Chronik | Padanien

Der Selbstmord der Lega Nord

Um von ihrer Verwicklung in zahlreiche Korrupionsaffären abzulenken, stürzt sich die Lega Nord in Rassismus und Xenophobie, besetzt das Büro des Senatspräsidenten und verbündet sich mit Marine Le Pen. Außer Geschrei hat sie nichts anzubieten. Bei der Europawahl könnte sie unter der Sperrklausel bleiben.

Schlimmer hätte es kaum kommen können. Die Annullierung der piemontesischen Regionalwahlen durch das Verwaltungsgericht in Turin und der Sturz des Präsidenten Roberto Cota sind nur die letzte einer langen Reihe von Hiobsbotschaften, die der fatalen Wahlniederlage des vergangenen Jahres folgten.

Cota war einer der Vorzeigepolitiker der Lega. Jung und dynamisch, einer, der radikale Veränderungen in Aussicht stellte, den buongoverno des Nordens verkörperte, Moral in der Politik und die Abkehr von Roma ladrona versprach. Und jetzt das: der einzige Präsident, der nicht in der von ihm regierten Region wohnt, hat 25.000 Euro an öffentlichen Geldern für private Ausgaben verwendet - von Hochzeitsgeschenken bis zu Unterwäsche in der grünen Lieblingsfarbe der leghisti. 

Seine Dementis ließen die Staatsanwälte unbeeindruckt. Denn eine Untersuchung seiner verräterischen Handysignale ergab, daß Cota selbst sich häufig gar nicht in jenen Städten aufgehalten hatte, aus denen die von ihm vorgelegten Restaurantrechnungen stammten. Natürlich hält die Lega Cotas Mißgeschick für einen "golpe". Doch bereits jetzt steht fest, daß bei den vorgezogenen Neuwahlen im Mai kein Lega-Mann für das Amt des piemontesischen Präsidenten kandidieren wird. Es ist das klägliche Ende des Traums von der Makroregion des Nordens, gescheitert wie die Sezession, das freie Padanien und das vielgepriesene Wundermittel des federalismo fiscale.

Wenige Monate vor den Europawahlen steht die zerrüttete Partei ohne Konzepte und Ideen da und riskiert, an der Vierprozent-Hürde zu scheitern.  Ihr neuer Chef Matteo Salvini zerrt die Lega nun  in tägliche Kundgebungen, schmiedet ein Bündnis mit der französischen Ultrarechten Marine Le Pen, verschärft die schamlose Kampagne gegen Integrationsministerin Kyenge, deren tägliche Termine vom Lega-Tagblatt La Padania angekündigt werden, um Demonstranten anzulocken. Rein propagandistische Aktionen wie die Besetzung des Büros des Senatspräsidenten dienen dazu, die Lega in die Medien zu bringen.  Der großmäulige EU-Abgeordnete, der in Brüssel kaum zu sehen ist, kündigt täglich neue Protestaktionen an - gegen die Erhöhung der Autobahngebühren und die Abschaffung des Bossi-Fini-Gesetzes, gegen die Minister der Regierung Letta und die Verwaltungsrichter in Turin.  Doch Salvinis Aktionismus spaltet die Partei noch tiefer und wird von seinem Vorgänger Roberto Maroni mit wachsendem Unbehagen verfolgt.  Mit Naserümpfen quittierte Maroni Salvinis Teilnahme  an der Pressekonferenz des ultrarechten französischen Ideologen Alain de Benoist. Sogar über die Forderung nach Freigabe der Cannabis gerieten sich die leghisti in die Haare.

Die Ernüchterung der Wähler zeigte sich bereits bei den Wahlen im Vorjahr, wo die Partei etwa in Piemont zwei Drittel ihrer Wähler verlor und Präsident Cota ungeniert zusätzlich fürs Parlament kandidiert und über Monate zwei Mandate ausgeübt hatte. Vor wenigen Tagen ließ sich Salvini mit wehenden Lega-Fahnen an der Mautstelle in Gallarate bei einer Kundgebung gegen die Erhöhung des Autobahngebühren filmen. Bei der letzten kräftigen Erhöhung hatte ihn dort niemand gesehen. Die war von der Regierung Berlusconi beschlossen worden - mit tatkräftiger Unterstützung der Lega Nord.