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Ideale in der letzten Reihe

Die Südtiroler Freiheit hat diese Woche ihr altbekanntes „Tiroler Merkheft“ veröffentlicht. Damit entfacht sie erneut einen Streit, ob und wie Parteien in den Klassenzimmern um Stimmen werben dürfen.

„Wir sind nicht freiwillig zu Italien gekommen und haben mit Italien nichts zu tun“. Dieser Satz steht als Antwort unter der Frage „Warum soll Süd-Tirol das Selbstbestimmungsrecht ausüben?“. Bei Pressekonferenzen oder Wahldebatten sind solche Aussagen der Südtiroler Freiheit keine Seltenheit, in Merkheften mittlerweile auch nicht mehr. Bereits zum vierten Mal ist das „Tiroler Merkheft“ im Handel zu erwerben und scheidet auch dieses Jahr die Geister. Doch heuer scheint die Thematik besonders brisant, denn im Oktober finden Landtagswahlen statt. Grund genug, diskutieren zu dürfen, ob Parteiwerbung in Schulen vertretbar ist. Laut Barbara Klotz von der STF gebe es beim „Tiroler Merkheft“ aber keine parteipolitischen Absichten. „Bei uns geht es nur um Ideale wie Gerechtigkeit und Freiheit“, verkündet sie, „das hat nichts mit Parteipolitik zu tun. Ich kann den ganzen Aufschrei einfach nicht verstehen“. Die Südtiroler Freiheit wolle doch nur eine Alternative zu den italienischen "diari" bieten, beteuert Klotz. Wenn man nun aber im Besitz eines solchen Exemplares ist, stellt man fest, dass auf den meisten Seiten das STF-Listenzeichen abgedruckt ist und die Aufforderung, die Webseite der Partei aufzusuchen, mehrmals vorgebracht wird. „Solch offensive Werbung für politische Parteien“, meint der Landtagsabgeordnete der Grünen Hans Heiss, „darf kein Thema sein“. Die Schule sollte einen weltanschaulich neutralen Raum darstellen, fügt er hinzu, gezielte politische Werbung in Klassenzimmern sei nicht im Sinne des Gesetzes und der Schule.

Parteipolitische Einseitigkeit

„Vielleicht wird zu wenig über Politik in den Schulen diskutiert“, vermutet Heiss, „Pubertierende sind oftmals sehr aufgeschlossen und politisch interessiert“. Der Punkt sei aber, dass viele Jugendliche Populismus einfach nicht erkennen könnten. Und dort trete das „Tiroler Merkheft“ auf den Plan. Es enthalte zwar eindeutig weltanschauliche parteipolitische Zuschreibungen, befinde sich aber trotzdem noch unterhalb der Grenze zum Werbemittel, urteilt Hans Heiss. „Es regt auf der einen Seite zur Diskussion an“, findet er, „andererseits sollte zusammen mit den Lehrpersonen und der Direktion eine gemeinsame Linie verfolgt werden“. Toleranz gegenüber der Meinungsfreiheit wäre zwar gefragt, parteipolitische Einseitigkeit dürfe allerdings nicht zugelassen werden, fordert Heiss. Barbara Klotz sieht das nicht so eng. Sie verteidigt die Wichtigkeit des „Tiroler Merkheftes“: „Seit Jahrzehnten verbreiten Lehrer in Südtirols Schulen SVP-Drucksachen. Die meisten Schüler trauen sich gar nicht zu widersprechen“. Bei der Südtiroler Freiheit laufe es ganz anders ab. „Schüler und Eltern handeln eigenständig, wenn sie das Merkheft erwerben“, betont Klotz, „das ist deren Entscheidung“. Zu dieser Thematik erarbeitete Verfassungsrechtler Francesco Palermo schon vor einem Jahr ein Gutachten. Unklar ist trotzdem noch einiges. Denn Schulen dürfen keine parteipolitischen Werbemittel verbieten, Lehrer können solche allerdings aus ihren Stunden verbannen. So zum Beispiel gibt es gewisse Grauzonen, wie bei politischen T-Shirts. „Unsere T-Shirts dürfen Schüler in den Klassen tragen“, verkündet Barbara Klotz, „es gibt ja keine Kleiderordnung.“

Katalanen und Faschisten

Bei den Aufklebern, die sich auf den letzten Seiten des Merkheftes befinden, ist die Angelegenheit aber schon heikler. In öffentlichen Bereichen wie Schulen es sind, dürfen diese nämlich nicht angebracht werden, auch wenn sie zum privaten Eigentum gehören. Das leuchtet Barbara Klotz ein und sie erklärt: „Bis jetzt haben wir eine halbe Million unserer „Südtirol ist nicht Italien“- Aufkleber verteilt. Wir sagen den Leuten aber immer, dass sie die nicht überall anbringen dürfen“. Dennoch findet man diese Aufkleber nicht nur im privaten Raum. Warum unterlässt die Partei dann nicht einfach die Verbreitung der Aufkleber? „Die Katalanen haben ja auch „Catalonia is not Spain“- Aufkleber“, antwortet Klotz, „wollen Sie denen das auch verbieten?“. „Es tut mir leid, aber dann würde ich Sie als Faschisten bezeichnen“, schließt Barbara Klotz, inzwischen ein bisschen aufgebracht.

Reden statt verbieten

Landtagsabgeordneter Hans Heiss spricht sich strikt gegen eine Verbotspolitik aus. Viel mehr solle man einen Diskurs mit Besitzern solcher Werbemittel beginnen, sagt er. Schüler, die sich noch keine Meinung zur Poltik gebildet haben und somit besonders im Fokus der Parteien stehen, dürfen aber nicht vergessen werden. Das gilt auch für diejenigen, die sich durch Parteiwerbung provoziert oder angegriffen fühlen. Für solche Menschen hat Barbara Klotz jedenfalls kein Verständnis: „Wenn es da eine Italienischlehrerin geben mag, die sich durch unser Merkheft provoziert fühlt, dann ist das allein ihr Problem“.

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Hartmuth Staffler Di., 13.08.2013 - 23:35

"Wir sind nicht freiwillig zu Italien gekommen...." Anscheinend zweifelt der Autor an dieser Aussage. Warum hat er nicht Hans Heiss in seiner Eigenschaft als Historiker (nicht als Politiker) zu diesem Thema befragt? Heiss könnte vielleicht wissen, wie das vor über 90 Jahren war...

Di., 13.08.2013 - 23:35 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 14.08.2013 - 02:09

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Vielleicht wundert sich der Historiker so wie ich vielmehr über den zweiten Teil des Satzes. Ich hoffe doch, wir hätten auch als noch-österreichisches Teilbundesland etwas mit unserem Nachbarn Italien zu tun. Und als Freistaat dann gar nichts mehr? aha!?
Eine Frage, die mich aber schon lange interessiert, erlaube ich mir bei der Gelegenheit an den Experten zu stellen, auch wenn sie nicht unmittelbar themenbezogen ist: Warum applaudieren die Welschtiroler der STF und ärgern sich nicht darüber, dass da nicht steht "Warum sollen Süd-Tirol und Welsch-Tirol das Selbstbestimmungsrecht ausüben?"

Mi., 14.08.2013 - 02:09 Permalink
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Hartmuth Staffler Mi., 14.08.2013 - 08:11

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Die Aussage, dass wir "mit Italien nichts zu tun haben", bezieht sich darauf, dass wir keine Italiener sind, Süd- Tirol nie Italien war und Italien keinen Anspruch darauf hat, weil wir einen auf der Seite der Sieger beendeten imperialistischen Aggressionskrieg nicht als Legitimierung für einen Gebietsanspruch ansehen.
Die STF erhält in Welschtirol begeisterten Applaus, weil die Welschtiroler genau wissen, dass wir nicht nur die Selbstbestimmung für Süd-Tirol fordern, sondern auch eventuelle derartige Bestrebungen in Welschtirol unterstützen. Darüber müssen aber die Welschtiroler selbst entscheiden. Dies entspricht der Linie der Europäischen Freien Allianz (EFA), wonach jedes Volk selbst entscheiden soll, was in seiner Situation das Beste ist.

Mi., 14.08.2013 - 08:11 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 14.08.2013 - 13:14

Antwort auf von Hartmuth Staffler

danke für den Versuch einer Erklärung. Meine Lesart war bis dato "dass wir mit Italien nichts zu tun haben wollen" und ich halte die Leute von STF marketingtechnisch für viel zu professionell, als dass ich eine unbeabsichtigt ungeschickte Formulierung dahinter vermuten würde.
Aus den Medien kenne ich die Eva Klotz jetzt schon so lange, aber ich könnte mich an keine Aktion von Bedeutung erinnern, bei denen sie Schulter and Schulter mit den Trentinern gestanden hätte. Da haben die Schützen wohl mehr Austausch.
Auf Welschtirol.eu hätte ich noch nie gelesen, dass die Tiroler südlich Salurns eine anderes Volk wären als wir. Nun ist es ausgesprochen. Fällt da nicht ein Kartenhaus zusammen? Ist es nicht primär die Sichtweise der STF, dass hinter Salurn die Sintflut kommen möge und eben dieses neulich angeprangerte "Trentino è Italia!" in Wirklichkeit Programm ist? Wenn nicht, hat STF wenigstens Potential in der medialen Darstellung ihrer Welschtirolerfreundlichkeit.

Mi., 14.08.2013 - 13:14 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 14.08.2013 - 01:52

Ist mir als dummer Gedankenblitz durch den Kopf geschossen, aber dann... warum eigentlich nicht? Sollten wir Blogger als zu manipulierend gesehen werden, könnte ja eine geschützte Schülergruppe eingerichtet werden. Food for thought.

Mi., 14.08.2013 - 01:52 Permalink
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Hartmuth Staffler Mi., 14.08.2013 - 13:48

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Eva Klotz ist sicherlich die Süd-Tiroler Politikerin, die derzeit in Welschtirol am meisten präsent ist. Wenn sie z. B. zu einer der vielen Präsentationen der Biographie ihres Vaters Georg Klotz in Castello Tesino von drei Schützenkompanien, Brauchtumsgruppen und Hunderten von begeisterten Welschtirolern mit einem landesüblichen Empfang geehrt wird und der Bürgermeister mit Amtskette feierlich versichert, dass sie in seiner Gemeinde hochwillkommen sei und es immer sein werde, wenn Hunderte von Menschen bei schönstem Wetter begeistert der Buchvorstellung folgen, sich um Autogramme drängen und Eva Klotz beschwören, sie nicht im Stich zu lassen, dann kann das nicht alles Zufall sein. Tatsache ist: Welschtirol wacht auf, und die STF ist bereit, die Tiroler Brüder zu unterstützen. Wollen müssen sie aber selber.

Mi., 14.08.2013 - 13:48 Permalink

Interview mit Gian Antonia Stella: "Von der guten Eva bin ich enttäuscht, weil ausgerechnet sie, die sogenannte große Kämpferin für die Minderheiten, dagegen ist, dass die Gemeinden von Asiago an Südtirol angegliedert werden. Dabei müsste Frau Klotz doch wissen, dass diese Gemeinden auf eine jahrhundertelange deutsche Geschichte zurückblicken können". Siehe dazu auch meinen Beitrag "Groß-Trentino" http://www.salto.bz/de/article/17072013/gross-trentino.
Weiter mit Stella: "Eva Klotz hat es tatsächlich geschafft, lang und breit jeden sudtirolese aufzulisten, der von den Italienern misshandlet und getötet worden ist - und gleichzeitig nicht einen einzigen Italiener auch nur zu erwähnen, der die damaligen Auseinandersetzungen ebenfalls mit dem Tod bezahlt hat."
Was ich damit sagen will: es gibt wohl unterschiedliche Interpretationen der Sachlage.

Mi., 14.08.2013 - 14:44 Permalink