Politics | Demokratie

Ist Partizipation eine neue Herrschaftstechnik?

Wird Partizipation nur dort gefördert, wo sie der Logik der etablierten Ordnung entspricht? Warum Thomas Wagner mit seinem neuen Buch "Mitmachfalle" den Blick schärft.
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„Es scheint sich bei den Regierenden die Einsicht durchzusetzen, dass ein gewisses Maß an zivilgesellschaftlicher Partizipation die Umsetzbarkeit, Effizienz undund Legitimität der öffentlichen Verwaltung erheblich verbessert,“ ist eine der Grundthesen von Thomas Wagner in seinem neuen Buch „Die Mitmachfalle“, ist ihm doch die in Deutschland immer weiter verbreitete Bürgerbeteiligung grundsätzlich verdächtig. In seinem akribisch recherchierten Werk knöpft er sich jeden Ansatz einzeln vor, von Bürgerplattformen bis community organizing, von Bürgerhaushalten bis Bürgerräte, geißelt die allerorts stattfindende „Mitbestimmungssimulation“, um dann zum Schluss zu kommen: „Die Begeisterung für neue Beteiligungsformen hat weniger mit der Emanzipation der vielen als mit der Weiterentwicklung von Herrschaftstechniken durch das politische Establishment zu tun.“ Laut Wagner gäbe es zwei Tendenzen:

  • Wo Bürgerbeteiligung die Durchsetzung von Interessen und die Verwirklichung von Projekten stört, wird sie abgebaut.
  • Wo sie der Logik der etablierten Ordnung entspricht, wird sie gefördert.

So würde Partizipation mehr und mehr zum „Akzeptanzmanagement“ und zur Akzeptanzbeschaffung für Großprojekte verkommen. Die parlamentarische Demokratie werde zur „Mitmachgesellschaft“ umgebaut, ohne die realen Herrschaftsverhältnisse zu ändern. Kurz: „Statt den Bürgern eigene Entscheidungskompetenzen zu übertragen, lässt man sie nur mitreden.“ (Wagner).

Worauf will Wagner mit seiner Analyse hinaus? Was er in Gefahr sieht, ist die alte Vorstellung von Demokratisierung als Übertragung des demokratischen Prinzips auf alle Lebensbereiche, vor allem auf die Ökonomie: „Wenn die Demokratie nicht aus der Sphäre des Politischen in die Sphäre des Ökonomischen erweitert wird, bleibt sie halbiert“ (Wagner). Denn was von der Partizipation wohlweislich ausgespart bleibe, sei die Veränderung der grundlegenden Spielregeln, nach denen die Gesellschaft funktioniert. Auch soziale und ökonomische Prozesse müssten demokratisch kontrolliert werden, sonst bleibe es bei der demokratiefeindlichen Abspaltung der Wirtschaft von der Gesellschaft. Im Arbeitsleben und in der Wirtschaft werde wenig geredet über Mitbestimmung und Demokratie. „Nur wenn die Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums und die ökonomischen Entscheidungen dem Demokratieprinzip zugänglich gemacht werden, kann die Sache der Partizipation vorangebracht werden.“

Damit schüttet Wagner das Kind mit dem Bad aus. Denn auch wenn eine Bürgerinitiative eine zusätzliche Verkehrsbelastung in einem Stadtviertel verhindert, hat sie zwar nicht Reichtum verteilt, aber Lebensqualität erhalten; auch wenn durch ein Referendum ein AKW verhindert wird, ist für die realen Lebensverhältnisse aller viel gewonnen. Andererseits trifft es auch zu, dass alle Bemühungen um mehr Demokratie an den Betriebsverfassungen nahezu spurlos vorübergegangen sind. Auch wenn man Thomas Wagner in vielen Einschätzungen nicht zustimmt, seine „Mitmachfalle“ schärft den Blick auf die verschiedenen Facetten deliberativer und direkter Demokratie. Anregend, wichtig, lesenswert.

Thomas Wagner (2014), Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument, PapyRossa, Berlin, ISBN 978-3-89438-527-9, 12,90 Euro