Gesellschaft | Sozialgenossenschaften

Sparen auf dem Rücken der Schwachen

Während die Landesregierung Maßnahmen für den Arbeitsmarkt beschließt, drohen immer mehr Arbeitsplätze von benachteiligten Menschen Opfer der Sparpolitik zu werden.
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Foto: Tommaso Vian

Im Raum Meran lässt sich das Problem vieler Sozialgenossenschaften mit wenigen Zahlen auf den Punkt bringen: „2009 hatten wir von der Gemeinde Aufträge im Wert von 190.000 Euro, jetzt sind wir bei 60.000 Euro angelangt“, sagt Monika Thomaser, Direktorin der Sozialgenossenschaft Albatros. Seit bald 20 Jahren schafft die Genossenschaft Arbeitsplätze für Menschen am Rande der Gesellschaft. Ob Gartenarbeit, Reinigung, Tischlerarbeiten oder Gebrauchtkleidersammlung: Mit einfachen Tätigkeiten erhalten Menschen, die aufgrund unterschiedlicher Beeinträchtigungen kaum Chancen auf dem  Arbeitsmarkt haben, die Möglichkeit sich selbst ein Einkommen und eine soziale Absicherung zu schaffen.

30 Prozent solcher Beschäftigten sind die Voraussetzung für die Anerkennung als Sozialgenossenschaft der Kategorie B. Bei Albatros, einer der drei Großen im Land, sind es mehr als die Hälfte der im Schnitt 70 Angestellten. Dazu kommen Menschen, die aus anderen Gründen Probleme bei der Arbeitssuche habe – wie Migranten oder Arbeitslose kurz vor dem Rentenalter.

In Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit generell steigt, ein wichtiger gesellschaftspolitischer Auftrag. Doch diesen können die Genossenschaften im Land in Zeiten der öffentlichen Sparpolitik immer schwerer erfüllen, sagt nicht nur Thomaser. Während noch vor einigen Jahren ein Großteil der Aufträge der öffentlichen Hand direkt vergeben wurde, werden sie mittlerweile auch unter dem verpflichtenden Schwellenwert von 200.000 Euro fast immer ausgeschrieben. Und: „Die meisten dieser Ausschreibungen nach dem Kriterium des größten Abschlags statt nach Qualitätskriterien entschieden“, sagt Giulia Failli, Direktorin der Bozner Sozialgenossenschaft Oasis und stellvertretende Vorsitzende des Dachverbandes Legacoopbund.

Aushebelung der Qualitätsausschreibung

Das Ergebnis dieser Entwicklung versetzt den gesamten Sektor in Sorge. „Was wir derzeit erleben, ist die komplette Aushebelung der Qualitätsausschreibung“, sagt Stefan Hofer, Präsident des Dachverbades für Soziales und Gesundheit. Ein Trend, der umso schwerer wiegt, als in den vergangenen Jahren dank der immer noch guten Zahlungsmoral in Südtirol immer mehr Mitbewerber von außerhalb am Kuchen der öffentlichen Aufträge mitnaschen. Laut Giulia Failli sind heute vier bis fünf Mal so viele auswärtige Genossenschaften in Südtirol aktiv. „Früher kamen sie nur für große Ausschreibungen, mittlerweile wird auch schon bei kleinen Summen mitgeboten“, sagt sie.

Die Folge? Eine Preisspirale, die sich ständig nach unten dreht. Denn in Folge der Krise würden Genossenschaften wie Private versuchen, sich Aufträge über möglichst hohe Abschläge zu sichern. Teilweise würden Abschläge von über 50 Prozent zugelassen, obwohl der stattliche Kodex einen Ausschluss unangemessener Angebote vorsehe, beklagen die Vertreter der Genossenschaften. Nachdem bei Folgeausschreibungen erneut ein Abschlag gemacht würde, ergeben sich für gleichbleibende Leistungen vielfach Preise, die unter den Kosten liegen, die für Personal und Material anfallen. „Ich frage mich ernsthaft, wie manche  Genossenschaften bei Preisen von 13 Euro die Stunde wirtschaften können“, sagt Monika Thomaser.

Sie sieht in der steigenden Konkurrenz unter den Sozialgenossenschaften einen Kampf, der auf dem Rücken der Armen ausgetragen wird. Denn klar ist, dass die Leidtragenden vor allem die benachteiligten Personen sind, die in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen – und zwar sowohl hinsichtlich qualitativer wie auch quantitativer Aspekte. Denn während die Qualität der Arbeitsplätze immer weniger Berücksichtigung finde, würden angesichts rückgängiger Auftragszahlen auch immer weniger Arbeitsplätze für Personen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung stehen. Bei Albatros werden die bestehenden Arbeitsplätze derzeit noch über ein Ausweichen auf private Auftraggeber gesichert. „Doch vor allem für neue Fälle wird es zunehmend schwierig, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen“, sagt sie. Eine Entwicklung, die bei kleinen Sozialgenossenschaften in der Peripherie noch viel akuter auftritt. Bei Legacoopbund fürchtet man dort ein massives Wegbrechen von Arbeitsmöglichkeiten vor Ort, wenn der aktuelle Trend anhält.

Nullsummenspiel

Was ist also zu tun? Mehr Aufklärung bei den zuständigen Stellen in der öffentlichen Verwaltung, mehr Einheitlichkeit und Transparenz, nach welchen Kriterien ausgeschrieben wird, und vor allem eine klare politische Prioritätensetzung. „Die Politik muss in dieser Frage endlich ein klares Profil zeigen“, fordert Alberto Stenico von LegaCoopBund. Denn auch wenn auf politischer Seite immer wieder Verständnis für die Probleme der Sozialgenossenschaften signalisiert werde, würden die Entscheidungen in der Verwaltung vielfach zu ihrem Nachteil ausfallen. Monika Thomaser führt dies teilweise auf mangelnde Informationen in den Abteilungsdirektionen zurück; in vielen Fällen gehe es aber auch darum, sich über möglichst hohe Einsparungen zu profilieren. „Doch all jene Personen, auf deren Rücken nun gespart wird, stehen auf der anderen Seite wieder um Sozialhilfe an“, sagt sie. Das heißt, die Kosten würden sich nur innerhalb des Budgets verschoben. Wo sie besser eingesetzt sind, ist in dem Fall nicht schwierig zu beantworten.