Culture | Buch: Erlebnis Kunst in Südtirol

Eine kleine Schule des Sehens

Die Uni Bozen neu betrachten. „Kultur ist nicht nur etwas, das anderswo geschieht oder existiert. Wir leben mitten in ihr und sind Teil von ihr. Wir müssen nur...
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...unserem gewohnten Umfeld mit anderen Augen begegnen.“ – Aus: Erlebniskunst in Südtirol von Andreas Hapkemeyer.

Tagtäglich laufen Studenten durch die Gänge der Universität Bozen. Jeden Mittag wird nach der Vorlesung in der Mensa gegessen. Am Nachmittag sitzt man dann in der Bibliothek zum nacharbeiten. Ist aber jemandem schon mal aufgefallen, dass die Bank vor der Universitätsbibliothek, einem Amphitheater ähnelt, oder dass etwas mit den Lichtern am Hauptgang im Erdgeschoss nicht stimmt? Hat jemand den roten Wandteppich an der Mensa bemerkt, oder die Toilette, bei der die Damentür blau und die Männertür rosa gefärbt ist? Viel zu häufig laufen wir an gewohnten Orten vorbei und verpassen dabei altes Kulturgut und Kunst, die oftmals auf den ersten Blick für das Auge unsichtbar ist. Denn was man kennt, übersieht man. Andreas Hapkemeyer, ursprünglich aus Osnabrück in Deutschland, seit Jahren in Bozen ansässig, möchte mit seinem Buch Einheimischen und Touristen, Kunstliebhabern und Laien die Augen öffnen. Mit einfacher Sprache klärt er über die Faszination von Kunst auf, die in Monumenten und Bauwerken integriert ist, und sehr viel über ein Land und seine Geschichte aussagt. Er ist heute Dozent für Kunst und Literatur an der Uni Innsbruck und Bozen und arbeitet außerdem als Kurator am Museion. Andreas Hapkemeyer über sein neuestes Buch Erlebnis Kunst in Südtirol - von Fratzen, Fresken und Fassaden.

 

Herr Hapkemeyer, auf welche Fragen findet man in ihrem Buch Antworten?

Es geht um ein paar grundlegende Fragen, die nicht nur Südtirol betreffen sondern jeden kulturell interessanten Ort. Die Fragen haben alle mit unserem heutigen Leben zu tun. Es sind Dinge, die wir als Bozner jeden Tag erleben oder auch Dinge, die z.B. Touristen von außen als sehr interessant empfinden können. Es gibt zum Beispiel einen Baum vor dem Bozner Museion. Darin sind Schriften eingeritzt. Es sind Namen von Orten, an denen es in Italien große Attentate gegeben hat. Der Baum steht vor ihrer Nase, aber die Leute wissen es nicht. Alles was ich in meinem Buch anspreche, sind Orte, die man selber besichtigen kann.

 

Sie beschreiben in Ihrem Buch verschiedene Schauplätze. Welcher davon hat Sie am meisten überrascht oder fasziniert?

Mich hat selber sehr vieles überrascht. Manche Sachen sind einem klar, aber von einigen Ergebnissen ist man doch überrascht, wenn man sich dann mit dem jeweiligen Kunstwerk auseinandersetzt. Zum Beispiel die Schriften im öffentlichen Raum. Welche ist diejenige, die Südtirol am meisten charakterisiert? Da bin ich zu dem Schluss gekommen, es ist die große Aufschrift über dem Siegesdenkmal. Jetzt kann man sich darüber ärgern und sagen, warum ausgerechnet die Schrift, die einen Großteil der Bevölkerung beleidigt? Aber sie steht mehr als jede andere Schrift für das heutige Südtirol, für das, was sich in der Geschichte verändert hat. Das wird in diesem einen Satz sichtbar.

 

Sie schreiben, dass aus neuen Blickwinkeln betrachtet, zeitlich Auseinanderliegendes plötzlich nahe miteinander verwandt scheint. Inwiefern kann man das verstehen? Können sie ein konkretes Beispiel nennen?

Zum Beispiel die Freiheitsstraße in Bozen scheint nichts mit den Lauben der Innenstadt zu tun zu haben. Und doch erzählen diese beiden Straßen eine gemeinsame Geschichte. Ursprünglich wollte der Stadtplaner des faschistischen Regimes Teile der historischen Laubengasse abreißen, um eine große Hauptstraße entstehen zu lassen. Weil ihm das aber verwehrt wurde, schaffte er schließlich die Vorlage für die heutige Freiheitstraße. Das Besondere daran ist, dass sie auf exakt derselben Achse liegt, wie die Laubengasse. Somit ist die gerade, breite Straße Ausdruck von Macht der Moderne und des faschistischen Regimes, und bildet das Gegenstück zur kleinen verwinkelten Laubengasse, welche für die altösterreichische Provinz steht. Als Verbindung zwischen Alt und Neu steht in der Mitte der Achse das Siegesdenkmal. Solche Dinge sind wichtig, denn sie sagen auch viel über die Mentalität der Menschen aus. Ich würde das Problem der Südtiroler mit Moderne auch auf diesen faschistischen Baustil zurückführen. Moderne wurde den Südtirolern nämlich immer mit Gewalt auferlegt, und wird deshalb negativ assoziiert.

 

Wie haben sie die Schauplätze ausgewählt?

Die Schauplätze sind Orte, von denen ich glaube, dass sie sehr stark sind. Dass sie etwas sehr stark repräsentieren, das nicht nur regional von Interesse ist, sondern auch für Leute, die von Außen kommen, sehr interessant sein kann.

 

In ihrem Buch schreiben Sie viel über Auftragskunst. Was ist der Sinn von Auftragskunst?

Wir als Moderne mögen eigentlich keine Auftragskunst. Für uns ist Kunst ein Werk, das der Künstler aus seiner Genialität heraus schafft. Was ich schön finde, das kaufe ich mir. Wirft man aber einen Blick auf die Geschichte, dann war es fast 100 Jahre lang so, dass der Auftraggeber, dem Künstler genau sagte, was er machen sollte. Kunst diente einem bestimmten offiziellen Zweck, ob es nun ein kirchlicher Auftrag war, oder etwa einem Schlossherren diente. Von solcher Auftragskunst gibt es in Südtirol hervorragende Beispiele, etwa das Schloss Hocheppan oder die Krypta von Marienberg. Schloss Rodenegg beherbergt Heldenbilder, die europaweit von großer Bedeutung sind. Im 20. Jahrhundert, der Zeit totalitärer Regimes in Europa, diente die Kunst ebenfalls der Darstellung des Staates und dessen Ideologie. Davon haben wir riesige Beispiele auf dem Gerichtsplatz Auch heute gibt es diese Art der Kunst wieder, obwohl sie lange Zeit verpönt war. Man spricht von Kunst im Bau. Denn Künstler integrieren ihre Werke immer mehr in die Öffentlichkeit. Dadurch ist Kunst weniger sichtbar.

 

Im Kapitel über die Uni Bozen sprechen sie von zeitgenössischer Kunst, die nicht als Kunst erkenntlich ist. Was ist nun Kunst und was nicht? Wo liegen die Grenzen, wie kann man etwas als Kunst bezeichnen

Kunst versucht sich immer neu zu definieren. Sie möchte nicht festgelegt werden. In den letzten 10, 20 Jahren hat sie entschieden: Ich will eigentlich gar nicht als Kunst erkannt werden. Normalerweise erkennt man ein Bild, das an der Wand hängt als Kunst oder ein Werk, das irgendwo ausgestellt wird. Heute versucht die Kunst, sich zu entziehen.

Was ist Kunst an der Uni Bozen?

Die Uni Bozen ist ein gutes Beispiel für Kunst im Bau. Etwa die orange Bank, die in der Bibliothek steht, ist Kunst. Sie wurde vom italienischen Künstlerkollektiv CALC entworfen und inspiriert sich an der Antike, da die Form der Sitzfläche einem antiken Amphitheater ähnelt. Oder auch das Lichtsystem am ebenerdigen Hauptgang, der nicht der üblichen Symmetrie folgt sondern einer mathematischen Formel. Das führt zu einer unregelmäßigen Verteilung der einzelnen Lichter. Ein weiteres Kunstwerk ist die Toilette im Hauptgebäude. Der Künstler Manfred A. Mayr färbte dort die Damentoilette blau, die Herrentoilette Rosa. Seitdem laufen regelmäßig Gäste in die falsche Toilette. Die heutige farbspezifische Geschlechterzuordnung gab es nicht immer. Erst seit Anfang des 20. gilt beispielsweise bei der Babybekleidung eine sehr strikte Trennung. Auf diese Stereotype will der Künstler augenzwinkernd hinweisen und kehrt sie einfach mal um. Einige Kunstwerke haben Hundert Tausende von Euro gekostet. Die Universität sollte diese Besonderheit eigentlich viel besser vermarkten, und die Verbindung zur Kunst stärker hervorheben. Daraus könnte sie einen großen Mehrwert gewinnen. Leider wird darauf viel zu wenig hingewiesen.