Berlusconi sucht Schlupfloch
Italiens verkommenes Parteiensystem liebt institutionelle Rituale. Dazu gehört die gestern abend vom Quirinal publizierte nota des Staatspräsidenten. Aus den gewundenen Formulierungen lassen sich drei klare Botschaften ablesen.
1. Giorgio Napolitano scheint nicht geiwillt vorgezogene Neuwahlen zuzulassen, die in seinen Augen "fatale Folgen" hätten. Eine Auflösung des Parlaments will er auf keinen Fall verfügen. Die tägliche Drohung des PDL, die Regierung zu stürzen, verliert damit an Wirkung. Neuwahlen noch indiesem Jahr sind damit unwahrscheinlich.
2. Rechtskräftige Urteile können zwar kritisiert, müssen aber "anerkannt und umgesetzt" werden. Berlusconi wird aufgefordert, das Urteil zu akzeptieren. Gleichzeitig wird ihm Haftverschonung zugesichert.
3. Der Staatspräsident fordert den Cavaliere auf, ein Gnadengesuch zu stellen, das er "gewissenhaft prüfen" werde.
Dieser letzte Punkt stellt die einzige Überraschung dar. Denn für ein Gnadengesuch sind drei Voraussetzungen erforderlich, die Berlusconi nicht erfüllt: der Täter muß reuig sein, mindestens einen Teil seiner Strafe abgebüßt haben und keine weiteren Gerichtsverfahren am Hals haben. Ein Gnadengesuch des Cavaliere ist unwahrscheinlich, weil damit ein Eingeständnis der Schuld verbunden ist. Damit bleibt unklar, was passiert, wenn der zuständige Senatsausschuß Berlusconi im Oktober sein Mandat entzieht. Die Hardliner in Berlusconis Lager sind enttäuscht, dämpfen jedoch
die Töne. Die Anwälte prüfen die noch bestehenden Möglichkeiten, dem Ex-Premier eine Fortsetzung seiner politischen Laufbahn zu ermöglichen. Dabei tut sich ein neues Schlupfloch auf: entscheidet sich Berlusconi innerhalb 15. Oktober für Sozialdienst statt Hausarrest, könnte seine Strafe nach einem Jahr getilgt sein, falls das zuständige Überwachungsgericht seinen Einsatz positiv bewertet. Und weil ihm dabei 45 Tage erlassen werden, könnte der Cavaliere nach 10 Monaten und 15 Tagen als unbescholtener Bürger erneut kandidieren. Alles wie gehabt.