Society | Gewalt

Gewaltige Empfindungen

Abgesagte Anti-Gewalt-Demo in Meran, neuer Sicherheitsgipfel in Bozen - und die Gewaltdiskussion beherrschen erneut soziale wie reale Medien. Doch führt uns das weiter?

Ist es möglich in Südtirol einfach nur gegen Gewalt aufzutreten, in einer stillen Mahnwache ihrer Opfer zu gedenken? Nein, muss Paola Zampieri feststellen, die Barfrau aus Sinich, die eine für Freitag geplante Demo am Meraner Kornplatz wieder abblies, als sie mitbekam, dass rechtsextreme Gruppen mit auf den Zug gesprungen waren. Die Anti-Gewalt-Demo mitorganisieren wollte auch der Meraner Franz Reiterer. „Wir haben auf beiden Seiten viele Störenfriede im Land“, sagt er, „die einen vermuten in jedem Südtiroler einen Nazi, und die anderen vermuten in jedem Ausländer einen Terroristen“.  

Ist die Diskussion um Pestizide oder Seilbahnen emotional, wird sie beim Thema Gewalt hochemotional – und gefährlich. „Die Geister der 1930er Jahre werden heraufbeschworen“, schreibt Armin Mutschlechner von den Artbrothers Kraxentrouga in einem offenen Brief an Landeshauptmann Arno Kompatscher. „Im Namen der Südtiroler Zivilgesellschaft bitte ich Sie, Stellung zu beziehen. Dieses erniedrigende Schauspiel in den sozialen Netzwerken – auf dem Rücken von Mitmenschen aus anderen Herkunftsländern – ist uns Südtiroler nicht würdig.“

Am heutigen Mittwoch steht im Regierungskommissariat das nächste Treffen zum Thema öffentliche Sicherheit an. Keine Zunahme der Gewalttaten, hieß es dort schon nach dem Gipfel in der vergangenen Woche. Dennoch verzeichnet die Facebookseite Südtirol gegen kriminelle und gewalttätige Immigranten mittlerweile mehr als 2300 Likes. „Fast täglich kommen neue Mails herein, in denen Betroffene schreiben, dass sie negative Erfahrungen mit Immigranten gemacht haben“, heißt es dort. „Decken wir auf, was von der Öffentlichkeit und den Medien immer wieder schöngeredet und verschwiegen wird!“.

Empfinden vor Fakten

Gewalt von Migranten, das kann - wie zuletzt auf dem Meraner Sandplatz - ein Fakt sein, den es nicht schönzureden gilt, unterstrich auch Elda Letrari von der Grünen Bürgerleiste in Brixen am Dienstag Abend in der Diskussionssendung  Pro & Contra auf RAI Südtirol. Doch viel öfter scheint es bei dem Thema um ein Empfinden zu gehen, wie aus den Erklärungen von Bozens Vize-Bürgermeister Klaus Ladinser in einer Radiodiskussion des Senders deutlich wurde. Ein Empfinden, dass es im öffentlichen Raum Bereiche gäbe,  in denen man sich schwierig allein aufhalten könne. „Und ich kann nicht akzeptieren, dass unsere Bevölkerung Angst haben muss, sich in bestimmten Teilen unserer Stadt zu bewegen“, sagt Bozens Vize-Bürgermeister. „Es kann nicht sein, dass Gewaltformen von anderen Kulturen hier grundlos übernommen werden müssen und kein Einhalt geboten wird.“

Emotionen, Empfindungen, doch wo sind die Fakten? 6470 Straftaten wurden 2012 in Südtirol verübt, zitierte Pro&Contra-Moderator Siegfried Kollmann die aktuellsten Polizeistatistiken. 2800 oder 43 Prozent davon wurden von ausländischen Staatsbürgern verübt. Zahlen, die nicht wegzuleugnen sind. „Wir müssen dieses Phänomen alle gemeinsam beleuchten und eine Verbesserung der Situation herbeiführen“, sagt selbst Elda Letrari, die sich Tag für Tag aktiv für die neuen MitbürgerInnen einsetzt.

Sicher ist in jedem Fall, dass mehr als 40.000 von ihnen nicht kriminell sind – und sich durch rechtsextreme Parolen genauso verunglimpft fühlen wie durch das diffuse Empfinden vieler BürgerInnen, Angst vor ihnen haben zu müssen. Ein willkommener Einwand für den Freiheitlichen Sigmar Stocker: „Solche integrierte Einwanderer wenden sich immer öfter an uns und sagen, habt eine strenge Hand mit jenen, die sich nicht integrieren.“

Zahl der Körperverletzungen stabil, Intensität steigt

Auch Staatsanwalt Markus Mayr stellt klar: Es gibt keine nennenswerte Zunahme von Gewalttaten mit Körperverletzungen, „Hier geht es mehr um die öffentliche Wahrnehmung, die auch durch die Kampagne einer Zeitung beeinflusst ist.“  Was allerdings laut Staatsanwalt sehr wohl zunimmt, ist die Intensität der Körperverletzungen.

Je weniger Menschen etwas zu verlieren haben, desto höher ist ihre Gewaltbereitschaft, sagt Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention. Keine Ausbildungsmöglichkeiten, keine Arbeit, keine Wohnmöglichkeiten – ein Cocktail, der bei einheimischen wie zugewanderten Menschen Sicherungen durchbrennen lässt. „Es braucht viel Auseinandersetzung mit den Hintergründen“, meint Schwienbacher. Die wird aber nicht ohne mehr Sachlichkeit und mit weniger menschenfeindlicher Ideologie möglich sein.