamburger Kulturveranstaltungsortes Kampnagel. Das "Live Art Festival #7" läuft dort gerade, es werden "Choreographie und Protest" verhandelt.

Es ist eigentlich kein Hamam, aber er tut so, als wäre er einer: drinnen ist es warm, es gibt Massagebänke, einen heißen "Stein", Waschvorrichtungen und Menschen, die diese auch anwenden. Alle laufen in Pestemals (das traditionelle Hamam-Tuch) herum - nun bemalt mit gegenkulturellen Zeichen. Gleichzeitig finden diskursive und künstlerische Interventionen statt: ein Gespräch über "Queering Islam" mit Leyla Jagiella und Saboura Naqshband, der Vortrag "Sonic Delinking" mit elektronischem Drumpad von Johannes Ismaiel-Wendt, queere Rituale als Performance von Keith Hennessy und Jassem Hindi, Wettkämpfe um zukünftige Kartographien von Nuray Demir & Ahmet Sitki Demir usw. Der Diskurs & die Kunst finden im Warmen statt, auf Matten liegend, mit einem Becher Tee oder einem Pfirsich in der Hand, und das 10 Tage lang, jeweils 4 Stunden von 18 - 22 Uhr. Wer so etwas organisiert, muss einen ziemlich starken Willen und auch ziemlich verrückt sein - gestatten: Nadine Jessen, derzeit Dramaturgin an Kampnagel, und mit ihr ein vielköpfiges Team.


 

"Willkommen in der osmonischen Gemeinschaft" - neue Worte für einen neuen Zustand. Osmonisch, ein Mix aus aus "Osmose" und "osmanisch", ist futuristisch. Es soll nicht mehr danach gefragt werden, woher jemand kommt, sondern wohin er/sie gehen will und auch, wohin wir gemeinsam gehen wollen. Es ist ohnehin zweitrangig, ob Er oder Sie, und ob mit oder ohne Migrationshintergrund - innerhalb der drei magischen Kuppeln werden Differenzen aufgeweicht und Kategorisierungen abgebaut.

Dennoch gibt es Regeln für drinnen, wie in jeder Heterotopie: "Kein Servicecenter", "keine Wellness-Oase", "kein Geld", "keine Kleidung", "keine Privilegien", steht am Eingang. Zurückgelassen in den Umkleidekabinen soll all das, was den postmodernen Menschen ziemlich einnimmt: Handy, Geldtasche, Kleiderwahl. Dass dann niemand dafür da ist, um seine Erwartungen wirklich zu erfüllen, auch darüber informiert die Wiener Gruppe God's Entertainment (wer am Ende keine Massage gekriegt hat, der hat es einfach versäumt, jemanden danach zu fragen) - schließlich ist Gott längst schon tot, aber wir noch immer in den Kinderschuhen. Was klar wird: eine bequeme Konsumhaltung funktioniert hier nicht. Eher ist es ein Raum der alternativen Ökonomien, ein Raum der Potenziale, deren Ausschöpfung an dem/der Einzelnen liegt.



 

Musik, Düfte, Berührungen, Geschmäcker, Lichter. "Hamamness" spielt auf allen Ebenen. Ist es ein Gesamtkunstwerk, das nur aufgeführt werden kann, wenn es von genug Menschen bespielt wird? Ein Happening, dessen Prozesse im Inneren stattfinden, aber kollektiv geteilt werden? Der Begriff Theater ist hier mehr als fehl am Platz, und sogar Performance passt nicht: zu wenig weitgreifend.
Es ist die Vision einer utopischen Welt, in der es zwar nach Plastik riecht (sind nicht alle Utopien künstlich?), in der aber die Menschen ihre potenzielle Natur pflegen können: ein radikales Miteinandersein, das auf Respekt, Aufmerksamkeit und Zuwendung für sich selber und den Anderen besteht, in manchem Fall auch Hingabe in kritischer Diskussion oder Körpertechnik.

Erstaunlich gut funktionieren dann auch die Verführungen dieses Raumes: die Aufweichung der Haut geht tatsächlich mit einer (in einem guten Sinn) Weichmachung des Geistes einher, und umgekehrt.
Schön wäre es, wenn ein solches Projekt auch einmal in Südtirol stattfinden würde: Fremde gibt es in jedem Land (und jedem Körper), verhärtet sind unsere Panzer auch hier, und etwas generelle "Hamamness" kann sowieso nie schaden. Wer in Hamburg weilt: schuld ist selber, wer nicht hingeht.

Hier noch ein paar filmische Eindrücke...