Society | Justiz

Gesetzlicher Wahnsinn

Ein 84jähriger Südtiroler fällt mit dem Rad um. Neun Monate später bekommt er jetzt einen Strafbefehl. Er soll über 23.000 Euro zahlen. Eine Südtiroler Geschichte.

Der Mann hat sein Leben lang gearbeitet und sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Demnächst wird der Südtiroler seinen 85. Geburtstag feiern.
Vor einigen Wochen flatterte dem Mann aber ein besonderes Geburtstagsgeschenk ins Haus. Es ist ein Strafbefehl des Landesgerichts Bozen. In dem amtlichen Schriftstück teil der Richter für die Vorerhebungen dem betagten Mann mit, dass „aus den Akten der Beweis der strafrechtlichen Verantwortung hervorgeht“ und „die vom Staatsanwalt beantragte Strafe angemessen ist“.
Im Namen des italienischen Volkesverurteilt das Landesgericht Bozen den Mann zu 23.250 Euro Geldbuße, davon 22.500 als Ersatz für 90 Tage Haft.
Es ist ein hartes Urteil. Der Mann muss ein Schwerverbrecher sein.

Der Umfaller

Was aber ist wirklich passiert? Der Südtiroler fährt täglich mit dem Rad in die Stadt. Im Oktober 2014 passiert dem Rentner beim Heimfahren ein Malheur. Er stürzt mit dem Fahrrad. Weder ein anderer Verkehrsteilnehmer ist in den Sturz verwickelt, noch kommt irgendjemand zu Schaden. Der alte Mann fällt mit dem Fahrrad einfach um. So wie es jedem, jung oder alt, schon passiert ist.
Passanten sehen den Sturz und rufen umgehend das Weiße Kreuz. Mit dem Rettungswagen kommt auch die Stadtpolizei. Der Mann wird ins Krankenhaus eingeliefert. Weil ein Verdacht auf eine Hirnblutung besteht, bleibt er einige Wochen im Spital. Heute ist der Mann wieder wohlauf.

Der Alkohol

Die Probleme kommen erst später. Denn im Krankenhaus wird dem Mann routinemäßig Blut abgenommen. Die Analyse ergibt 2,26 Promille im Blut.
Damit beginnt, ohne auf den Menschen oder die Umstände zu schauen, ein standardisierter Verfahrensablauf, der längst mehr Menschen ins Verderben gestürzt hat als alle Einbruchs- und Steuerdelikte zusammen.
Der Mann wird „der strafbaren Handlung nach der Straßenverkehrsordnung angezeigt, weil er das Fahrrad im Zustand der durch den Genuss von alkoholischen Getränken hervorgerufenen Trunkenheit gelenkt hat, erschwert durch den Umstand, einen Verkehrsunfall verursacht zu haben.“


Strafbefehl: 23.250 Euro zu zahlen.

Kein Wort in den Akten, dass es weder Sachschäden, noch Personenschäden bei dem angeblichen Verkehrsunfall gegeben hat. Aber das alles zählt bei den Wächtern der staatlichen Tugenden nicht. Das Gesetz sieht eine Tabelle vor, die einzig und allein auf dem Alkoholgehalt basiert und so auch die Strafen festlegt.

Der Skonto

Dabei kann der Mann noch von Glück reden. Denn das eigentliche vom Gesetz vorgesehene Strafmaß  beträgt 6 Monate Haft und eine Geldbuße von 1.500 Euro. Umgerechnet wäre das eine Strafe von 46.500 Euro.

Keiner fragt danach, wie ein Rentner überhaupt eine solche Summe bezahlen kann.

Oberstaatsanwalt Guido Rispoli hat aber beim Voruntersuchungsrichter die Halbierung der Strafe beantragt, die dieser dann auch zugestanden hat.
Keiner fragt danach, wie ein Rentner überhaupt eine solche Summe bezahlen kann. Der Mann hat sich einen Anwalt genommen und gegen den Strafbefehl berufen. Alle die bisher mit dem Fall betraut waren, sagen ihm, dass am Ende eh nichts passieren wird.
In drei Jahren verjährt der Fall. Wer weiß, ob der Angeklagte dann überhaupt noch lebt.
Egal wie das Ganze aber ausgeht wird.

Es ist auf jeden Fall ein unwürdiges Schauspiel. Und eine Alltagsgeschichte, die deutlich macht, wie weit es unser autoritärer Prohibitionismus und die ungebremste Rechtsstaatlichkeit inzwischen gebracht haben.