Gesellschaft | Gastbeitrag

Abgehängt?

Hans Heiss über Rückzugsgefechte der Demokratie in Italien und Südtirol. Ein Beitrag des Historikers und Politikers im Rahmen der Marienberger Gespräche.
hans heiss
Foto: SALTO
  • Am Beginn dieser Edition der Marienberger Gespräche stehen drei Fragen, die sich uns Teilnehmern unweigerlich stellen:

    1. Steht Demokratie der unaufhaltsame Abstieg bevor?

    2. Hat sie gegenüber Autokratien und Digi-Imperien überhaupt noch Chancen oder steht es bereits 3: 1?

    3. Droht ihr mit der eben vollzogenen Putin-Wahl und dem drohenden Durchmarsch Trumps nicht das baldige Aus?

    Wir widmen uns nach ersten, allgemeinen Erwägungen der italienischen Situation, verknüpfen sie mit Südtirol und ziehen einige Schlussfolgerungen.

    Es fiele nicht schwer, in einem düsteren Zukunftsszenario den nahenden Niedergang der Demokratie auszubreiten. Die aktuelle Situation in Italien und Südtirol bietet einige Anhaltspunkte, um ein Bild demokratischer Dystopien an die Wände von Marienberg zu zaubern. Und manche Forscher und Autoren haben sich am Rand des Abgrunds wohl eingerichtet. Sie sind Virtuosen in der Disziplin, dem Publikum wohliges Schaudern zu entlocken. Wenn Peter Hahne, ein großer wie entbehrlicher Freund Südtirols, in seinem jüngsten Buch Deutschland als „Land der unerschrockenen Idioten“ beschimpft, so findet er eine enthusiasmierte Leserschaft, die sich von Niedergang umstellt wähnt. Mit derlei Überlegungen kann ich nicht aufwarten, da mir eine realistische, leicht ironisch gefärbte Sicht auf Verfassung und Zukunft der Demokratie in Italien und Südtirol näher liegt. 

  • Marienberg: Alljährlich werden im Benediktinerkloster Reflexionsgespräche für Verantwortungsträger aus Politik, Wirtschaft, Soziales, Kultur und Kirche im Austausch mit renommierten Persönlichkeiten zur Bewahrung und zukunftsfähigen Gestaltung der Schöpfung veranstaltet. Foto: Oswald Stimpfl
  • Sicherheit, Stabilität, Souveränität, die drei großen S

    Demokratie hat keine Konjunktur in unseren Breiten. Die Wahlbeteiligung sinkt italienweit, ob jüngst bei den Regionalwahlen in Sardinien oder den Abruzzen auf 52 Prozent, in Südtirol auf 70 Prozent oder im engen Kontext Heimatgemeinde Brixen. Es ist weniger der Wunsch nach demokratischer Gestaltung, der die Leitwerte, die politischen Vorstellungen und das Handeln der Bürgerinnen und Bürger bestimmt, sondern die Hoffnung auf die drei großen S: S wie Stabilität, S wie Sicherheit und als drittes – Souveränität. Diese Ziele haben Vorfahrt: Stabilität der Wirtschaft und sozialen Entwicklung, Sicherheit der Lebensverhältnisse, ob im häuslichen oder im öffentlichen Raum; Souveränität im Sinne begrenzter auswärtiger Einflüsse, ob als Nation, Familie oder Einzelperson, oft mit mehr Selbstbezug als Selbstermächtigung – Ziel ist weniger Empowerment als das „Take back control“.

    Daher finden in Italien die Kräfte, die für die drei Leitwerte stehen, starke Zustimmung, wie aus einer Umfrage der Universität Urbino von Dezember 2023 hervorgeht: molta e moltissima fiducia genießen die Forze dell’Ordine, also die Polizei, der Staatspräsident und der Heilige Vater, mit einer Vertrauensquote zwischen 64 und 67 Prozent, wobei Papa Francesco seit 2013 um 20 Prozent abgebaut hat. Gemeinde, Kirche, EU und Gerichte halten mit je 37-39 Prozent auf deutlich schwächerem, noch akzeptablem Level, dann aber geht’s rasant nach unten: Gewerkschaften und Banken halten einen mäßigen Vertrauenssockel von 20-24 Prozent; dann aber grüßt der Abgrund: Parteien und Parlament genießen nur mehr 12-19 Prozent Vertrauen. Aber immerhin haben sich beide Säulen der Demokratie seit 2013 in den Umfragen halbwegs berappelt: Damals war ihr Vertrauensanteil mit 5 bzw. 7 Prozent beinahe schon unterirdisch.

    Der Blick auf die Umfrage macht deutlich: Die Säulen von Sicherheit, Stabilität und Souveränität: Polizia, Papa, Presidente, die überdies männlich bestimmt sind, rangieren in Italien weit über den Trägern der Demokratie. Ähnlich in Südtirol: Unser Land verfügt zwar weder über Papst noch Staatspräsidenten, aber auch hier stehen Richter und Polizei laut Umfrage von Dezember 2023 und ASTAT-Studie von April 2022 bei stolzen 67 bzw. 74 Prozent. Unternehmer und – o Wunder – Landesangestellte genießen bei 67 bzw. 59 Prozent der Befragten großes Vertrauen, mehr als die Geistlichkeit mit nur mehr 45 Prozent. Danach folgt der gewohnte Absturz: Journalisten und Landespolitiker haben sich bei 31/32 Prozent und mäßigen Vertrauenswerten eingependelt, liegen damit immer noch weit vor den Politikern Italiens, die bei nur mehr 11 Prozent großes Vertrauen genießen.

    Trotz entschiedenen Zuspruchs zu den drei Großen S und ihren Trägern wird Demokratie als Grundverfassung in Italien keineswegs abgelehnt. Auf die Frage, ob sie allen anderen Regierungsformen vorzuziehen sei, antworteten Ende 2023 67% der befragten Italiener*innen mit „Ja“, wenn auch mit leicht sinkender Tendenz: 2003 gaben ihr noch 73 Prozent, 2013 69 Prozent den absoluten Vorzug. 

     

    Polizia, Papa, Presidente, die überdies männlich bestimmt sind, rangieren in Italien weit über den Trägern der Demokratie.

     

    Auf eine zweite, nachgelegte Frage: „Ist ein autoritäres Regime mitunter einem demokratischen System vorzuziehen?“ reagierten die Befragten bemerkenswert: 2003 waren nur 9 Prozent dieser Auffassung, 2013 bereits 14 Prozent und 2023 immerhin 21 Prozent. Das Meinungsbild zeigt also einen deutlichen Wandel in der Bewertung der Demokratie: Sie sollte stabil und sicher sein, gut ein Fünftel der Befragten hätte aber nichts dagegen, würde sie zuweilen am autoritären Gängelband geführt. Der Wunsch geht also nicht in Richtung Autokratie, die in Italien kaum vorstellbar ist, wo man Diktatoren früher oder später stets den ben- oder malservito erteilt. Viele Wähler*innen flirten aber offenbar mit einer Mischform, die sich als „Demokratur“ bezeichnen ließe. Der Wunsch nach einer Leadership-Demokratie beflügelt auch die anhaltende Meloni-Sympathie in Italien wie in Südtirol: Die Ministerpräsidentin ist eine perfekt inszenierte Führungsfigur, deren Underdog-Charisma Kanzler wie Scholz und Nehammer in den Schatten stellt. Das konstante Meloni-Hoch zieht auch ihre Partei mit, anders als ihre Koalitionspartner. Forza Italia hat nach dem Tod des Cavaliere mit dem neuen Chef Tajani an Gewicht gewonnen, während die Lega Salvinis zunehmend als irrlichternde Karikatur einer stabilen Partei erscheint.

    Die Gründe für den schleichenden Legitimitätsverlust von Demokratie, die wachsende Skepsis in Italien und Südtirol liegen auf der Hand: Vielen erscheint sie begrenzt tauglich zur Bewältigung von Krisen, die im letzten Jahrzehnt im Westen geballt auftreten. Noch fehlt die Gewöhnung daran, anders im Globalen Süden, wo Krisen zur bitteren Normalität zählen. Nach mühsam überwundener Finanzkrise 2008–2011 erlebten Europa und USA ein halbes Jahrzehnt, in denen man den Eindruck gewinnen könnte. „Läuft doch!“ Aber nichts da: Bald nach der 2015/16 einsetzenden Migrationskrise folgte 2020 die Pandemie, dicht darauf der Ukrainekrieg 2022, im Oktober 2023 der Hamas-Terrorangriff auf Israel mit anschließendem Gaza-Horror. Migration, Corona und Kriege sind ein wahres Manna für populistische Formationen: Wer hätte 2014 vermutet, dass die heillos verstrittene AfD zum politischen Schwergewicht aufsteigen könnte, wer 2019 erwartet, dass die bei 4 Prozent dahin dümpelnde FdI die Lega übertrumpfen könnte? Wer hätte mit einem Comeback der FPÖ aus dem Ibiza-Sumpf gerechnet? Und wer traute in Südtirol vor einem Jahr der STF einen Wiederaufstieg zu, wer hätte die Wahl eines vollbärtigen AfD-Replikanten prophezeit? 

    Der seit ca. 1990 beschleunigte Abbau von Souveränität, durch die Globalisierung wie die EU-Einigung, der damit verbundene Kontrollverlust auf nationaler Ebene haben sich seit langem abgezeichnet. Der Populismusforscher Philipp Manow verweist zu Recht auf den folgenschweren „Verlust politischer Handlungsmacht in zentralen Politikbereichen“, begleitet von der Erosion sozialer Sicherheit im Westen. Zugleich setzte eine Spreizung der Einkommen ein, die die Grenzen nach oben und unten drastisch erweiterte. Große Einkommen und Vermögen wuchsen, Niedriglöhne und Prekarität nahmen bedrückend zu, mittlere Einkommen wurden deutlich geschwächt. In Italien ist das Reallohnniveau – anders als in Deutschland oder Österreich - seit 30 Jahren nicht gestiegen, sondern um 3% gesunken. Die schwindende Einkommensbasis großer Bevölkerungsgruppen ist Gift für die Demokratie, damit wächst die Skepsis – bis hin zur Ablehnung.

  • Hans Heiss: „Der Demos als Träger der Demokratie ist in Italien vielfach absent, politische Indifferenz, Apathie und Abneigung nehmen zu.“ Foto: LPA/Oskar Verant
  • Der Druck der „Hyperpolitik“ verändert die drei P

    Die Bündelung von Krisen wirkte wie ein Brandbeschleuniger und die Szenarien werden sich in Kettenreaktion weiter vermehren. So wächst unter vielen Wähler*innen der Wunsch, mit dem Flammenwerfer des Populismus dagegen zu halten, in der Hoffnung, damit die drei Großen S - Sicherheit, Stabilität und Souveränität - wiederzugewinnen. Eine Illusion: Krisen und Belastungen bleiben auch künftig in Europa, erst recht in Italien und sogar in Südtirol, der Normalzustand, der sich stetig verschärfen wird. Der belgische Historiker Anton Jäger beschreibt die jüngste Phase ab 2016 treffend als „Hyperpolitik“, als einen Dauerzustand ständiger politischer Überreizung, die den Alltag erfasst und Gewissheiten zerschreddert.

    Verschärfend kommt hinzu, dass klassische Gatekeeper der Demokratie, die drei P, Parteien, Presse und People/Popolo, außer Tritt geraten sind. Zunächst die Parteien: Im Parteienspektrum Italiens, bald auch Südtirols, sind die klassischen Volksparteien längst Geschichte, die Pluralisierung, Zersplitterung und Verzwergung der Formationen Fakt. Vor genau 30 Jahren, Ende März 1994, hat der Sieg von Berlusconis Forza Italia, im Verein mit der Lega von Umberto Bossi und der postfaschistischen Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini die italienische Parteienlandschaft der Nachkriegszeit demoliert – fin de partie für die scheinbar unvergänglichen Democrazia Cristiana und Kommunisten. In Altitalien ringen die Parteien seit Jahrzehnten um Legitimation und Glaubwürdigkeit, mit wenig Erfolg, zusätzlich geschwächt durch die längst gestrichene Parteienfinanzierung. Ihrer Rolle als Orientierungsträger und Diskursbildner kommen sie kaum nach. Dagegen sind viele politische Formationen in Italien längst zu Ich AGs’ verkommen, ständig in Zerfall und Umbildung, mit ebenso begabten wie eitlen Leadern, denken Sie an Renzis Italia Viva oder Carlo Calendas Azione. Nirgendwo sonst in Europa ist die ständige Umbildung von Parteien, die Umschmelzung politischer Formationen, der Übertritt von Politikern so weit gediehen wie in Italien, wo der trasformismo, der Wechsel politischer Zugehörigkeiten, ein historisch überzeitliches Phänomen ist.

    In Südtirol ließ ein vergleichbarer Bruch 30 Jahre auf sich warten: Erst 2023 ist die seit 1948 durchgehend regierende Südtiroler Volkspartei vom Hegemon mit dominanten 45–50 auf 35 Prozent geschrumpft. Nach außen weiterhin eine stattliche Seniorin, ist sie innerlich marode, geplagt von Gliederschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und wachsender Inkontinenz der innerparteilichen Richtungen. Dafür fehlt es nicht an Verbänden, die sich liebevoll um die Leidende legen. Dennoch hegt die SVP die Illusion, in absehbarer Zeit wieder zu vergleichbarer Größe zurückzukehren. Erlauben Sie hierzu einen zwar italienischen, aber SVP-konformen Schüttelreim: Tempi passati, Magnago e Durni andati, nuovi capi non sono nati, zu Deutsch: „Die alten Chefs, sie sind verloren, neue sind noch nicht geboren“. Ein weiterer Indikator der SVP-Schwäche in Südtirol ist die schwindende Parteimitgliedschaft, die von früher unfassbaren 80.000 oder 20 Prozent der Gesamtbevölkerung auf nur mehr 3 Prozent bzw. 15.000 geschrumpft ist.

     

    Die Beschleunigung von Medien und Politik treibt die Verkürzung von Sachverhalten voran.

     

    Zum zweiten P: Zusätzlicher Krisentreiber ist die Auflösung der klassischen Öffentlichkeit seit 30-40 Jahren, der Positionsverlust von Presse und Rundfunk, rapide verstärkt durch die Dampfwalze der Sozialen Medien. Die davon zunächst erhoffte Demokratisierung ist steter Desorientierung gewichen. Sie wird beschleunigt durch die Entstehung von Mikro-Öffentlichkeiten, in denen Politik weniger rational begründet, als vielmehr zur Glaubenssache erklärt wird. Die Beschleunigung von Medien und Politik treibt die Verkürzung von Sachverhalten voran, in krassem Gegensatz zu ihrer wachsenden Komplexität: Denn Themen wie Pandemie, Migration und Krieg sind in ihrer Bündelung von Ursachen, Abläufen und Folgen komplex, schwer erschließbar und wirken umso  bedrohlicher. Daher wirkt der Schub von scheinbar erhellenden Fake News wie ein befreiender Angstlöser. Die Kurzauftritte von Politikern, das rasante Aufpoppen politischer Inhalte auf Plattformen wie Tik-Tok sorgen für positiven Adrenalinschub, den die Algorithmen ständig verstärken. Selbstsicher vorgetragene Absurditäten und Attacken schaffen politische Einstellungen und Orientierung. In Italien war die Gatekeeper-Funktion von Printmedien bereits historisch schwach, da sie als Faktor der Meinungsbildung einen nur mäßigen Part spielen. Umso stärker die Rolle visueller Medien wie das Fernsehen, das sich früh dem Privatfernsehen geöffnet hat. Vor dieser spezifischen Situation der Öffentlichkeit wirkte der Auftritt Sozialer Medien in Italien durchschlagend. Zudem ist bezeichnend, dass sie das saloppe Etikett „Socials“ tragen. Der Ausdruck passt perfekt, da „Socials“ einen Gutteil sozialer Beziehungen übernommen haben. Sie konstituieren nicht nur Medialität, sondern bilden auch wachsende Räume sozialer Beziehungen. Freilich nicht im realen Kontakt, Austausch und Diskurs, sondern in virtuellen Kontexten. Die jüngste Generation der „Socials“, verstärkt durch social bots, sind vor allem die Domäne von Rechtspopulisten, Ulrich Siegmund (AfD) oder Giorgia Meloni sind Virtuosen des 30-Sekunden-Formats. Soziale Medien wie Tik-Tok gehen an die Substanz von Demokratie. 

    Hannah Arendt hebt als wichtige Eigenschaft von Demokratie hervor: „Die Fähigkeit, das konkrete Andere zu denken“, also Alternativen zu suchen, sie zu akzeptieren oder im Verständnis für Anderes und die Anderen zu agieren. Genau diese Fähigkeit aber wird von Plattformen ausgehöhlt, erodiert und vielfach zerstört, da der sich stetig steigernde Algorithmus nur das Eigene bestätigt und auf Dauer stellt.

    Schließlich hat sich auch das dritte P, P für People/Popolo, oft abgemeldet. Der Demos als Träger der Demokratie ist in Italien vielfach absent, politische Indifferenz, Apathie und Abneigung nehmen zu. Längst hat sich die Massenbewegung der Nichtwähler oder Wahlfernen formiert. Die Quote jener, die Parlaments-, Regional- und Gemeindewahlen fernbleiben, liegt bei 40%; sie sind - so ein wohlfeiles Bonmot - längst die größte Partei landesweit. Es schwindet das Interesse an Partizipation, am Einstieg in mühsame politische Aktion auf der Ebene von Zivilgesellschaft, von Kommunal- oder Regionalpolitik. Während der Einsatz in Vereinen und Freiwilligenorganisationen in Italien nach jüngsten Erhebungen auf beachtlichem Level von 45% liegt und das Interesse an Online-Petitionen auf knapp 40% angewachsen ist, ist die Beteiligung an öffentlichen Kundgebungen rückläufig und unter 20% gefallen. Ungebrochenes Interesse findet der Einsatz im Nahraum von Quartier, Stadtteil oder vor Ort, also die Lokalpolitik in der eigenen Lebenswelt, im eigenen Erfahrungsraum. 

  • Der Wunsch nach einer Leadership-Demokratie beflügelt auch die anhaltende Meloni-Sympathie in Italien wie in Südtirol: Die Ministerpräsidentin ist eine perfekt inszenierte Führungsfigur, deren Underdog-Charisma Kanzler wie Scholz und Nehammer in den Schatten stellt. Foto: Facebook
  • Italien: Auf dem Weg zur postliberalen Demokratie

    In Italien hat die aktuell regierende Rechte die Gunst der Stunde im Fluge ergriffen und nimmt die Umgestaltung von Demokratie in Angriff. Parlamente und Parteien sollen weiter entmachtet werden, zugunsten der Leadership der Exekutive. Die geplante Direktwahl des Ministerpräsidenten oder der -präsidentin ist der Königsweg dazu. Die Koalition will mit einer vom Wahlvolk bestellten Regierungsspitze die Exekutive stärken und charismatisch aufrüsten. Nach der Vorstellung der Rechts-Koalition könnte die Regierung, namentlich ihre Spitze, mit einem von  Parlament und Parteien weniger abhängigen Mandat weit stärker auftreten, getragen allein von Volkes Wille.

    Die bisher so ausgeprägte Garantenrolle des Staatspräsidenten würde hingegen durch den Ansehens- und Machtgewinn der Premiership deutlich relativiert. Dem Presidente della Repubblica, der von den Kammern und Regionen gewählt und damit nur intermediär legitimiert ist, stünde künftig nach einer Reform ein/e Presidente del Consiglio gegenüber, mit neu gestärkter Position, die sehr viel stärker wäre als bisher. Die bisher hohe Autorität des Staatsoberhaupts geriete gegenüber dem oder der Premier deutlich ins Hintertreffen.

    Neben solchen Projekten erodiert das in Italien bereits weit gediehene Mehrheitswahlsystem seit langem die Demokratie, da es Bündnisse stärkt, auf deren Zustandekommen die Wähler/innen nur mäßigen Einfluss haben. Ebenso erfolgt die Nominierung von Kandidaten zum Parlament bereits seit langem durch die jeweilige Parteispitze; mit wenigen Ausnahmen. Im Öffentlichen Rundfunk ist der Durchgriff der Mehrheiten seit langem evident; erhöhte Aufmerksamkeit verdient auch die Justizreform. Ziel der Regierung ist eine demokratisch legitimierte Exekutive, die plebiszitär und medial gestützt wird. Eine Regierung mit erhöhten Durchgriffsrechten, die Staat, Öffentlichkeit und teilweise auch Gesellschaft langsam, aber grundlegend verändern. Die Meloni-Rechte zielt auf keine illiberale Demokratie wie in Ungarn, sondern strebt als eine elegantere Lösung einen postliberalen Nationalstaat an, der den Ballast von Grundrechten, checks and balances mit dem Willen der Bürger*innen stark reduziert hat. Die Grundausstattung von Rechtsstaatlichkeit und Parlamentarismus soll zwar erhalten bleiben, aber getragen und überwölbt von einer dominanten Regierungs- und Exekutivgewalt. Mit einer Regierung, die als oberste Influencerin das Meinungs- und Medienklima steuert.

  • Gleichgewichtsstörungen in Südtirol

    Auch in Südtirol, auf das noch verwiesen sei, haben sich die demokratischen Gleichgewichte letzthin, beschleunigt seit 2022, massiv verschoben - keineswegs zum besseren. Die Entwicklung folgte zwar allgemeineren Tendenzen, hat aber ihre Eigenheiten. Kern und Angelpunkt der Demokratie in Südtirol, ihre wichtigsten Träger und Trigger sind fünf Faktoren: die italienische Verfassung mit ihrem Werte- und Rechtekatalog, das Autonomiestatut als Basis und Baukasten der Selbstverwaltung, beide als normative Fundamente, als politische Pole die Südtiroler Volkspartei als Mediatorin, das Medienhaus Athesia als Hybrid zwischen Medienmonopol und Machtmaschine. Diese Vier bestimmen wesentlich Handeln und Entscheidungen der Institutionen und des Souveräns, der Wahlbürger*innen, hinzu tritt als Fünftes die lange Zeit ebenso leichtgewichtige wie notwendige Opposition.

    Vor allem anderen aber steht die Grunderfahrung Südtirols, dass Demokratie nur begrenzt geschichtsmächtig ist. Südtirols Geschichte ist von Etappen verweigerter Demokratie begleitet: Von der machtpolitisch und strategisch begründeten, aber unrechtmäßigen Zuteilung der Region an Italien 1919, von der unter Zwang erfolgten Option 1939, von der verweigerten Selbstbestimmung 1945. Auch bei der italienweiten Abstimmung über die Staatsform – Monarchie oder Republik – im Juni 1946 blieb Südtirol außen vor. Damit steht hinter dem im Nachkrieg erfolgten Aufbau der Demokratie in Südtirol keine Erfolgsgeschichte, keine befreiende Erfahrung demokratischer Kraft, sondern die bis heute wirkende Gewissheit unter vielen Bürger*innen, die da lautet: Demokratie ist wichtig, aber mehr noch zählt der Faktor Macht. Das Erfahrungsmuster der Vermachtung äußert sich oft in der verbreiteten Kernaussage: „Du konnsch eh nicht tian“, gefolgt vom pragmatischen Satz, der nach Dienstantritt der Regierung Meloni 2022 oft zu hören war: „Iatz loss mer sie halt amol arbeiten“.

     

    Demokratie ist wichtig, aber mehr noch zählt der Faktor Macht. 

     

    Folgerichtig sind das Autonomiestatut und die Gestaltung der Institutionen in Südtirol demokratiepolitisch geprägt von einer starken Exekutive, vom Gewicht und Übergewicht der Regierungen in Land, Staat und Gemeinden. Der Blick auf die Regierung genügt: Im Landtag ist die elfköpfige Landesregierung zugleich Teil der 35 Abgeordneten. Sie stimmt daher bei Gesetzesvorlagen stets mit und damit eigenen Entwürfen zu. Sodann: Die Landesregierung regiert aufgrund von Gesetzen, diese werden aber entscheidend ausgestaltet durch Durchführungsbestimmungen, die sie selbst erlässt und die sich der Zustimmung des Landtags entziehen. 

    Die Figur des Landeshauptmanns, die Schlüsselgestalt der Exekutive, ist stärker als italienische Regionalratspräsidenten oder deutsche Ministerpräsidenten. Der LH – typischerweise und wortgetreu bis dato ein Mann – erfüllt vier Kernfunktionen: Offiziell ist er a) Vorsitzender der Landesregierung; b) ihr oberster Vertreter, er ist zudem c) die zentrale Figur der Minderheit, die er repräsentiert. Eine vierte Aufgabe ist zwar nur symbolisch, aber grundlegend: Dank seiner zentralen Rolle ist der LH auch eine Projektionsfigur für die Vorstellung vieler Bürgerinnen. Der „Hauptmann“ (nomen est omen) personifiziert Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte und Stimmungen des Landes. Er ist Regierungschef und Präsident in einem, als Leitfigur der Minderheiten oft von mythischer Aura umweht, als wäre er der Vater Moses, der die Minderheit durch die Wüste führt. Ihm werden Macht und charismatischer Auftritt nicht nur zuerkannt, sondern abverlangt.

    Die Ebene der Gemeinden reproduziert die Situation, wenn auch abgeschwächt: Die Bürgermeister*innen, mit Frauen vermehrt in pole position, sind die Schlüsselfiguren, stärker als der Ausschuss, dem sie vorsitzen, weit mehr als die in ihrer Zuständigkeit stark beschränkten Gemeinderäte.

    Angesichts der exekutivlastigen Grundverfassung und politischen Kultur in Südtirol bedeutete Demokratie hierlands vor allem die Einsetzung und Stärkung der Regierungen. Sehr lange wurde eine kraftvolle Mehrheit gewählt, an deren Spitze ein stark legitimierter LH oder Bürgermeister gesetzt. Demokratie und Wahlen sind in Südtirol in der deutschen und ladinischen Sprachgruppe mehr ein Akt der Delegierung als der Partizipation. Mögen auch Minderheiten wie unsereiner die Situation als belastend empfinden, hat die bereits erwähnte eherne Maxime Vorrang: „Iatz sollen sie amol arbeiten“. 

    Die Stärke der Exekutive in ST, bis 2014 ausgeprägt, hatte aber in paradoxer Weise einen großen, oft unterschätzten Vorzug. Dank der starken Präsenz und Position der Regierung traten die Demokratiedefizite in aller Schärfe hervor, wurden markiert und kritisiert. Konkret: So bonapartistisch und autoritär 25 Durnwalder-Jahre 1989–2014 auch waren, so bot der LH doch eine stete Reibungsfläche, die Demokratie-Defizite sichtbar machte. Er zelebrierte seinen alpinen Despotismus mit dem genüsslichen Sager: „Ich werde sicher keinen Nobelpreis in Demokratie gewinnen“, schuf damit aber klare Fronten, weckte demokratische Energien und Widerstand. Ein weiterer Nebeneffekt: Die Durni-Power hielt das Medienhaus und dessen invasive Wucht in Zaum. 

    Der Macht der Exekutive in Südtirol wurde zum Teil aufgefangen durch hohe innerparteiliche Partizipation in der Mehrheitspartei SVP: Dank starker Verankerung vor Ort und partizipativer Schnittstellen in Ausschüssen, Richtungen und Verbänden erfolgte eine oft beeindruckende Dialektik zwischen Exekutive und SVP-Basis. Konkret: Auch ein LH wie Durnwalder traf vor Ort auf Diskussion und Widerspruch, die aber vor allem innerparteilich funktionierten. 

     

    Spätestens seit 2014 aber befanden sich beide, Regierungsmacht und Edelweiß-Basis, im Abstieg.

     

    Spätestens seit 2014 aber befanden sich beide, Regierungsmacht und Edelweiß-Basis, im Abstieg: Der Autoritätsverlust von LH/Regierung und die zeitgleiche Schrumpfung der SVP-Mitglieder unterhöhlten die bisher leidlich funktionierende Balance zwischen Ausbau und Absicherung der Autonomie, Regierungshandeln, Basisbeteiligung und Medienintervention. Die Schwächung von Regierung, innerparteilicher Partizipation und das Abschmelzen der Volkspartei liefen ab 2014 und beschleunigten sich ab 2022. Der Kontrollverlust erhöhte im umfassenden Krisenkontext auf nationaler und globaler Ebene das Bedürfnis nach Sicherheit. Die lange effektvolle Dialektik zwischen Macht der Exekutive und Stärke der Basis wankte, da beide Seiten, Regierungen und Basis, Jahr um Jahr mehr schwächelten. Als weiteres Defizit hinzu kam das Fehlen befeuernder Visionen und Zielvorstellungen: 

    So ist etwa die Wiederherstellung der Autonomie gewiss ein hehres wie notwendiges Ziel, aber nicht wirklich geeignet, um Bürger*innen zu begeistern, ebenso wenig wie die Verlängerung der Brennerautobahn-Konzession. Kurzum: Fehlende Zielorientierung, mangelnde Zieldefinition und die oft versäumte Zielerreichung waren zusätzliches Gift für die demokratische Partizipation.

    Dagegen hätten Regierung und Landtag drei konkrete Ziele ausgeben können, zum Beispiel: (1) Wir schaffen erschwinglichen Wohnraum für 10.000 Bürger*innen; (2) Kein*e Südtiroler*in wartet länger als 6 Wochen auf eine Untersuchung im Spital; (3) Als eine der 20 reichsten Regionen der EU senken wir die Zahl der Armen im Lande auf 10% der Bevölkerung. Solche Umsetzungen wären ein wichtiges Signal nicht nur für Mehrheit und Exekutive selbst gewesen, sondern auch Sauerstoff für die Demokratie im Lande, getreu dem Motto: Südtirols Autonomie schafft keine Probleme, sondern Lösungen – im Sinne der drei Großen S – Sicherheit, Stabilität, Souveränität. 

    Noch ein letzter, ein wenig ätzender Kommentar: Demokratie im Lande hat mit der jüngsten Koalition ihren Wertehorizont in wichtigen Bereichen eingebüßt. Die Entscheidung der Mehrheit, eine Rechts-Rechts-Rechts-Koalition zu bilden, mag dem SVP-typischen Pragmatismus und knochentrockenen Realismus geschuldet sein, noch mehr aber ist sie Ausdruck einer Beliebigkeit und eines Werterelativismus, der auch altgedienten SVP-Verstehern wie unsereinem bitteres Kopfschütteln abnötigt und sie zum Straßenprotest verhält. Die Koalition mit einer Formation wie Fratelli d’Italia, die Minderheiten aller Couleur und Bürgerrechte dem Begriff der Nation strikt unterordnet, die Allianz mit der vielfach rassistischen und ökologisch indifferenten Lega Salvini verstößt gegen den Gencode einer Partei, die Minderhejtenschutz auf die Fahne geschrieben hat oder hatte. Dies sei nicht aus dem Geist moralinsaurer Opposition gesagt, sondern aus tiefer Überzeugung.

    Demokratie bedarf also, dies als kurzes Fazit, nicht nur des Triple S, sondern dreier Antriebskräfte: Sie braucht Werte, Lösungen und Partizipation. Diese drei Aggregate sind in Südtirol ermattet, erst recht in Italien. Sie lassen sich aber wiederherstellen, wie und und in welchem Ausmaß, dazu gerne Weiteres in der Diskussion und wohl auch in den folgenden Vorträgen. 

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Salto User
nobody Fr., 22.03.2024 - 20:39

Mein Succus: Wiederherstellung des Vertrauens in Politik (von der Gemeindestube bis nach Brüssel)! Lesenswert, wie immer. Danke

Fr., 22.03.2024 - 20:39 Permalink
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Profil für Benutzer Arne Saknussemm
Arne Saknussemm Sa., 23.03.2024 - 00:34

Viele wahre Worte, aber furchtbar langweilig. Bin beim Lesen fast eingeschlafen.
Es geht auch einfacher : „Die Menschen wollen einen König, und wenn sie nicht aufpassen, bekommen sie einen Führer.“

Sa., 23.03.2024 - 00:34 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 23.03.2024 - 07:01

Seit den 1980er Jahren haben die Politiker, statt den Herausforderungen der sich anmeldeden KLIMA-KRISE mit angemessenen Maßnahmen zu begegnen, nur der Wirtschaft ihre perfiden Spielchen zu treiben gestattet + seit 2014 beißen sich in der Schlangengrube SVP, die Exponenten mit ihren Giftzähnen in die ... Lähmung ...
Die zunehmende Zahl der Nichtwähler, erweist sich als Brand-Beschleuniger!
... und die Sucht nach starken FÜHRERN, wird sehr -b ö s e - e n d e n!!!

Sa., 23.03.2024 - 07:01 Permalink
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Salto User
Milo Tschurtsch Sa., 23.03.2024 - 09:57

Hans Heiß bringt da mehrere interessante Aspekte ins Spiel, die aufgrund der Länge schwer zu kommentieren sind. Etwa:
"Demokratie hat keine Konjunktur in unseren Breiten. Die Wahlbeteiligung sinkt italienweit,
Längst hat sich die Massenbewegung der Nichtwähler oder Wahlfernen formiert. "

Dann aber :
"wird Demokratie als Grundverfassung in Italien keineswegs abgelehnt. Auf die Frage, ob sie allen anderen Regierungsformen vorzuziehen sei, antworteten Ende 2023 67% der befragten Italiener*innen mit „Ja“.

Das lässt nur den Schluss zu, dass nicht die Demokratie als solche abgelehnt wird, sondern das momentan vorherrschende System der Lösungsfindung durch Parteien bzw. Volksvertreter. Diesen wird die Lösungsfindung nicht mehr zugetraut. Dazu nennt Heiß auch Gründe:
"Die Gründe für den schleichenden Legitimitätsverlust von Demokratie, die wachsende Skepsis in Italien und Südtirol liegen auf der Hand: Vielen erscheint sie begrenzt tauglich zur Bewältigung von Krisen"
Er nennt auch die Grundbedürfnisse (3S):
"S wie Stabilität, S wie Sicherheit und als drittes – Souveränität. Diese Ziele haben Vorfahrt: Stabilität der Wirtschaft und sozialen Entwicklung, Sicherheit der Lebensverhältnisse, ob im häuslichen oder im öffentlichen Raum; Souveränität im Sinne begrenzter auswärtiger Einflüsse, ob als Nation, Familie oder Einzelperson, oft mit mehr Selbstbezug als Selbstermächtigung – Ziel ist weniger Empowerment als das „Take back control“.

Wenn jetzt das gegenwärtige System die Grundbedürfnisse nicht mehr adäquat befriedigen kann, weil die Wähler das Gefühl haben, die politischen Repräsentanten haben nicht das Bürgerwohl sondern den Machterhalt im Sinn und sind überdies von globalen playern in Geiselhaft genommen, die deren Agenden über die Parteienstrukturen durchdrücken wollen, (Heiß: "Der seit ca. 1990 beschleunigte Abbau von Souveränität, durch die Globalisierung wie die EU-Einigung, der damit verbundene Kontrollverlust"), dann muss ein neues System angedacht werden, wobei Heiß Hannah Arendt zitiert:
"Hannah Arendt hebt als wichtige Eigenschaft von Demokratie hervor: „Die Fähigkeit, das konkrete Andere zu denken“, also Alternativen zu suchen" .

Was wären dann diese Alternativen:
Heiß glaubt, manche Bürger wünschen eine Demokratur, oder eine postliberale Demokratie, der er ablehnend gegenübersteht obwohl er anderseits wieder sagt:

"Die Grundausstattung von Rechtsstaatlichkeit und Parlamentarismus soll zwar erhalten bleiben, aber getragen und überwölbt von einer dominanten Regierungs- und Exekutivgewalt. "

Wobei, wenn die Grundausstattung erhalten bleibt und das gegenwärtige System keine Lösungen bringen kann und Wähler abschreckt, dieser Weg doch ein möglicher wäre.
Was Heiß nicht erwähnt wäre noch eine andere Form der Demokratie, nämlich jene einer vermehrten Volksbeteiligung an der Ausgestaltung von Sachthemen wie sie es z.B. in der Schweiz gibt oder etwas ähnliches. Dafür bräuchte es aber eine radikale "Entzentralisierung" und ein vorherrschendes Subsidiaritätsprinzip. Wenn Heiß sagt, dass Ehrenamt, Stadtviertelräte usw. Hochkonjunktur haben, so zeigt das wohl deutlich dass die Bürger vermehrt im Kleinen gestalten wollen und nicht Probleme an größere politische Einheiten (EU) auslagern wollen, bzw. dies zu Frust führt (wir können eh nichts ändern, da bestimmen andere).

Nichts abgewinnen kann ich folgender Aussage:
"Die Bündelung von Krisen wirkte wie ein Brandbeschleuniger und die Szenarien werden sich in Kettenreaktion weiter vermehren. So wächst unter vielen Wähler*innen der Wunsch, mit dem Flammenwerfer des Populismus dagegen zu halten, in der Hoffnung, damit die drei Großen S - Sicherheit, Stabilität und Souveränität - wiederzugewinnen. Eine Illusion: Krisen und Belastungen bleiben auch künftig in Europa, erst recht in Italien und sogar in Südtirol, der Normalzustand, der sich stetig verschärfen wird."

Ja wenn Krisen sozusagen als gottgegeben und nicht politikgemacht dargestellt werden und der Normalzustand bleiben und die Politik da machtlos dasteht, ja dann braucht man sich über den Wählerschwund nicht zu wundern.
Krisen sind da um gelöst zu werden, die Interessen des Wählers sind das Maß und nicht Aussagen wie, "da haben wir keine Kompetenzen" oder "da schafft die EU". So gewinnt man keine Wähler zurück, denn Ohnmacht wie sie z.B. bei der illegalen Migration (deren Illegalität einfach hingenommen wird) wird niemand wählen.
Heiß wiederum anderseits dazu:
"Demokratie bedarf also, dies als kurzes Fazit, nicht nur des Triple S, sondern dreier Antriebskräfte: Sie braucht Werte, Lösungen und Partizipation. Diese drei Aggregate sind in Südtirol ermattet," Genau, nur das Wie (Lösungen) muss noch gefunden werden.

Heiß: "Noch ein letzter, ein wenig ätzender Kommentar: Demokratie im Lande hat mit der jüngsten Koalition ihren Wertehorizont in wichtigen Bereichen eingebüßt."

Der Wertehorizont wurde schon vorher beim politisch motivierten Corona- Management nicht nur eingebüßt, sondern gänzlich außer Kraft gesetzt. Verfassung, Grund-und Menschenrechte und ethische Prinzipien waren plötzlich keine "Werte" mehr. "Bündle und grenze aus" mit einhergehender Spaltung der Gesellschaft war das Motto. Irgendwie kommt einem das bekannt vor, oder nicht?
Das zu benennen und aufzuarbeiten würde die Partizipation am demokratischen Prozess vielleicht auch wieder stärken.

Sa., 23.03.2024 - 09:57 Permalink
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Manfred Klotz Mo., 25.03.2024 - 15:29

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Heiss' Hinweis auf die Demokratie die keine Konkunktur hätte, bezieht sich auf die Beteiligung oder die Nutzung ihrer typischen Instrumente (steht eigentlich klar im Zusammenhang). Dass in Italien dennoch die Mehrzahl der Bevölkerung die Demokratie als Staatsform vorzieht, schließt das andere nicht aus.
Ihr Hinweis auf die Aussetzung der Menschenrechte während der Pandemie ist dann total lächerlich. Es gab übrigens keine Spaltung der Gesellschaft, sondern eine Abkehr eines Teils davon von der Mehrheit.

Mo., 25.03.2024 - 15:29 Permalink
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Stereo Typ Sa., 23.03.2024 - 12:33

Die Marienberger Gespräche wären doch ideal dafür, die Pandemie-Zeit aufzuarbeiten. Eine Zeit, in der demokratische Regeln mit Füßen getreten und Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, die als abgesichert gegolten hatten. Eine Zeit, in der ein Klima der Angst und der Repression empathisches und rationales Denken verdrängt hat.
Eine Mehrheit der Bevölkerung tendiert gegen Rechts, weil sie sich nicht verstanden fühlt. Sie kann mit elitär-akademischen Diskursen nichts anfangen, weil sie weiß, dass es jederzeit wieder passieren kann, dass sie ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Arbeit, auf Würde verliert. Aufarbeitung tut dringend not. Das haben Politik und Journalismus noch nicht verstanden. Und, wie es scheint, Hans Heiss auch nicht.

Sa., 23.03.2024 - 12:33 Permalink
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Peter Gasser Sa., 23.03.2024 - 14:31

Antwort auf von Stereo Typ

Sie kennen den Ursprung des Wortes “Quarantäne”?

.

(bei der nächsten Pandemie, die in einer globalen Welt so sicher kommt, wie das Amen in der Kirche, wird es wieder, wie seit Jahrhunderten geübt, Quarantäne geben - alles andere wäre bodenloser Leichtsinn und vorsätzlicher Totschlag)

Sa., 23.03.2024 - 14:31 Permalink
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Manfred Klotz Mo., 25.03.2024 - 15:24

Antwort auf von Stereo Typ

So eine Ansammlung von Bockmist, meine Güte, werdet ihr tatsächlich nie klüger? Lesen Sie die Studienergebnisse, da steht das Grundproblem schwarz auf weiß: Mangelnde Bildung ist fruchtbarer Boden für Desinformation. Und diese teilweise gezielte Desinformation wäre eigentlich strafbar. Nur so als Tipp, weil Sie hier auch gerade Desinformation betreiben.

Mo., 25.03.2024 - 15:24 Permalink
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Hartmuth Staffler Mo., 25.03.2024 - 18:24

Antwort auf von Stereo Typ

Aufgabe einer Demokratie ist es unter anderem, die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen. Das ist ein Grundrecht, das nicht außer Kraft gesetzt werden darf. Die meisten Demokratien haben sich bemüht, durch geeignete Regeln das Grundrecht aller auf Gesundheit zu wahren. Dafür mussten zeitweise andere Rechte eingeschränkt werden, eine durchaus übliche und sinnvolle Vorgangsweise in allen Demokratien. So ist z.B. auch zum Schutze der Bevölkerung das Recht auf Rauchen eingeschränkt worden. Im Sinne der Verkehrssicherheit gibt es auf den Straßen Geschwindigkeitsbegrenzungen und entsprechende Kontrollen. Auch wenn manche Politiker auch in Südtirol unter Verweis auf eine angebliche Einschränkung ihrer Grundrechte (auf Raserei?) diese Kontrollen gerne abschaffen würden, so bleiben sie doch wichtig für das Grundrecht auf Sicherheit, in diesem Fall im Straßenverkehr. Eine Gesellschaft ohne Regeln ist nicht möglich, da die intellektuellen Fähigkeiten mancher Bürger nicht ausreichen, um selbst zu erkennen, was für die Allgemeinheit sinnvoll ist.

Mo., 25.03.2024 - 18:24 Permalink
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Salto User
Milo Tschurtsch Di., 26.03.2024 - 08:43

Antwort auf von Manfred Klotz

Die Bürger stellen sich nicht selbst andere Regeln auf, sondern berufen sich auf die von der Verfassung und den Menschenrechten zugesicherten Rechten. Diese Rechte gedacht als Schutz jedes einzelnen Menschen vor übergriffigen Staatsregierungen wurden nach dem 2. Weltkrieg (wie man sieht zu Recht) niedergeschrieben.
Diese stehen über den von temporären Regierungen erstellten "Befehlen" ( ohne Evidenz) , die Grund-und Menschenrechten zuwiderlaufen (obwohl sie sich in deren Rahmen zu bewegen haben) und wie man zunehmend sieht, rein politisch motiviert waren. DAS gilt es aufzuarbeiten, ist es doch die Basis unseres Demokratieverständnisses, was jeder mit einigermaßen "intellektuellen Fähigkeiten" erkennen kann. Wird diese BASIS angekratzt, erodiert Demokratie zunehmend was sich in Wahlverweigerung manifestiert. Das kann man leugnen, ändert aber nichts am Sachverhalt.

Di., 26.03.2024 - 08:43 Permalink
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Peter Gasser Di., 26.03.2024 - 12:58

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Zitat: “Die Bürger stellen sich nicht selbst andere Regeln auf, sondern berufen sich auf die von der Verfassung und den Menschenrechten zugesicherten Rechten”:
das tun alle Bürger, auch die Mehrheit - und nicht nur die kleine Minderheit, die Ihre subjektive Meinung zur Sachlage teilt.
.
Zitat: “Diese stehen über den von temporären Regierungen erstellten "Befehlen": das ist a falsch - Gesetze legitimer Regierungen sind keine “von temporären Regierungen erstellten "Befehle”: wo nimmt man nur derartigen Quark her?

Di., 26.03.2024 - 12:58 Permalink
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Peter Gasser Mi., 27.03.2024 - 13:32

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Ihr Kommentar drückt Ihre subjektive Meinung aus, welche Sie mit einer kleinen Minderheit teilen: das ist legitim und auch gut so.
Es deckt sich aber nicht mit der Wirklichkeit. Faktisch geben Sie hier Unrichtiges wieder, wie sämtliche diesbezüglich verlorenen Prozesse eindeutig belegen.

Eine Regierung ist auch legitim, wenn sie Ihnen nicht gefällt; Gesetze sind auch rechtens, wenn Ihnen diese nicht gefallen.
Die Legitimität einer Regierung und von Gesetzen hängt nicht vom Wollen & Wünschen, auch nicht von der Meinung einzelner oder einer Minderheit innerhalb einer Gemeinschaft ab.

Mi., 27.03.2024 - 13:32 Permalink
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Milo Tschurtsch Di., 26.03.2024 - 09:17

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Die Aufgabe eines demokratischen Staates ist es die RAHMENBEDINGUNGEN zu schaffen, damit jeder Zugang zu den Bereichen hat, die Gesundheit (körperliche geistige und soziale) ermöglichen. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, hat jeder selbst für die eigene Gesundheit zu sorgen, bzw. das recht diese bereitgestellten Rahmenbedingungen in Anspruch zu nehmen. Dabei können Regeln, wo es um Zusammenleben geht (Straßenverkehr, Rauchen in Gegenwart von anderen) aufgestellt und angepasst werden.
Ein (Grund)Recht des Staates Bürger zu körperlichen Eingriffen zu nötigen ( mit Strafandrohung , etwa 50 plus) gehört da nicht dazu. Im Gegenteil, der einzelne Mensch kann nicht zum Selbstschutz verpflichtet werden. Das wäre ja angesichts der vielen Gefahren für die eigenen Gesundheit, die sich Menschen täglich bewusst aussetzen (z.B. gefährliche Sportarten sind nur ein Beispiel) ja ein Eingriff in die persönliche Freiheit und überdies ein Fass ohne Boden.

Di., 26.03.2024 - 09:17 Permalink
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Cicero Mo., 25.03.2024 - 15:14

Antwort auf von Stereo Typ

Die nicht aufgearbeitete Covid Politik mag für einige Verirrte der Grund sein, die extremen Ränder zu wählen. Die Hauptgründe warum so viele Menschen aus der Mitte nach rechts abdriften sind aber vor allem in der seit 2015, mit Unterbrechungen, anhaltenden Migrationskrise und deren Folgen zu finden.

Mo., 25.03.2024 - 15:14 Permalink
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Christian I Mo., 25.03.2024 - 14:03

Ja, genau so ist es: das Dornròschen-Schlaf der Linken begùnstigt die Rechte! Das Nichts-Tun der Linken ist die beste Wahlwerbung fùr die Rechte.

Mo., 25.03.2024 - 14:03 Permalink
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K V Mo., 25.03.2024 - 15:58

Danke für die Analyse und insbesondere für den Satz "Die Beschleunigung von Medien und Politik treibt die Verkürzung von Sachverhalten voran, in krassem Gegensatz zu ihrer wachsenden Komplexität"

Mo., 25.03.2024 - 15:58 Permalink
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Bernhard Oberrauch Mo., 25.03.2024 - 18:11

Vielen Dank für die Überlegungen!
Ich möchte die Gedanken von Prof. Dr. Rainer Mausfeld mitgeben, er arbeitet auf dem Gebiet der Wahrnehmungs- und Sinnespsychologie: "Demokratie am Abgrund?"
Ein Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt auf der Manipulierbarkeit von öffentlicher und privater Meinung.
Ich bitte um eine Rückmeldung dazu.
https://www.youtube.com/watch?v=AHR9WJCj3qU
Hier sind die Folien:
https://www.oedp-muenchen.de/service/vortraege

Mo., 25.03.2024 - 18:11 Permalink
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Profil für Benutzer Peter Gasser
Peter Gasser Di., 26.03.2024 - 07:28

Antwort auf von Bernhard Oberrauch

Auch Sie müssen sich in Ihrer “privaten Meinung nicht manipulieren” lassen:

Mausfeld schreibt unter anderem Beiträge für den Rubikon und stellte seine Thesen in RT, KenFM, der SWR Tele-Akademie, pressenza.com, den NachDenkSeiten und activism.org dar - Sie müssen nicht in diese Manipulationsmaschine hinein und sich darin weichkneten lassen.

Im Februar 2023 war Mausfeld Erstunterzeichner einer von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition (Manifest für Frieden) an Bundeskanzler Olaf Scholz, die zur Beendigung der militärischen Unterstützung der Ukraine im Zuge des russischen Überfalls und zu Verhandlungen aufruft: Putin würde damit heute im Baltikum stehen, es gäbe nichts mehr zu verhandeln...

(übrigens: ich habe ‘Warum schweigen die Lämmer” von Rainer Mausfeld 2019 gelesen).

Di., 26.03.2024 - 07:28 Permalink
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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Mo., 25.03.2024 - 20:30

Manchem wird man beipflichten (können). Manches erinnert an ein Mindset aus einer anderen Zeit (vgl. a.: Jürgen Habermas, Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik; an Horkheimer, der gegenüber Adorno bemerkte: „Die Welt ist verrückt und das bleibt so. Im Grunde kann ich mir vorstellen, daß die ganze Weltgeschichte nichts anderes ist als eine Fliege, die sich verbrennt.“ Der Westen, der sich bislang dagegenstemmte, war für Horkheimer dem Untergang geweiht. Überall sah er Diktatoren auf dem Vormarsch und die Demokratie unter Beschuss, während die Gesellschaft in Banden zerfiel, zwischen denen kein Austausch mehr möglich war – außer Gewalt.)
Interessant ist allemal auch, was ausgeblendet, was eigentlich (Adorno) unterschlagen wird.
Auf die Rolle der Linken, der Eliten, der "brahmanischen Parteien" ( https://neuezeit.at/der-rechte-kaufmann-und-sein-linker-brahmane-2/amp/ ) z.B. wird erst gar nicht eingegangen.
Ebenso erfährt man nicht, wie die "Aggregate" (s.o.) reaktiviert werden können: Wie kann Demokratie ganz konkret denn wieder zum Ursprung ihrer selbst – zu den Bürgerinnen, Bürgern – gebracht werden, um sich zu erneuern und die inneren und äußeren Angriffe auf sie abzuwehren?
Was ist mit der Forderung nach eigenen Rechten der Natur/Biokratie, dem ethischen Leitbild, mit dem der Mensch, der gegenwärtig seine eigene Existenz durch Raubbau an der Biosphäre und an deren Artenreichtum gefährdet, die Natur als Partnerin ernst nimmt und als Teil einer Überlebensstrategie für den Menschen dieser eigene Rechte zugesteht?
Oder wie können ökologische Herausforderungen, Klima- und Naturschutz, in die sozialen, technischen und ökonomischen Infrastrukturen integriert werden?

Mo., 25.03.2024 - 20:30 Permalink