Wirtschaft | „verdECOnomia mittendrin“, Teil 1

Auf der Spur der „neuen“ Wirtschaft

Der 13. September, ein kalter aber schöner Freitag. Klaus Egger und ich von "VerdECOnomia " sind heute „mittendrin“: Im Hotel La Perla in Corvara, im Gespräch mit Michil Costa und seinen MitarbeiterInnen. Wir gehen der Frage nach, wie nachhaltiger Tourismus im Hotel und der Küche funktioniert!
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Lentius, profundius, suavius“. Es ist die von Alexander Langer geprägte Umkehrung des olympischen Mottos "citius, altius, fortius" (schneller, höher, stärker) den Michil Costa gleich zu Beginn unseres heutigen Gesprächs zitiert. Es ist die erste spontante Antwort auf die Frage nach der Philosophie seines Hauses im speziellen - und nach dem Sinn der Gemeinwohlökonomie im Tourismus allgemein. Der Orientierungspunkt des Unternehmens, so Michil, liegt daran, auf das Wohlbefinden der Menschen zu achten. Gemeint sind natürlich die Gäste, aber auch die Mitarbeiter, und natürlich Michil selbst, wie er uns gleich erklärt.

Sicher, auch der Gast muss dafür empfänglich sein, sonst kann das nicht funktionieren. Wenn man die Zielgruppe der fast emotional seekers bedienen möchte, dann wäre wohl eher das, was Michil den pornoalpinen Tourismus nennt, das passende Konzept  - hochoptimiert und schnelle Emotionen versprechend, die in Wirklichkeit nur künstlich produziert werden. Wer aber wie Michil den emotional guest umwirbt, braucht keinen Turbotourismus und keine Turbolandwirtschaft. Er hat einen Gast umworben, der für die Ehrlichkeit im Tourismus kommt, der fähig ist, sich als Teil der Natur zu versteht.

Ob diese Vision, diese Strategie, auch für andere Mitbewerber geeignet ist?

Angesichts des „lentius, profundius, suavius“ streiche ich sogar das Wort Mitbewerber, und ersetze es im Gespräch mit einem Marktbegleiter. Wie schaut es also aus, reicht dieses Konzept auch für andere Marktbegleiter? Nun, Michil meint dass eine solche Vision des langsamen Tourismus in seinem Umfeld vor 10 Jahren wohl eher eine einsame Meinung darstellte. Als er vor 15 Jahren die zeitweilige Sperrung der Dolomitenpässe anregte, stand er allein auf weiter Flur. Heute gibt es für die Maratona dles Dolomites über 32000 Anfragen. Noch fragen  darüber, ob es Potential gibt?

Nun, als Michil vor zehn Tagen an ein Treffen zur Gemeinwohlökonomie mit seinen Stakeholders teilnahm, kamen über 100 TeilnehmerInnen!

Was für Ziele also kann sich ein touristischer Betrieb wie „La Perla“ setzen, wenn es sich der Gemeinwohlökonomie verpflichtet? Zuerst geht es darum, die Stakeholders mit einzubeziehen, also Gäste, Mitarbeiter, Zulieferer. Ein Unternehmen kann über seinen Einkauf auch Veränderungen steuern, indem zum Beispiel nur noch bei Lieferanten eingekauft wird, die sich auch der GWÖ nähern, oder mit Banken zusammenarbeitet, die eine GWÖ Bilanz vorweisen können. Das sind ganz konkrete Maßnahmen!

Anreize schaffen

„Natürlich ließen sich auch Wirtschaftsförderungsprogramme damit ergänzen, dass in den Zulassungskriterien auch GWÖ Aspekte mit einbezogen werden“, für Klaus Egger eine logische Fortführung des Gedanken, den ich weiterspinne: auch eine Sichtbarkeit der Unternehmen mit GWÖ Bilanz wäre hilfreich für eine Marktpositionierung. Genauso wie zum Beispiel das Audit „Familie und Beruf“ besonders familienfreundliche Unternehmen auszeichnet. Letztlich führt auch eine solche Sichtbarkeit nach außen bei den Mitarbeitern zu einer spürbaren mehr-Motivation, wie uns Michil bestätigt.

Natürlich gibt es in einem Hotelbetrieb etliche offene Punkte, die im Sinne einer Gemeinwohlbilanz noch zu lösen sind, das gibt der Unternehmer Costa unumwunden zu. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht in jedem Punkt sofort umsetzbar ist.

Klaus und ich sind uns einig: die Gemeinwohlökonomie ist eine reale Alternative, eine Möglichkeit ein Unternehmen weg von der reinen quantitativen Wachstumsökonomie hin zu einem qualitativen Wachstum zu bringen. Wir sinnieren: was bringt es einem Ort, einfach nur 5000 Betten mehr zu haben? Wir sind überzeugt, man muss den Unternehmern neue Möglichkeiten aufzeigen, Visionen geben. Ich persönlich glaube, dass viele Unternehmer heute „Getriebene“ sind. Getrieben von dem Kreislauf von Investitionen und Neuverschuldungen, in dem sie durch die quantitativen Erweiterungen der Vergangenheit geraten sind. Wenn wir uns aber erinnern, wie die Weinwirtschaft den Wechsel von der reinen Quantität auf eine Qualität geschafft hat, dann sieht man, dass ein solcher Paradigmenwechsel gelingen kann.

Mit Ilaria in der Küche

Ilaria ist eine Köchin mit Herz, ihr Arbeitsraum ist die kleine Küche, in der unter der Leitung von Chefkoch Arturo Spicocchi die à la carte Menüs für das Haubenlokal „La Stüa de Michil“ zubereitet werden. Während der Vorbereitungen für den Abend lernen wir mit ihr im Gespräch den richtigen Umgang mit regionalen Lebensmitteln, und die Schwierigkeiten bei der Beschaffung. Ein kleines Netzwerk aus kleinen regionalen Erzeugern beliefert die Stüa mit den notwendigen Zutaten, und ich entdecke dass ein kleiner Bauernhof aus Klausen bald verloren geglaubte Gemüsesorten liefert. Was genau geliefert wird, weiß Ilaria auch nie genau: man muss sich halt in der Früh überraschen lassen und die Gerichte den Gegebenheiten anpassen.

Überhaupt, es ist ein großer Respekt vor den „Produkten“ im Gespräch mit Ilaria zu spüren, die ja auch tierischen Ursprungs sind. Ilaria erklärt uns, was dieser Respekt vor den Tieren auch für die Stüa bedeutet: Gänsestopfleber oder Kaviar sind auf der Karte nicht mehr zu finden. Es ergibt für sie einfach keinen Sinn, einen über 100 Jahre alten Stör zu töten, nur um dann seine Eier als Kaviar zu verarbeiten, erklärt sie uns. Und wir erfahren auch, dass pro Monat höchstens ein Schweinchen verarbeitet wird: mehr soll man dem Muttertier nicht antun.

Kräuter oder frisches Gemüse holt sich die Köchin auch aus dem eigenen grünen Garten, mit einer beeindruckenden Kräuterecke. Zum Schluss ein Blick in die Speisekarte: auf einen Blick erschließen sich die Möglichkeiten und der Sinn in der regionalen Versorgung im Tourismus.

Die Gemeinwohlökonomie. Ein Gespräch mit Manuel Dellago

Manuel Dellago, seit 2004 Maître d'hôtel im Restaurant "La Stüa de Michil", ist unser nächster Ansprechpartner um das Thema GWÖ im Hotel La Perla zu vertiefen. Wie wir später auch bei einer Besichtigung des Weinkellers feststellen, ist Manuel ein echter Spaßvogel, mit einer Leidenschaft für Zauberkunststücke, außerdem kümmert er sich um die technologisch-informatischen Aspekte des Hauses und ist Leiter des Projekts Gemeinwohl-Ökonomie.

Unser Einsatz in der Küche war nicht spurlos an uns vorbeigegangen, darum führen wir das Gespräch nun bei einem kleinen Mittagessen. „Mit der Gemeinwohlökonomie setzt man sich auseinander, wenn man bestimmte Werte schon im Kopf hat“, meint Manuel gleich zu Beginn. Und er erklärt uns anhand eines Schaubildes, wie die Gemeinwohlbilanz für ein Unternehmen erstellt wird. Es ist keine einfache Sache, man muss sämtliche Unternehmensprozesse betrachten und zahlreiche orthogonale Bereiche mit einbinden, wie Lieferanten, Finanzen, Mitarbeiter und auch die Eigentümer. Am Ende dieser Analyse lässt sich in 17 Felder die Gemeinwohlbilanz des Betriebes erstellen.

In einem sind wir uns aber schnell einig: ein Betrieb, der sich einer GWÖ ausrichtet, übt sich auch in Sinngestaltung. Es geht nicht nur um ökonomischen Gewinn, es geht auch darum, dass die Arbeit an sich sinnstiftend ist. Das war – was für ein Zufall – eines der ersten Punkte, die wir vor Monaten in der Arbeitsgruppe der verdECOnomia festgehalten haben.

Konkrete Maßnahmen aus der Gemeinwohlbilanz

Nach der Erstellung der Gemeinwohlbilanz gibt sich der Betrieb selbst die nächsten Ziele. Verbesserungen also, die es zu erreichen gilt. Erste Herausforderungen ergaben sich für den Betrieb im Beschaffungsmanagement. Ein ethisches Beschaffungsmanagement hat einen viel höheren Aufwand in der Recherche zu betreiben, und auch höhere Kosten für den Einkauf der Produkte zu tragen. Manuel erklärt uns die Einkaufspyramide im La Perla, die im Wesentlichen auf folgende Hierarchie stuft:

  • biologisch lokal -> lokal
  • biologisch regional -> regional
  • biologisch alpengebiet -> Alpengebiet
  • biologisch national/international ->national/international

Eine interessante Randdiskussion entwickeln wir mit Manuel, als wir eigentlich nach Möglichkeiten suchten, die Preise für Bioprodukte günstiger zu gestalten. Manuel überraschte uns mit der Aussage, dass zunächst der Konsum an sich zu reduzieren ist. Eine spannende Diskussion über unsere Wegwerfgesellschaft bahnte sich an, und spätestens jetzt weiss sogar Michil dass ich daheim ein notorischer Reparierer bin. Es gibt nichts, was mich mehr ärgert, als wenn ein Produkt unnötig zu früh seine Sollbruchstelle erreicht. Geplante Obsoleszenz nennt sich das, und läuft dann darauf hinaus dass ich mich gezwungen sehe, im Internet Reparaturanleitungen zu durchforsten und ich schließlich – meist erfolgreich, aber nur dank der Engelsgeduld meiner Frau – das Gerät reparieren kann.

Ganz konkret heißt das bei La Perla aber auch, dass zum Beispiel der Fleischkonsum einmal die Woche reduziert wird. Fleischfreier Freitag als Teil des Hotelkonzeptes, so wie heute.

Die nächsten Herausforderungen?

Zu den nächsten Herausforderungen gefragt antwortet Manuel, dass das Beschaffungswesen eines der ersten Baustellen war, mit durchaus guten Ergebnissen. Als kleines Beispiel nennt er den Weinkeller, den wir später auch besichtigen werden, der nun ausschließlich europäische Weine führt. Größere Projekte liegen hingegen zum Beispiel bei der energetischen Sanierung des Betriebs, ein Schritt der nicht in kurzer Zeit zu schaffen ist.

 

Unsere Betriebsbesichtigung geht zu Ende, Manuel nimmt sich noch die Zeit, um uns den Weinkeller zu zeigen. Er führt uns durch eine faszinierende Reise durch unterschiedliche Regionen und Kulturen im Weinbau. Ich verbiete mir, diese Reise hier schriftlich wiederzugeben. Es würde ihrem magischen Charakter ganz einfach nicht gerecht werden.

Klaus und ich sind uns einig: wir haben viel Faszinierendes gesehen, und viel Spannendes gehört. Es lohnt sich, dem Thema Gemeinwohlökonomie noch viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wir wollen das in Kürze wieder tun, bei den Toblacher Gesprächen am 28.-29. September 2013. Und noch etwas wissen wir heute schon: wir werden dort unsere Freunde vom Hotel La Perla auch wiedertreffen.

Giulan, Michil. Giulan, Ilaria, Manuel, den Mitarbeitern und der Familie Costa für die wertvolle Zeit die ihr uns geschenkt habt.