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Vom Leiden des Lars Eidinger

Er gilt als einer der besten, wenngleich auch umstrittensten Schauspieler Deutschlands - Lars Eidinger. In einer neuen Dokumentation wird sein Schaffen porträtiert.
Lars Eidinger
Foto: Holzemer
Es kam in der Vergangenheit selten vor, dass die Rolle des Jedermann bei den gleichnamigen Salzburger Festspielen einem Deutschen zugeteilt wurde. Lars Eidinger, seines Zeichens in Berlin geboren und noch immer dort lebend, bekam 2021 den Zuschlag, und spielte die ikonische Figur zwei Jahre lang. An seiner Seite Verena Altenberger als Buhlschaft, die ihrerseits für Schlagzeilen sorgte, aus ganz anderen, nichtigen Gründen. Beide haben das Amt mittlerweile wieder abgelegt, und den Staffelstab weitergegeben. Eidinger ist bereits auf zu neuen Herausforderungen, der Schauspieler ist einer, der nicht zur Ruhe kommt, ein Tausendsassa, was auch seine vielen Leidenschaften beweisen, von denen die Schauspielerei nur eine ist. Auch fotografisch ist er aktiv, außerdem legt er als DJ in Clubs auf. Das stört manche, sagt Eidinger selbst. Er solle sich auf das Schauspiel konzentrieren, und seine Finger von all dem lassen, was zu einer Überpräsenz seiner selbst führt. Dass er das Schauspiel mit mangelnder Konzentration betreibt, ist ein schwer haltbarer Vorwurf. Das zeigt ein neuer Dokumentarfilm von Reiner Holzemer, mit dem Titel „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“. Das Shakespeare-Zitat schließt nicht nur Eidingers Liebe für den Dramatiker ein, es beschreibt auch die inneren Schlachten, die der Schauspieler kämpft. In rund 90 Minuten begleitet Holzemer Lars Eidinger durch ein Jahr voller Arbeit. Neun Monate wich der Dokumentarfilmer dem Schauspieler nicht von der Seite, begleitete ihn bei den Proben für den Jedermann in Salzburg, bei Wiederaufführungen von „Hamlet“ und „Richard III.“ an der Schaubühne in Berlin, nach Paris zu Dreharbeiten von Oliver Assayas Serie „Irma Vep“, fährt mit ihm Taxi und über die österreichischen Autobahnen, ist ihm stets ganz nahe, sowohl physisch, als auch geistig, zumindest lässt Eidinger das Publikum das glauben.
 
Eidinger ist der Protagonist seiner Geschichte. Es dreht sich alles um ihn, und alle haben sich um ihn zu drehen.
 
Reiner Holzemer möchte den Mensch Eidinger begreifen, und Eidinger ist in dieser Hinsicht ein offenes Buch. Wenige Schauspieler sind derart bemüht, von sich zu reden, sich selbst auszustellen, scheinbar filterlos und völlig ehrlich. Gerade letzteres wird dem öffentlichen Eidinger oft abgesprochen, wenn er etwa auf der Berlinale im Zuge einer Pressekonferenz vom Hass in der Welt spricht, in Tränen ausbricht, und ihm das nicht abgekauft wird. Generell scheint Eidinger nah am Wasser gebaut zu sein. Mehrmals im Laufe der Dokumentation fließen Tränen, ob aus Rührung, wenn er über seine Arbeit und eine Figur spricht, oder aus Wut, wenn ihm nicht zugehört wird (eine längere Sequenz zeigt gleichermaßen faszinierend wie abschreckend einen Wutausbruch bei den Proben für den Jedermann), spielt dabei keine Rolle. Eidinger ist der Protagonist seiner Geschichte. Es dreht sich alles um ihn, und alle haben sich um ihn zu drehen. Er ist der Hauptdarsteller, die Hauptsache, als Zentrum der Dokumention fühlt er sich sichtlich wohl.
 
 
Das mag nun alles recht negativ klingen, und man muss schon schmunzeln, wenn Eidinger an einer Stelle sagt, er möchte keine Diva sein, es in der selben Szene aber lauthals brüllend widerlegt. Dem Schauspieler bei seiner Arbeit zuzusehen, und zu verstehen, mit welcher Hingabe und Ernsthaftigkeit er sich in jede neue Rolle stürzt, ist faszinierend. Es scheint, er erwache erst auf der Bühne, wo er, wie er selbst sagt, erst zu sich findet, während andere Schauspieler*innen behaupten, das Selbst genau dort abzulegen, um jemand anderer zu werden. Eidingers durchweg überzeugenden Leistungen geben ihm recht.
 
Spannend wäre es gewesen, den Stil des Films an den Menschen anzupassen, über den er zu erzählen versucht.
 
Abgesehen von Eidingers Interviewausschnitten kommen noch einige wenige Kolleg*innen zu Wort, unter anderem große Schauspielerinnen wie Isabelle Hupert oder Juliette Binoche, beide allerdings für kaum zwei Minuten, sodass der Eindruck bleibt, ihre Präsenz im Film diene mehr der Profilierung, von Eidinger und Reiner Holzemer gleichermaßen. Interessanter sind die Aussagen von Eidingers langjährigem Regisseur Thomas Ostermeier, einer Art Vaterfigur.
Lars Eidinger feiert als Jedermann Premiere, wird gefeiert, die Inszenierung ist ein Erfolg. Am Ende bleibt der Gang in die Umkleide, das Abschminken, eine Dusche. Endet der Film, fragt man sich, was ihn als Kinodokumentation qualifiziert. Sowohl erzählerisch, als auch ästhetisch bewegt sich Holzemers Werk auf Fernsehniveau, gut, aber lediglich der Sache dienend, während Dokumentarfilme, die für das Kino gemacht werden, einem höheren Anspruch folgen (sollten). Es bleibt der Eindruck, einen Blick über Eidingers Schulter zu erhalten, formal und schlicht, ganz anders, als es die Persönlichkeit des Schauspielers ist, nahezu konträr. Spannend wäre es gewesen, den Stil des Films an den Menschen anzupassen, über den er zu erzählen versucht.
 
 
Trailer / Bildquelle: Filmwelt Verleih