Politik | Europawahlen

Roland Benedikter: "Europa braucht eine Zivilreligion um zusammenzuwachsen"

Wie könnte eine "Zivilreligion" für Europa aussehen? Welche Werte und Ideale verbinden die europäischen Staaten, woraus könnte der emotionale Kitt eines gemeinsamen Europas bestehen? Diesen Fragen geht der Politologe Roland Benedikter in Teil 3 des salto-Interviews nach.

Ein Aspekt geht in der Diskussion eigentlich fast immer unter: Das Europa, das am 25. Mai wählt, hat eine ganz andere Kultur- und Politikgeschichte, andere Ideale und Werte als etwa Amerika und China. Können ohne gemeinsame Ideale, ohne das, was Sie eine „europäische Zivilreligion“ nennen, die Vereinigten Staaten von Europa überhaupt entstehen?

Das ist ein sehr wichtiges, heute in den europäischen Amtsstuben aber leider noch fast völlig unterbelichtetes Thema. Und es wird mit dem Aufstieg von kontextpolitischen Faktoren wie Sozialpsychologie, Kultur, Ideengeschichte, Philosophie, Demographie und Technologie zu direkter politischer Bedeutung, die wir seit Jahren weltweit erleben, immer wichtiger werden. Heute wird klar: Europa braucht eine Zivilreligion, das heisst eine gemeinsame ideelle Verbindung, wie etwa Bono von den U2 nicht müde wird zu wiederholen: Das europäische Projekt muss von einem Gedanken zu einem Gefühl werden, wie er es beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) am 7. März in Dublin auf den Punkt brachte. Dahinter steckt nichts anderes als die Einsicht, dass wir in Europa einen emotionalen und geistigen Kitt brauchen.

Andere haben das, Europa aber nicht?

Amerika hat diesen Kitt in seiner Zivilreligion: im Bewusstsein, wir sind eine demokratische Nation mit der größten vertikalen Mobilität der Welt, eine säkulare Nation der Freien und der Tapferen, die individuellste Gemeinschaft der Welt; jeder Amerikaner kriegt Tränen in die Augen, wenn die Flagge gehisst wird, die keineswegs die Verkörperung des Staates oder der Regierung, ja nicht einmal der Institutionen, sondern der Idee Amerika ist. Amerika ist und war im Unterschied zur (falschen) Rede vom „letzten Nationalstaat“ nie eine Nation, sondern immer und bis heute in erster Linie eine Idee. Diese Idee hat eine so starke geistige und emotionale Kraft, dass sie auch Probleme und soziale Spannungen bei weitem übertrifft. Das ist mit Zivilreligion gemeint: eine gemeinsame Überzeugung säkularer politischer Ideale wie Freiheit oder Gleichheit, die unabhängig von Religion oder Ideologie alle Bürger auf einem kleinsten, aber emotional machtvollen gemeinsamen Nenner vereint.

Können Sie das noch etwas näher erläutern?

Gern. Die Idee Amerikas beruht nicht auf dem nationalen Gedanken, sondern darauf, dass alle Einwanderer aus allen Ländern der Welt nur zusammenleben können in einem ersten Experiment einer Menschheitsgesellschaft, als das sich die USA gründeten und weiterhin sehen, wenn etwas anderes zählt als die Hautfarbe oder die Herkunft, sondern wenn einzig und allein zählt 1. wer ich bin, 2. was ich will und 3. was ich kann. Ich nenne das einen säkularen Freiheitsidealismus, der Amerika zusammenhält. Es geht nicht um Parteien, Funktionen oder Institutionen. Die ideelle Dimension, also die Zivilreligion, ist das wahre Zentrum der Weltherrschaft Amerikas, nicht sein Militär oder seine Wirtschaft an sich. Wie es der französische Regisseur Jean-Luc Godard auf den Punkt brachte: Amerika hat die Weltherrschaft nicht, weil es das stärkste Militär und die liberalste Wirtschaftsordnung hat, sondern weil es am besten Geschichten erzählen kann – Geschichten, die offenbar alle auf der ganzen Welt interessieren. Amerika erzählt Geschichten, aber was am wichtigsten ist, fast immer nur über sich selbst. Dies, weil es stolz auf sich ist – und sich in seiner Zivilreligion mythologisch übersteigert: Wir sind die Hüter der Freiheit, der strahlende Kernpunkt der Weltzivilisation. Diese fraglose Überzeugung von sich ist der Kern der Stärke Amerikas, auch in und durch Krisen hindurch. Europa hat das schon wegen seiner so leidvollen, ja katastrophalen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht.

Sie sagen, China sei in Punkto kulturelle Grundierung des Nationalismus den USA durchaus ähnlich – wiederum im Unterschied zu Europa?

Ja, China hat etwas Ähnliches, das es mit den USA stärker verbindet als mit Europa. China hat ebenfalls eine weitgehend fraglose Überzeugung von der eigenen Größe. Diese Überzeugung kommt aber nicht aus einem Freiheitssäkularismus wie in Amerika, den es in China nicht gibt und nie gegeben hat, weil der Konfuzianismus hierarchisch und nicht demokratisch organisiert ist, wenn auch pflichtenhierarchisch und nicht rein autoritätshierarchisch. In China kommt der „produktive“ Nationalismus, also der, der sich nicht kriegerisch gegen andere wendet, sondern als emotionaler und geistiger Kitt nach innen wirkt, nicht aus einer säkularen Zivilreligion, sondern aus der traditionellen konfuzianischen Kultur. Der Konfuzianismus hat aber insofern eine Verwandtschaft zur westlichen säkularen Zivilreligion, als er keine Religion im westlich-abrahamitischen Sinne ist, sondern eher ein sehr pragmatischer „spiritueller Humanismus“ und vor allem ein weisheitsbegründetes, und als solches strenges Sozialregulativ. Wir sind die erste und größte Kulturnation der Erde, die Mitte der Welt: China ist die Mitte des Kosmos, des Zentrum zwischen Oben und Unten, zwischen Yin und Yang, begründet einen unendlich starken und tiefen, an sich nicht durch politische oder soziale Probleme in Frage zu stellenden kulturellen Nationalismus. Wie in den USA hat es mit Parteien (etwa der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas) oder mit traditioneller Politik und Institutionen wenig zu tun. Chinesen sind stolz darauf, Chinesen zu sein, nicht weil sie Anhänger der kommunistischen Regierung bzw. deren heutigen bürokratischen Kapitalismus sind (nur 80 Millionen von 1,35 Milliarden Chinesen sind Parteimitglieder), sondern, weil sie Chinesen sind. Und das definiert sich kulturell, nicht politisch.

Und Europa?

Europa hat an der Stelle emotional verbindender politischer Ideale, an der Stelle gemeinschaftsschaffender Zivilreligion als einzige der drei großen Weltmächte noch immer ein schwarzes Loch. Da gibt es keine gemeinsame Idee, keine gemeinsame Zivilreligion, nichts Emotionales, das zusammenhält. Die einzigen Ansätze dazu, die bisher breiter diskutiert werden, waren die „Wiederbelebung“ des Römertums und Griechentums der Antike, und zweitens die „Rechristianisierung“ Europas. Das sind allerdings Strategien, die zum Scheitern verurteilt sind, weil sie sich eher nach rückwärts als nach vorne orientieren. Auch wurde eine Zeit lang ernsthaft diskutiert, den Holocaust als „negativen Gründungsmythos“ einer europäischen Zivilreligion zu installieren, sprich: Nie wieder Krieg, Nie wieder Kriegsverbrechen. Doch abgesehen davon, dass sich damit zum Beispiel England nicht identifizieren kann, kann man ein gemeinsames Ideal kaum negativer formulieren. Europa braucht positive, begeisternde gemeinsame Ideale für eine Zivilreligion, negative werden nicht wirken - bei aller unbeschränkten und überzeugten Anerkennung für das Bemühen und die Einschätzung  der historischen Tatsachen.

Wo liegt die Perspektive?

Die Perspektive ist meiner Ansicht nach, dass wir eine spezifisch europäische Zivilreligion für Europa nur finden, wenn wir uns auf das transnationale geistige Potential der Aufklärung beziehen und es mit neuem Leben füllen. Ich habe das in einem Aufsatz für das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, der auch online zu finden ist: http://philosophie-indebate.de/tag/roland-benedikter/, in kurzer und konzentrierter Form dargestellt. Die europäische Idee von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, also die Ursprungsidee der demokratischen Welt, hat einen starken emotionalen Anspruch, das ist Emotion pur. Und diese Idee ist, obwohl verwandt, nicht dieselbe wie die Amerikas. Die europäische Freiheit schmeckt anders.

Inwiefern? Und was bedeutet das für die Zukunft des europäischen Projekts?

Die Amerikaner haben von den drei Leit-Idealen der (beiderseits freimaurerisch-rosenkreuzerisch inspirierten) amerikanischen und französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - vor allem und in erster Linie Freiheit gesellschaftspolitisch verwirklicht. Dagegen ist die Gleichheit (in Chancen und Möglichkeiten) deutlich weniger ausgeprägt, und die Brüderlichkeit weitgehend ausgeblendet. Die Chinesen dagegen verordnen unter kommunistischem Gesichtspunkt eine staatliche „Brüderlichkeit von oben“ und blenden die Freiheit aus, immer stärker auch die Gleichheit, je schneller die sozialen Unterschiede zunehmen. Die europäische Idee wäre im Unterschied zu diesen beiden Ansätzen eine, die gesellschaftliche Solidarität, Gleichheit im Rechtszugang und Freiheit in der Selbstentfaltung und Selbstverantwortung gleichermaßen, gleichberechtigt und balanciert verwirklicht. Europa sollte vor seinem eigenen geistes- und ideengeschichtlichen Hintergrund alle drei miteinander ausgewogen verbunden realisieren. Das ist ein Absetzungsmerkmal zu Amerika und China, die beide einseitige Schwerpunkte setzen. In der Ausgewogenheit und Trinität könnte Europa eine Eigenheit hervorkehren, die zugleich politisches Leitbild und emotionaler Kitt ist, der stolz auf das Eigene macht. Wenn wir es schaffen würden, die drei Leit-Prinzipien gleichermaßen zu betonen, und sie nicht nur als in der Welt einmaliges politisches Leitbild zu verwirklichen, sondern auch zu aktivem Selbstbewusstsein zu bringen, dann hätten wir eine gemeinsame Zivilreligion - und damit auch eine emotionale Basis für eine wirkliche europäische Gemeinschaft.  

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Lupo Cattivo Do., 22.05.2014 - 00:57

...Amerika hat diesen Kitt in seiner Zivilreligion: im Bewusstsein, wir sind eine demokratische Nation mit der größten vertikalen Mobilität der Welt, eine säkulare Nation der Freien und der Tapferen, die individuellste Gemeinschaft der Welt....Wir sind die Hüter der Freiheit, der strahlende Kernpunkt der Weltzivilisation....
Wird diese Amerikanische Zivilreligion nicht auch für niederträchtige Zwecke benutzt? Wer das Volk und diese Zivilreligion zum Gott macht, hat den Teufel zum Herrn.

92 Kriege und Militäroperationen der USA
18. Jahrhundert:
1775/76 Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg

1776/1890 Indianerkriege

1798/1800 Quasie-Krieg

19. Jahrhundert:

1801 Tripolitanischer Krieg

1812 Britisch-Amerikanischer Krieg

1815 Zweiter Barbareskenkrieg

1838 Aroostook-Krieg

1845/48 USA-Mexiko Krieg

1853 Militärische Gewaltandrohung an Japan

1854 Bombardierung von Greytown/Nicaragua

1857/58 Utah-Krieg

1861/65 Sezessionskrieg

1898 Spanisch-Amerik. Krieg; Philippinisch-Amerik. Krieg; Annexion von Hawaii und von Puerto Rico

20. Jahrhundert:

1903 23. März Truppenanlandung bei Puerto Cortez/Honduras;

3. November Panama-Kanal US-Hoheitsgebiet

1905 Militärintervention in Dominikanischer Republik

1906 Militärintervention auf Kuba (-1909)

1907 8. Februar Militärintervention in Dominikanischer Republik;

18. März Truppenstationierung in Honduras

1909 Militärintervention in Nicaragua (- 1925)

1911 Verschiedene Interventionen in Honduras (- 1925)

1912 Militärintervention auf Kuba;

Finanz- u. Militärkontrolle über Nicaragua (- 1925)

1914/15 Einmischung in die Innenpolitik Mexikos

1915/34 Besetzung von Haiti

1916 18. Februar Errichtung v. Militärstützpunkten in Nicaragua;

März - Februar 1917 Strafexpedition in Mexiko;

Besetzung der Dominikanischen Republik (- 1924)

1917 Teilnahme am 1. Weltkrieg auf Seiten der Entente, Besetzung deutschen Gebiets bis 1923;

Militärische Intervention auf Kuba (- 1919);

Teilnahme am russischen Bürgerkrieg auf der Seite der "Weißen" (- 1920)

1919 Militärische Intervention in Honduras (8. - 12. September)

1924 Intervention in Honduras (Februar/September);

Anlandung von US-Marines in Shanghai/China (September)

1925 Anlandung von US-Truppen in Shanghai (15.1. - 29.8);

Anlandung von US-Truppen in Honduras (19. - 21.04.)

1926 Militärintervention in Nicaragua und Besetzung bis 1933

1930 Installierung des Diktators Trujillo in der Dominikanischen Republik, 1961 ermordet

1940 Installierung des Diktators Batista auf Kuba

1941 USA Mitinitiator des 2. Weltkriegs, Hauptlieferant von Kriegsmaterial an die UDSSR und Großbritannien

1947 Militärtechnische Unterstützung an Griechenland

1948/49 Berliner Luftbrücke

1950/53 Korea-Krieg

1956 Militärische Intervention zur Beendigung der Sues-Krise

1958 Militärische Intervention im Libanon (Juli - Oktober);

Marineintervention um die Inseln Quemoy/Matsu, Taiwan zugehörig

1959 Guerillaunterstützung auf Kuba zum Sturz von Fidel Castro

1961 Invasion in der Schweinebucht auf Kuba, gescheitert

1962 Kuba-Krise, Blockade der Insel

1964 Militärische Intervention in Laos, gescheitert 1970;

Sturz der Regierung Goulart von Brasilien mit Hilfe der CIA;

Vietnam-Krieg (- 1975), Auslöser der fingierte Tonkin-Zwischenfall;

Verwicklung in verschiedene Staatsstreiche in Bolivien (-1982)

1965 Sturz des Präsidenten Juan Bosch in der Dominikanischen Republik (April/September);

Ausweitung des Vietnam-Kriegs auf Kambodscha (Mai)

1967 Militärhilfe im Zuge des israelischen Sechstage-Krieges;

Che Guevara in Bolivien durch die CIA ermordet

1970 Putschunterstützung des Generals Lon Nol in Kambodscha (März);

Militärunterstützung im jordanischen Bürgerkrieg (September)

1971 Marineunterstützung im indisch-pakistanischen Konflikt

1976 Militärische Unterstützung der UNITA-Rebellen in Angola

1977/1992 Inszenierung eines zehnjährigen Bürgerkriegs in El Salvador

1980 Militäraktion zur Befreiung amerikanischer Geiseln in der besetzten US-Botschaft in Teheran gescheitert

1981 Militär-logistische Unterstützung der Sandinisten in Nicaragua;

Militär-logistische Unterstützung der Mudschahidin im Kampf gegen die Sowjet-Besatzer

1982 Militär-logistische Hilfe der Contras im Kampf gegen die Sandinisten Nicaraguas;

Logistische Unterstützung der Briten im Falkland-Krieg

1983 Waffenhilfe an den Iran;

Militärischer Eingriff in den libanesischen Bürgerkrieg, im März 1984 gescheitert;

Militärintervention in Grenada und Putsch (Oktober)

1985 Regierungssturz des seit 1979 an der Macht befindlichen Sandinisten-Regimes

1986 Sturz der Duvalier-Diktatur auf Haiti;

Luftangriffe auf libysche Ziele in Tripolis und Bengasi (14. April)

1988 Abschuß eines Airbus der Iran Air in der Straße von Hormus durch den Lenkwaffenkreuzer USS Vincennes

1989 Besetzung von Panama und Verhaftung von General Manuel Noriega

1990 Operation Sharp Edge im Libanon im Rahmen des Bürgerkriegs;

Unterstützung paramilitärischer Einheiten im kolumbianischen Drogenkrieg;

Militärunterstützung Saudi-Arabiens nach dem Überfall des Irak auf Kuwait (August)

1991 Operation Wüstensturm in Kuwait und Ende der irakischen Besetzung dort

1992 Militäreinsätze gegen Serbien im dortigen Bürgerkrieg (Februar/März);

Errichtung einer Flugverbotszone im Irak für irakische Flugzeuge (August);

Militärisches Eingreifen in den somalischen Bürgerkrieg, gescheitert 1994

1993 Abschuß von 23 Marschflugkörpern auf Bagdad (Juni)

1994 Militäraktion zur Widereinsetzung des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide auf Haiti

1998 Luftangriff auf eine Arzneimittel-Fabrik im Sudan als Vergeltung für Terroranschläge auf US-Botschaften in Kenia und Tansania

1999 Militäroperationen im Kosovo-Krieg ohne Zustimmung der UN (März/Juni)

21. Jahrhundert

2001 False flag - Aktion auf Büro-Hochhäuser in New York und anschließender Militärintervention in Afghanistan (November)

2003 Militärische Führerschaft im 3. Golf-Krieg gegen den Irak, Ermordung von Saddam Hussein, Abzug der US-Truppen 2011

2004 Truppenendsendung nach Haiti nach dem Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide (März)

2011 Februar: Militärputsch und asymmetrische Militäreinsätze in Libyen, Ermordung von Muammar al-Gaddafi, Errichtung einer US-Marionetten-Regierung;

seit März: Asymmetrische Kriegführung der USA gegen Syrien mit dem Ziel, eine US-Marionetten-Regierung einzusetzen

2013 seit November: Asymmetrische Kriegführung der USA gegen die Ukraine, verdeckter Militärputsch und Sturz der gewählten Regierung, Einsetzung einer Übergangsmarionette als Regierungschef

Die drei erwähnten Leitprinzipien für Europa wären durchaus realisierbar,aber leider, so sehe ich das,wird die EU/Europa indirekt von den USA bevormundet. Man kann es drehen und wenden,wie man will. Bewahren wir lieber Europa mit seiner Vielfalt und seinen verschiedenen Kulturen.
Diese Europäische Zivilreligion,sehe ich in weiter Ferne,da wir Europäer schon viel zu Amerikanisch sind.

Do., 22.05.2014 - 00:57 Permalink
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Sylvia Rier Do., 22.05.2014 - 08:01

ein sehr schöner Text, und die Idee von "Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit" für ein geeintes Europa ein außerordentlich schöner Gedanke (allenfalls könnte vielleicht "Brüderlichkeit" durch ein zeitgemäßeres Wort ersetzt werden...)

Do., 22.05.2014 - 08:01 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 22.05.2014 - 09:34

Komplimente an Christine für diese Interviewreihe. Der Kalifornische Blick von Roland Benedikter ist eine tolle Abwechslung und sehr gereifte Perspektive.
Nur kann ich mich mit dem Begriff der Zivilreligion nicht anfreunden, wissen wir doch seit spätestens der Aufklärung, wohin Religionen führen können. So schön die Idee der Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit (für Dich, Silvia :-) ) auch ist, ist doch schon Napoleon mit diesem Slogan über halb Europa hergefallen.
Ich denke vielmehr, dass wir die Vielfalt als Wert verstehen müssen, die komplexe Historie als gemeinsame Wurzel und stolz darauf sein sollten, dass Europa ohne vereinfachende Formeln zusammenwächst. Ist doch genau dies das Revolutionäre an der Idee Europas.

Do., 22.05.2014 - 09:34 Permalink
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Sylvia Rier Do., 22.05.2014 - 09:47

Antwort auf von Benno Kusstatscher

ist schön, Benno :-) Über deinem Kommentar ist mir gerade eingefallen, dass ich in der berühmt-berüchtigten Wutrede des Herrn Steinmair auch einen Satz gehört habe, der mich hat innehalten lassen, und zwar sagt er (ab ca. 1:15 im Video): "Europa, das ist die Lehre von Zeiten, in denen sich Menschen nicht zugehört haben, in denen man aufeinander geschossen hat". Ich persönlich finde, in "Lehre" liegt der Kern dieser Botschaft, und weiters, dass darin auch dein "Zusammenwachsen" mächtig mitschwingt. Allerdings fürchte ich, dass die Konzepte von Sezession/Separation einem Zusammenwachsen eher hinderlich sein dürften ;-)

Do., 22.05.2014 - 09:47 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 22.05.2014 - 11:11

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Silvia, ich denke auch, dass es für Sezession wenig Notwendigkeit gibt und dass man die Energien besser anderwertig investieren sollte, in einen direkteren Weg, zum Beispiel. Allerdings ist es nicht unlegitim, darüber nachzudenken. Wenn es der Befriedung hilft, ist es natürlich positive. Die Separation der Tschechoslowakei hat sicher beiden Seiten ihr Seelenheil gebracht, um sich dann getrennt wieder in die EU zu integrieren. Dass Schottland eine anderen EU-Weg gehen möchte als England, kann ich auch allzugut nachvollziehen. Toleranz und gegenseitigen Respekt werte ich als Europäer aber höher als politische Gleichgesinnung. Die Abwesenheit der beiden ist es, die Keile treibt. Nicht sonst etwas.

Do., 22.05.2014 - 11:11 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 22.05.2014 - 11:45

Ich kann nicht beurteilen, wieviele US-Amerikaner oder Chinesen so ihre Zivilreligion leben wie hier beschrieben, das ist auch nicht so wichtig.
Aber ich bin der festen Überzeugung, dass diese Ideologie "Zivilreligion" eine falsche und alte Ideologie ist, die nicht in unsere Zeit passt. Denn was nutzt mir die ganze theoretische FREIHEIT, wenn ich dabei verhungere, und die Brüderlichkeit, die mich vor dem Hungertod retten könnte, dabei auf der Strecke bleibt.
Was nutzt mir die ganze theoretische FREIHEIT, wenn ich erfriere, und die Gleichheit, die mich vor dem Erfrieren retten könnte, dabei auf der Strecke bleibt?

Do., 22.05.2014 - 11:45 Permalink
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Profil für Benutzer Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… Do., 22.05.2014 - 12:15

Unter Zivilreligion hätte ich heute bei uns in der westlichen Kultur eher die "Wissenschaft" verstanden, aber das ist ein anderen Thema.
Mich überzeugt diese Idee nicht so richtig, bzw. verstehe ich nicht ganz wo der Unterschied, oder besser die Grenze, zwischen dieser Zivilreligion und den Nationalismen liegt und ob die auch von jeden Otto Normalbürger so verstanden wird.
Davon abgesehen könnte der Vorschlag an sich nicht so schlecht sein. Nur kommt es mir so vor dass die Amerikaner mit ihrer Religion schon aufwachsen da diese ein Teil deren Kultur ist, bei uns müsste das erst in den Köpfen der Leuten eingetrichtert werden und wieder stinkst mir nach Bevölkerungs(um)erziehung wie wir sie in den Nationalismen mitgemacht haben.

Do., 22.05.2014 - 12:15 Permalink
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Stephan Kerschbaumer Do., 22.05.2014 - 23:33

Einerseits teile ich die Meinung Benedikters, dass eine Gesellschaft ein gemeinsames Narrativ braucht. Andererseits hat (West- und Mittel-) Europa bereits dieses Narrativ: die Aufklärung. Dass dieses heute nicht mit der EU in Verbindung gesetzt wird, das ist das Problem. Wissenschaft und Menschenrechte, Sozialsysteme und Bildung sind Eckpfeiler unserer mittel- und westeuropäischen Gesellschaften, die, mit (Teil-) Ausnahme der Schweiz, alle Mitglieder der EU sind.
Was Beendigter verkennt, ist der Unterschied zwischen Erzählung ("Zivilreligion") und Wirklichkeit.
Die USA sind kein säkularer Staat. Religion hat in der amerikanischen Gesellschaft einen höheren Stellenwert als in Europa, außer vielleicht im Silicon Valley, New York und D.C..
Die Geschichte vom Aufstieg des Tellerwäschers ist so alt und real wie Grimms Märchen. Soziale Unterschiede, Herkunft und Geld bestimmen über Bildung, Gesundheit und Rechtssicherheit (siehe die verschwindend geringe Anzahl an zum Tode verurteilten weißen Straftätern).
Zu guter letzt, wenn ich höre, dass Menschen Tränen weinen beim Abspielen einer (National-) Hymne oder beim Hissen einer Fahne bekomme ich Gänsehaut. Nicht die gute Gänsehaut, die spannende und erfreuliche. Nein, die Art von Gänsehaut, die man bei Alfred Hitchcocks Duschszene in "Die Vögel" bekommt, oder eben beim Anblick von im Gleichschritt marschierender und denkender Menschen. Aber vielleicht spricht da nur meine naive kontinentaleuropäische Stimme eines Antinationalisten.

Do., 22.05.2014 - 23:33 Permalink
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Oskar Egger Fr., 23.05.2014 - 07:41

"Die europäische Idee wäre im Unterschied zu diesen beiden Ansätzen eine, die gesellschaftliche Solidarität, Gleichheit im Rechtszugang und Freiheit in der Selbstentfaltung und Selbstverantwortung gleichermaßen, gleichberechtigt und balanciert verwirklicht. Europa sollte vor seinem eigenen geistes- und ideengeschichtlichen Hintergrund alle drei miteinander ausgewogen verbunden realisieren. Das ist ein Absetzungsmerkmal zu Amerika und China, die beide einseitige Schwerpunkte setzen. In der Ausgewogenheit und Trinität könnte Europa eine Eigenheit hervorkehren, die zugleich politisches Leitbild und emotionaler Kitt ist, der stolz auf das Eigene macht. Wenn wir es schaffen würden, die drei Leit-Prinzipien gleichermaßen zu betonen, und sie nicht nur als in der Welt einmaliges politisches Leitbild zu verwirklichen, sondern auch zu aktivem Selbstbewusstsein zu bringen, dann hätten wir eine gemeinsame Zivilreligion - und damit auch eine emotionale Basis für eine wirkliche europäische Gemeinschaft." Dies ist, meiner Ansicht nach, der Kernsatz, der beschreibt, was unter Zivilreligion gemeint ist. Da es sich, eindeutig, um europäisches Kulturgut handelt, das schon bei den alten Griechen seine Wurzeln findet, ist der Geist ja schon vorhanden, wir müssen ihn einfach nur neues Leben einhauchen. Der dunkle Abschnitt Holokaust, kann, wenn er nicht verdrängt wird, DIE Lehre für die Zukunft sein und massgeblich zur europäischen Diplomatie beitragen. Wir Europäer haben dem Barbarentum ins Auge schauen müssen und haben die Chance, es zu überwinden. Der Krieg die Lust, der Frieden, die Macht (Michael Lukas Moeller).

Fr., 23.05.2014 - 07:41 Permalink
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Roland Benedikter Fr., 23.05.2014 - 09:25

Ich möchte mich bei allen Kommentatorinnen und Kommentatoren bedanken! Ich finde die Kommentare eigentlich alle wichtig, und alle richtig. Ausser dass einige meiner Aussagen vielleicht nicht verständlich genug waren oder in manchen Kommentaren etwas gefordert wird, was ich ohnehin bereits sage. Die behauptung, ich hätte den Beruf des Drohnenkriegers empfohlen, ist ein klares Missverständnis: ich habe das Gegenteil gesagt und darauf hingewiesen, dass der Beruf des Drohnebkriegerbeamten, der ein normales bügerliches Leben in einer kleinen US-Stadt führt, um 8 Uhr ins Büro geht, über Fernbedienung in weit entfernten Gebieten 10 Menschen tötet und am Abend mit den Kindern spielt und fernseh schaut, ein "tiefenambivalenter" "neuer Beruf" ist, auf den wir offenbar geistig nicht vorbereitet sind, weil er das "Banale des Bösen" so "zeitgemäss" und "normal" verkörpert. Aber vielleicht war diese Argumentation auch zu kompliziert. Ausserdem habe ich nicht von "Gedanken lesen" gesprochen, sondern von der intensiven Forschung an der Möglichkeit, "Gedanken zu hacken", siehe zum Beispiel: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/eeg-experimente-an-computersp… und http://www.welt.de/wissenschaft/article107617248/US-Forscher-hacken-Ste…, ein Trend, den ich ablehne, was ich auch so kommuniziere. Ansonsten kann ich die Diskussion nur begrüssen, alle Sichtweisen, die hier vorkommen, sind völlig richtig und Teile des puzzles, das es zu bearbeiten und zu verstehen gilt - und das ist gar nicht so einfach! Vieles habe ich ähnlich oder identisch in meinem im Gespräch verlinkten Kommentar gesagt. Ihr habt meine Wertschätzung, und meinen herzlichen Dank für Eure Stimmen! Die Diskussion sollte von viel breiteren Kreisen genauso geführt werden, mit allen Pros und den ohne jeden Zweifel genauso zahlreich vorhandenen Contras. Herzlich, Roland

Fr., 23.05.2014 - 09:25 Permalink