Das Gezänk der Tsipras-Genossen
Die Anfangsidee war zündend - wie so oft. Eine linke Liste für die EU-Wahlen ohne Berufspolitiker und ohne den üblichen europafeindlichen Populismus, die für eine radikale Erneuerung der europäischen Institutionen eintritt. Eine Liste aus Kandidaten der Zivilgesellschaft, die jenes Italien verkörpert, das in der EU bleiben, aber sie tiefgreifend verändern will. Schon bald war ein prominentes Garantenkomitee um Italiens meistgelesenen Autor Andrea Camilleri gefunden und ebenso prominente Kandidaten: die Journalisten Barbara Spinelli, Curzio Maltese und Giuliana Sgrena, der Autor Ermanno Rea, der Historiker Andrea Prosperi, der Kabarettist Moni Ovadia und die sardische Sängerin Maria Elena Ledda. Alexis Tsipras schien ein kleines Wunder gelungen zu sein.
Doch schon bald zeigte sich, daß die Kinderkrankheiten der Linken keineswegs überwunden waren. Sektierertum, ideologische Abgrenzungen und Streitereien forderten erste Opfer. Die Kandidaturen der sizilianischen Antimafia-Aktivistin Sonia Alfano und jene des militanten Globalisierungsgegners Luca Casarini entzweiten das Garantenkomitee. Die sizilianische Unternehmerin Valeria Grasso wurde von der Liste gestrichen, weil sie an einer Veranstaltung der Fratelli d'Italia teilgenommen haben soll. Grasso empörte sich: "Non mi hanno neanche telefonato."
Die Umweltaktivistin Antonia Battaglia aus Taranto trat zurück, weil zwei apulische SEL-Vertreter auf die Liste gesetzt wurden. Battaglia wirft der Partei Nichi Vendolas vor, im Streit um das Stahlwerk Ilva doppelbödig zu agieren. Zudem protestierte sie in einem zornigen Brief an Alexis Tsipras. Weil ihnen der Briefwechsel verheimlicht worden sei, traten Camilleri und Paolo Flores D'Arcais aus dem Garantenkomitee aus. Indessen enttäuschte viele Wähler die Nachricht, daß die Prominenz auf der Liste nur zum Stimmenfang kandidierte, ihre Mandate aber anderen überlassen wollte. Spinelli: "Lasciamo il posto ai candidati, che più di noi hanno le energie e le competenze per portare a Bruxelles la nostra voce".
Doch das Chaos war damit noch nicht perfekt. Denn für ihre Kandidatur benötigt die in Südtirol mit den Grünen verbündete "Liste für ein anderes Europa" italienweit 150.000 beglaubigte Unterschriften, deren Sammlung in einigen Regionen scheitern könnte. In jedem der fünf Wahlkreise müssen 30.000 Unterschriften gesammelt werden, in jeder Region mindestens 3000. Das ist in der Lombardei mit 10 Millionen einfach, nicht aber in Aosta mit 130.000. Nun hat sich Spinelli an Kammerpräsidentin Laura Boldrini gewandt, die am Mittwoch eine Delegation der Liste empfing. Sie pocht auf eine Änderung des Wahlgesetzes, das derzeit in der Kammer behandelt wird.
Eine trügerische Hoffnung, denn keine Partei will ihre eigene Konkurrenz fördern, schon gar nicht der Partito Democratico. Scheitert die Sammlung der Unterschriften in Aosta, kann die Liste im Wahlkreis Nordovest nicht kandidieren. Tsipras kommt am Wochenende selbst nach Sizilien, um für die Unterschriftenaktion zu werben. Auch im Friaul ist es fraglich, ob die nötigen Unterschriften bis 15. April gesammelt werden können. Nun macht sich der Musiker und Nobelpreisträger Nicola Piovani mit einem Video für das Anliegen stark. Doch nach dem Dauergezänk der Genossen scheint fraglich, ob die Liste überhaupt die Sperrklausel von vier Prozent erreichen kann. Hatte Barbara Spinelli als Wahlziel zehn Prozent verkündet, so sackte Partei am Montag in der jüngsten EMG-Umfrage für La 7 auf ein Rekordtief von 2,9 Prozent - Anlass zu neuen Polemiken.