Politics | Interview
„Qualität kostet immer etwas“
Foto: unibz / Erlacher
salto.bz: Frau Prof. Tappeiner, welche strategische Ausrichtung verfolgt die Freie Universität Bozen?
Ulrike Tappeiner: Unser Angebot soll einerseits international attraktiv sein, aber auch auf die lokalen Bedürfnisse eingehen. Wir wollen, dass sowohl Studierende als auch Professor:innen aus verschiedenen Ländern kommen, in der Mischung ergeben sich viele neue und innovative Sichtweisen. Dadurch sind wir deutlich internationaler aufgestellt als die restlichen italienischen Universitäten. Und es ist uns ein Anliegen, dass Absolvent:innen unserer Universität in den lokalen Arbeitsmarkt einsteigen.
Sollen in den nächsten Jahren noch weitere Studiengänge hinzukommen oder bestehende besser werden?
Beides. Ab dem neuen Semester bieten wir drei neue Studiengänge an, die Bachelorstudiengänge ‚Gastronomie und Önologie in Bergregionen‘ sowie ‚Elektrotechnik und cyberphysische Systeme‘ und den Masterstudiengang ‚Tourismusmanagement‘. Gleichzeitig schauen wir uns regelmäßig die Entwicklung der bereits bestehenden Studiengänge an. Bei jenen, die nicht so gut laufen, überlegen wir, ob wir sie schließen oder gegebenenfalls umbauen.
Das ist ein politisches Problem Italiens – nicht umsonst gehen viele hochqualifizierte junge Menschen ins Ausland, weil sie in der Forschung hier wenig Zukunft sehen.
Die Universität feiert heuer ihr 25-Jähriges, ein Grund zurückzublicken?
In diesen 25 Jahren hat sich viel getan, wir sind auf über 30 Studiengänge gewachsen. In Abstimmung mit dem Land, unserem Hauptfinanzier, haben wir entschieden, unsere Universität zu evaluieren. Dabei geht es darum, mit den Jahren aufgebauschte Prozesse zu vereinfachen sowie Forschung und Lehre als auch die sogenannte dritte Mission gemeinsam mit externen Professor:innen zu bewerten.
Was ist unter dem Begriff ‚dritte Mission‘ zu verstehen?
Seit ungefähr fünfzehn Jahren haben Universitäten neben der Forschung und Lehre den Auftrag, ihr Wissen in die Gesellschaft und Wirtschaft einzubringen.
Hier steht genau die Frage im Raum, ob eine Uni nur Fächer anbieten soll, die Studierende für den Arbeitsmarkt vorbereiten, oder ob eine Uni nicht auch mehr ist.
Wie läuft der Evaluierungsprozess der Fakultäten ab?
Jede Fakultät verfasst selbst einen Bericht, in dem sie ihre Forschung, Lehre und ihre dritte Mission mit Kennzahlen vorstellt. Beispielsweise enthält der Evaluationsbericht die Anzahl der Studierenden pro Studiengang, die verschiedenen Curricula, akquirierte Drittmittel, die Publikationsleistung oder die Vernetzung mit Stakeholdern. Aufbauend darauf führt die jeweilige Fakultät eine Analyse über ihre Stärken und Schwächen durch. Diese Unterlagen werden an sechs externe Gutacher:innen übermittelt. Die Evaluator:innen besprechen ihre offenen Fragen bei einem zweitägigen, intensiven Treffen an der Universität mit verschiedenen Bereichen, von der Universitäts- und Fakultätsleitung bis hin zu den Studierenden. Abschließend verfassen sie ein Gutachten mit ihren Ratschlägen. Drei Fakultäten haben den Prozess bereits abgeschlossen, bei den restlichen beiden läuft er noch.
Welche Ergebnisse konnten Sie bereits daraus ableiten?
Als Biologin vergleiche ich die Universität mit einem Baum, der in den letzten 25 Jahren gut gewachsen ist, fruchtbare Erde und noch genügend Wasser hat. In dieser Dürreperiode müssen wir sehen, wie es weitergeht. Im übertragenen Sinn meine ich damit die Finanzen. Bei einem 25-jährigen Baum gibt es immer auch Totäste oder Äste, die sich nicht gut entwickelt haben. Wie ein Gärtner müssen wir uns fragen, welche wir herausschneiden, damit der Baum besser wachsen kann und mehr Früchte trägt.
Wie gut werden die verschiedenen Studiengänge besucht?
Nach wie vor haben wir bei den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen einen hohen Zulauf, weil wir in diesem Bereich selbst im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt sind. Auch unser Angebot an der Fakultät für Design und Künste wird von Studierenden aus dem In- und Ausland sehr geschätzt, zumal dieses Studienangebot im italienischen Raum einmalig ist. Das etwas exotische Fach Musikologie hingegen läuft nicht so gut, unter anderem weil es im Ausland eigene Musikhochschulen gibt. Hier steht genau die Frage im Raum, ob eine Uni nur Fächer anbieten soll, die Studierende für den Arbeitsmarkt vorbereiten, oder ob eine Uni nicht auch mehr ist. Auch bei den neuen Studiengängen, gerade im dualen Bereich, gestaltet es sich noch schwierig, Studierende zu finden.
Wieso ist es bei dualen Studiengängen schwierig?
Diese Studiengänge wurden zusammen mit den Betrieben entwickelt, denn die Leute wollen sich weiterbilden. Dann kommt aber die Situation, dass ein Betrieb viele Aufträge hat und all seine Mitarbeiter:innen benötigt. Außerdem haben eher zentralistische Länder wie Italien die Studienpläne über das Wissenschaftsministerium sehr genau geregelt, das lässt uns als Universität oft nicht viel Spielraum und wir können nicht so schnell reagieren wie in Österreich, Deutschland oder der Schweiz. So agiert man manchmal an den realen Bedürfnissen vorbei. Das ist ein politisches Problem Italiens – nicht umsonst gehen viele hochqualifizierte junge Menschen ins Ausland, weil sie in der Forschung hier wenig Zukunft sehen. Wir versuchen natürlich als Uni Bozen unseren Spielraum optimal zu nutzen, wie in den sechs einjährigen Master, die eher als Weiterbildungsangebot dienen.
Das Tragische ist, dass Studierende aus dem Südtiroler Raum dieses Niveau bei Deutsch, Italienisch oder Englisch nicht immer erreichen.
Im internationalen Vergleich verdienen Dozent:innen der Uni Bozen überdurchschnittlich viel. Dadurch steigen auch die Kosten pro Studentin und Student. Sehen Sie diese Vorzugsbehandlung als gerechtfertigt an?
Der Ausgangspunkt Ihrer Frage stimmt nicht wirklich. Im italienischen Vergleich mag es vielleicht zutreffen, aber nicht international gesehen. Bei den Berufungsgesprächen mit zukünftigen Professor:innen verhandeln wir auch über das Gehalt. Ich bin seit knapp fünf Jahren Präsidentin der Freien Universität Bozen, deshalb habe ich einen guten Einblick. Wir haben große Probleme, Personen aus dem Ausland zu berufen, weil wir insbesondere durch die hohen Lebenskosten und dem angespannten Wohnungsmarkt in Südtirol nicht vergleichbar mit anderen europäischen Ländern sind.
Wie gestaltet sich die Personalsuche mit dieser Ausgangslage?
Viele Professor:innen sind in Deutschland Beamt:innen und können die damit verbundene Pension nicht nach Italien mitnehmen. Durch den Brexit hatten wir allerdings das Glück aus dem britischen Raum qualifizierte Professor:innen zu berufen. Ihnen war es als EU-Bürger:innen zu unsicher, weiter in Großbritannien zu leben. Eine Hilfe dafür waren auch die steuerlichen Begünstigungen für Personen aus dem Ausland durch das italienische Gesetz ‚Rientro di cervelli‘. Außerdem haben Professor:innen bei uns den Vorteil, dass sie in einer Region mit zwei Kulturen forschen können und nicht so viele Studierende betreuen müssen wie an großen staatlichen Unis. Das Verhältnis ist so familiärer, aber auch qualitativ viel besser. Damit steigen die Kosten pro Studentin und Student, da gebe ich Ihnen Recht. Aber Qualität kostet immer etwas.
Die Dreisprachigkeit und die sprachlichen Zugangsvoraussetzungen an der Uni Bozen stellen eine Hürde dar. Rektor Paolo Lugli ist deshalb für eine eher flexible Handhabung. Wie stehen Sie dazu?
Zwei Drittel unserer Studierenden wählen unsere Uni wegen der Dreisprachigkeit aus, weil sie ihre Sprachkompetenzen ausbauen wollen. Bei den Masterprogrammen und Doktoraten sind wir flexibler und es wird sehr viel in Englisch angeboten. In den Bachelorprogrammen haben wir jetzt bei drei Studiengängen den Pilotversuch gestartet, bei der Zweitsprache ein Sprachlevel niedriger vorauszusetzen. Das betrifft die beiden neuen Studiengänge als auch die Bildungswissenschaften. Wir versuchen hier den Studierenden entgegenzukommen, aber wollen die Dreisprachigkeit nicht aufgeben. Wir sind die einzige dreisprachige Universität in Europa und das macht uns in einer kleinen Stadt in einem kleinen Land wie Südtirol attraktiv.
Zu lange glaubte man, dass Universitäten vom Staat oder dem Land finanziert werden und die Forschungsarbeit für Unternehmen gratis ist.
Wieso haben Sie auch bei den Bildungswissenschaften das Sprechlevel gesenkt?
Dort haben wir gemerkt, dass wir durch die Sprachvoraussetzungen viele Studierende verlieren, obwohl wir dringend mehr Lehrpersonen benötigen. Dabei verlangen wir nur das Sprachniveau, das nach Abschluss der Matura erreicht werden sollte, nämlich B2. Das Tragische ist, dass Studierende aus dem Südtiroler Raum dieses Niveau bei Deutsch, Italienisch oder Englisch nicht immer erreichen. Ich denke, das ist ein Problem der Südtiroler Gesellschaft. Ich selbst bin in Montan aufgewachsen und in meiner Kindheit gab es noch eine italienische Volksschule im Dorf, wir mussten Italienisch noch mehr verwenden als heute im ländlichen Raum.
Wie kann die Zusammenarbeit mit der Südtiroler Wirtschaft gestärkt werden? Gibt es bereits finanzielle Unterstützung vonseiten der Unternehmen?
Dieser Punkt ist Rektor Paolo Lugli und mir sehr wichtig. Mit Harald Oberrauch haben wir einen Vizepräsidenten des Unternehmerverbandes bereits zum zweiten Mal im Universitätsrat und er unterstützt dieses Anliegen sehr. Die Südtiroler Wirtschaft finanziert vier Stiftungsprofessuren, viele Doktoratsstellen und zum Teil eines unserer Kompetenzzentren, das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit. Die neue Fakultät für Ingenieurswesen wurde mit ihnen konzipiert. Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft liegt uns sehr am Herzen und sie finanziert bereits einiges, aber es könnte durchaus mehr sein.
Wieso ist die finanzielle Unterstützung von Unternehmen für die Uni Bozen noch nicht so groß?
Es ist ein Lernprozess. Wenn ich an Stuttgart denke, dann finanzieren dort die Automobilindustrie und andere Industriezweige bereits seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich die Universität mit, weil sie die Absolvent:innen und Doktorand:innen benötigen. In Südtirol sind es bisher nur einzelne Unternehmen. Es fehlt das nötige Bewusstsein dafür. Zu lange glaubte man, dass Universitäten vom Staat oder dem Land finanziert werden und die Forschungsarbeit für Unternehmen gratis ist. Das ist heute nirgends mehr der Fall. Hinzu kommt, dass wir als Universität noch sehr jung sind und viele innovative Unternehmen sich selbst Forschungsabteilungen aufgebaut haben und mit anderen Universitäten zusammenarbeiten. Es ist für alle ein Lernprozess.
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Es sind nicht immer die
Es sind nicht immer die größten Talente, die bei den Gehaltsverhandlungen die höchsten Forderungen stellen. Es ist die nicht leichte Hauptaufgabe der Verantwortlichen für die Personalaufnahme, für die Stelle/Aufgabe, die/den am besten Geeignete/n heraus zu finden.
Die Ursache für die nicht so leicht durchsetzbare Bereitschaft, zumindest die Verständigungsschwelle bei Deutsch - Italienisch + Englisch zu überschreiten, liegt an den sich gegeneinander abschottenden 3 Schulämtern, die von der Politik zu verräumen wären.
die "dritte Mission" im
die "dritte Mission" im Bereich der Bildungswissenschaften (inkl. Sozialer Arbeit) war und ist schwach. Sie hätte während der Pandemie eine Riesenchance, eigentlich Verpflichtung gehabt, sich zu Wort zu melden und ihren Beitrag zur Versachlichung der Debatte rund um Schulschliessungen, Maskenpflicht, soziale Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche etc. beizutragen, wie das woanders ja auch passiert ist und sich in den Medien abgebildet hat.