Società | Bürgerbeteiligung

Wut- und Mutbürger in Südtirol

Mitreden und Mitenscheiden: Wer will das nicht und wer will nicht gehört werden? Doch vielfach bleibt es beim Reden. Wie aktive Bürgerbeteiligung aussehen kann, speziell in ländlichen Gemeinden, war Thema einer Tagung am 22.11. in Bozen.

Bürgermeister, Gemeinderäte und Bürger sowie Experten zum Thema waren zur Tagung „Partizipation in ländlichen Gemeinden" eingeladen, die am 22. November im Bozner Gemeindesaal auf Initiative des Netzwerks für Partizipation stattfand. Wobei das Wort „Experten“ von Mitorganisatorin Sabina Frei gleich berichtigt wurde, denn Experten seien wir alle für unsere verschiedensten Lebenssituationen und den Lebensraum, der uns umgibt. Somit können wir alle ein Wörtchen mitreden, wenn es um politische Entscheidungen in unseren Dörfern, in unseren Städten geht.

Ganz bewusst war der ländliche Raum Themenaufhänger der Tagung: Gerade in kleinräumigen Gebieten, wo jeder jeden kennt, haben sich Formen des Miteinanderredens und Entscheidens etabliert, die schwer aufzubrechen sind. Das mag mit der Art und Weise zu tun haben, wie eine Gemeinde, ein Dorf geführt wird, ob die politische Verwaltung den patriarchalen Typus vertrete oder ob die Bürger mit ihren Problemen und Meinungen bis auf die Gemeindebeschlussebene vordringen und also konkret mitentscheiden könnten.

Bernd Karner vom Netzwerk für Partizipation sprach davon, wie es jedem einzelnen gelingen kann, eine Haltung einzunehmen, die offen für die Meinungen anderer ist und trotzdem die eigene nicht aufgibt. Die Haltung der „selbstbewusst wehrhaften Kooperation“ strebe jene Art von Kommunikation an, in der die Person die eigene Identität nicht durch übertriebene oder selbstgefällige Äußerungen verteidigen müsse, sondern wo eine sachliche Wertediskussion stattfinden kann. Seine eigene Losung dazu lautet, „weich gegen Menschen, hart in der Sache“, so Bernd Karner.

Im Mittelpunkt der Tagung stand vor allem das Wie der Bürgerbeteiligung. Welche Methoden und Praktiken gibt es, wo gibt es Beispiele dazu und wer wendet sie bereits an. Eine Podiumsdiskussion stellte diese Erfahrungen vor. So berichtete Annelies Pichler, Gemeinderätin aus Schenna über den „Bürgerdialog“, eine Initiative, in der die Bevölkerung über Diskussionsrunden, Fragebögen oder Arbeitsgruppen in die Dorfpolitik eingebunden wurde; zu Verkehrskonzepten, Großprojekten, Kultur, Jugend und Dorfentwicklung wurden Ideen gesammelt.

Vielfach erschöpfe sich die Bürgerbeteiligung in solchen Aktionen. Rosmarie Burgmann, Gemeinderätin aus Innichen berichtete enttäuscht vom völligen Rückschritt in ihrer Innichner Gemeinde. „Das in der vorhergehenden Legislatur erarbeitete Leitbild zur Bürgerbeteiligung wurde in dieser neuen Amtszeit bisher völlig übergangen. Der Prozess zu mehr Partizipation für Innichens Bürger wurde abgebrochen.“

Die erfolgreichste und sichtbarste Gemeinde hierzu ist wohl Naturns. Bürgermeister Andreas Heidegger stellte jene Kommunikations- und Entscheidungsmodelle vor, die seit einigen Jahren die Dorfentwicklung mitbestimmten. „Vielleicht sind solche Instrumente und praktische Hilfen noch zu wenig bekannt,“ meinte er (eigener Bericht folgt).

Ein eigenes Gemeindestatut für mehr Bürgerbeteiligung wünscht sich auch der Kurtatscher Bürgermeister Martin Fischer, doch „Partizipation“ ist in seiner Gemeinde vielfach noch nicht angekommen. „Wir hatten vor mir 30 Jahre lang einen guten Bürgermeister, der in einer patriarchal-wohlwollenden Art regiert hat. Die Bevölkerung wurde schon befragt, aber entschieden hat er.“ Aus einer solchen Dorfgeschichte heraus sei es schwierig, die Bürger für mehr Mitentscheidung wachzurütteln, besonders wenn es keine gravierenden Notstände gibt, wie es im Unterlandler Weindorf der Fall ist.

Auch die Aktionsgruppe „Hollawint“ aus Mals kam zu Wort. Ihr Netzwerk für nachhaltiges Leben sei aus Protest und Wut gegen den Obstanbau im oberen Vinschgau entstanden, sagt Martina Hellrigl. Ihr vordringliches Anliegen sei eine Volksabstimmung für eine Pestizide-freie Malser Gemeinde und ihre Methoden reichen von Mahnfeuern, Stammtischen, Transparentaktionen bis hin zu Leserbriefaktionen.

Die Resonanz bei dem zahlreich erschienenen Publikum war lebhaft, Kommentare und Wortmeldungen gab es von Bürgermeister Luigi Spagnolli, dem Bozner Stadtrat für Bürgerbeteiligung  Luigi Gallo, Arbeitnehmerchef Christoph Gufler, dem Vahrner Bürgerlisten-Gemeinderat Gregor Beikircher und nicht zuletzt von Stephan Lausch, der auf den 9. Februar 2014 hinwies, dem Tag des Referendums zum SVP-Gesetz, das die Mitbestimmung verhindert.