Politics | Rückschau

Maskenball

Vom Typ her scheinen Berlusconi und Di Maio ein absoluter Gegensatz zu sein. Der Psychoanalytiker Recalcati sieht eine Gemeinsamkeit: Sie sind beide gestört.
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Wer den italienischen Wahlkampf verfolgte und immer wieder die Gesichter der politischen Spitzenleute über die Mattscheibe huschen sah, den konnte oft ein merkwürdiges Gefühl beschleichen. Was da zu sehen war, schien ein Traumspiel zu sein, in dem die Hauptrollen nicht reale Menschen, sondern Masken besetzen. Hier der geliftete und mumifizierte Berlusconi, bei dem man schon froh ist, wenn er noch einen artikulierten Satz zu Ende bringt. Dort das Gegenbild Di Maio: jung, adrett, immer lächelnd. Aber irgendetwas stimmt auch bei ihm nicht. Das Lächeln wirkt gefroren, die Gestik eingeübt. Als ob ihm ständig zugeflüstert wird, sich „staatsmännisch“ zu geben. Sein Lieblingsauftritt ist der lange Gang durch den vollen Saal, von hinten kommend zum Podium, zwischen aufrauschendem Jubel und hundertfach ausgestreckten Armen. Er berührt sie, immer weitergehend, nur kurz mit den Fingerspitzen, als ob er sich von ihnen abstößt. Nah und abgehoben zugleich, so soll es wohl sein. Es gelingt ihm ganz gut, aber scheint wie ferngesteuert. Seine Ratgeber haben US-Wahlkämpfe studiert. Das inszenierte Charisma umgibt ihn wie ein Mantel, der zu weit ist.

In der „Repubblica“ erschien am 20. Februar ein Artikel, der Berlusconi und Di Maio aus psychoanalytischer Perspektive ins Auge fasste. Autor: Massimo Recalcati, der in Pavia und Verona Professor für soziale Psychologie ist.

Dass die in der Politik gefällten Entscheidungen und stattfindenden Wahlen nicht nur rational, sondern auch instinktgesteuert sind, ist für Recalcati elementar. Die gegenwärtige Situation Italiens trage zur weiteren Irrationalisierung bei, populistische Zauberversprechen hätten Hochkonjunktur. Es gebe zwei besonders beunruhigende Symptome: die „gespenstische“ Rückkehr des Berlusconismus und die „Bipolarität“ des Grillismus.

Rückkehr eines Gespenstes

Der Berlusconismus folge der Logik des schlechten Politikers, den schon Platon im „Gorgias“ beschrieb: der wie ein Zuckerbäcker „den kleinen Patienten, die über Schmerzen klagen, nicht wie ein verantwortungsvoller Arzt restriktive und unpopuläre Kuren verschreibt, sondern ihnen den unbegrenzten Zugang zu jeder Art von Köstlichkeiten verspricht. Und sich auf diese Weise einen leichten Konsens ergattert, auch wenn er dabei die Gesundheit seiner kleinen Kunden aufs Spiel setzt“. Zum Berlusconismus gehöre auch, dass „sich alles in völliger Gleichheit zu wiederholen scheint, ungeachtet veränderter Zeiten und Problemlagen.“ Wieder werden staatliche Schikanen beklagt und die apokalyptische Invasion der Barbaren beschworen. Wo er früher beim Hauptkonkurrenten die „kommunistische Gefahr“ sah, ist der neue Hauptkonkurrent (die 5-Sterne-Bewegung) „noch schlimmer als die Kommunisten“. Wieder werden Amnestien für Bau- und Steuersünder angekündigt und ohne Rücksicht auf Machbarkeit Wunderlösungen versprochen (Trumps flat tax lässt grüßen).

Für Recaltati verrät die „mumifizierte Maske dieses Leaders“, was die immergleiche Rhetorik verbirgt: „das Vergehen der Zeit, das seine Spuren hinterlässt, die den unvermeidlichen und fatalen Niedergang ankündigen.“ Erstaunlich sei, wie sich die einstige liberale Tradition des Mitterechts-Lagers inzwischen auf die gespenstische Unzerstörbarkeit des einen Leaders“ reduziert habe. Dieser werde zu einer Art „hypnotischem Talisman“, „ohne den von Mitterechts nichts bliebe als das zusammenhanglose Geschrei seiner rassistischsten und fremdenfeindlichsten Vertreter. Aus der liberalen Verteidigung des Individuums und seiner unveräußerlichen Rechte ist ein trostloses Phänomen der Massenpsychologie geworden, die Vergötzung eines Individuums und seiner charismatischen Kräfte.“

Der Bipolarismus der 5-Sterne-Bewegung

Bei den Grillini diagnostiziert Recalcati eine immer pathologischer werdende „Bipolarität“. In der Psychologie bezeichnet die „bipolare affektive Störung“ (BAS) das Phänomen heftiger Schwankungen zwischen Depression und Manie, ohne dass die Patienten diesen Wechsel noch kontrollieren können. Recalcati erweitert dies zum manischen Wechsel der Positionen: Bei der 5-Sterne-Bewegung gebe es „keine wichtige Frage, bei der diese Oszillation nicht auf groteskeste Weise sichtbar wird“, angefangen mit der Frage des Euros und dem Verhältnis zur „inneren Demokratie“ (die jetzt durch die von Casaleggio gesteuerte „okkulte Regie einer GmbH ersetzt“ worden sei). Man könnte weitere Beispiele  hinzufügen: die Kehrtwende beim Ius soli, die plötzliche Lockerung des Verhaltenskodexes bei Ermittlungsverfahren (wenn es um eigene Amtsträger geht). Zur Erklärung verwiesen wir bisher vor allem auf Casaleggios politisches Marketingkonzept und auf das „Fischen in beiden Lagern“. Nach Recalcati gibt es dafür auch ein psychisches Korrelat: eine bipolare Persönlichkeitsstruktur. In der Führung der 5-Sterne-Bewegung konnte sich nur halten, wer alle Wechselbäder der von oben diktierten Positionswechsel überstand.

Exemplarisch zeige sich dies bei Di Maio, dem Kandidaten für den Ministerpräsidenten. Ihm stellt Recalcati „als Psychoanalytiker“ die eindringliche Frage: „Welcher Mangel an kritischer Selbstreflexion zeigt die Annahme dieser Kandidatur? Was mich erschüttert, ist nicht so sehr seine technische Inkompetenz, sondern seine allerpersönlichste Entscheidung zur Übernahme der Kandidatur. Wie viele andere würden wohl eine Aufgabe solcher Relevanz übernehmen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie man die Res publica regiert? Dieser Mangel an Einschätzung der eigenen Grenzen ist es, der mich erschüttert. Es ist dies der manische oder besser: juvenile Pol der 5SB. Ein von der Realität abgehobenes Gespenst der Reinheit und der Allmacht. Ich frage mich: Gab es bei ihm wenigstens Momente der Panik, des Schwindels und der Angst? Ich wünschte es ihm, denn es wäre ein Anzeichen dafür, dass ihn jener manische Omnipotenzglaube nicht völlig absorbiert, den er, der auf den ersten Blick Andersartige, von seinem Gründer geerbt zu haben scheint.“  

Geringe Chance für Normalität

Die Zukunft Italiens könnte demnächst in den Händen dieser beiden Figuren liegen, womit Recalcatis Kommentar endet. Das Bild hellt sich auch dann nicht auf, wenn man die beiden anderen Leader hinzunimmt: den Lega-Chef Salvini, der Le Pen verehrt, ein xenophober Brandstifter ist und psychisch das Phlegma eines Kampfhundes hat. Ihn quälen wohl keine Alpträume. Und Renzi, den einst so großmäuligen Verschrotter, der für die PD längst zur Belastung geworden ist und inzwischen wie der Ritter von der traurigen Gestalt wirkt. Der einzige Mensch, der in diesem Umfeld noch positive Normalität zeigt, ist der amtierende Ministerpräsident Gentiloni. Die mit ihm gegebene Chance ist, wie es scheint, schon verspielt, dank der gemeinsamen Anstrengung der ansonsten gespaltenen Linken.

Allerdings liegt die Pathologie Italiens nicht nur beim Führungspersonal. Sondern auch bei einer Wählerschaft, bei der die Heilsversprechen Berlusconis, die Hasstiraden Salvinis oder die Allmachtsträume Di Maios ihren Nährboden finden. Auch wenn sie zu Hause bleiben, tanzt sie beim Maskenball mit. Ein Trost ist das nicht. Psychoanalytiker können warnen. Aber verhindern, dass gestörte Menschen an die Macht kommen, können sie nicht.