Society | Aufklärung

Meraner Mission

Verunsicherung, Ängste, Vorurteile: Wie eine Schuldirektorin und ein Religionslehrer damit umgehen. Und ihre Schüler fit für eine Zukunft ohne Fremdenfeindlichkeit machen

“Wer der Jugend vorangehen will, muß gerade Wege gehen”, sagte einst der französische Dichter Jean Cocteau. Eine nicht leichte Aufgabe für die Erwachsenen in der heutigen Zeit, die von Schnelllebigkeit, Vergänglichkeit und sich überschlagenden Ereignissen gekennzeichnet ist. Und immer wieder Momente, in denen alte Ordnungen und Überzeugungen in den Grundfesten erschüttert werden. Nicht zuletzt die Anschläge in Paris und deren Folgen. Doch auch im Kleinen bleibt man von den globalen Umwälzungen nicht verschont, wie die Festnahme von vier mutmaßlichen Mitgliedern einer islamistischen Terrororganisation mitten in Meran gezeigt hat. Wie kann es da gelingen, der kommenden Generation konsequent und geradlinig voranzugehen und ihr die Zweifel vor der Zukunft nehmen?


Halt im Hin und Her

Eine nicht zu unterschätzende Rolle kommt dabei der Schule zu. Und in eben jener Stadt, die noch vor zwei Wochen als “Drehscheibe des internationalen Terrorismus’” bezeichnet wurde, gibt es eine, die ihren Weg gefunden zu haben scheint.
Seit mittlerweile zwölf Jahren laufen an der Landesberufsschule für das Gastgewerbe Savoy in Meran Projekte, die die Schüler sensibilisieren und für die Zukunft rüsten sollen. “Rechte Gewalt und Terrorprävention” hieß das erste Projekt, das von 2003 bis 2006 an der Schule lief. Zahlreiche weitere folgten: Ausstellungen und ein selbst gedrehter Film zu Rechtsextremismus, Fahrten nach Dachau und Auschwitz, Zeichen- und Malprojekte sowie gemeinsames Kochen mit den in Meran untergebrachten Flüchtlingen sind nur einige davon. Von Anfang an mit Überzeugung und Begeisterung dabei: die Direktorin der Savoy, Beatrix Kerschbaumer Sigmund, und Religionslehrer Peter Enz. salto.bz hat die beiden in Meran besucht. Sie kennen ihre Schützlinge genau und berichten: “Die Schüler haben ein tiefes Gerechtigkeitsempfinden, sind aber häufig hin und her gerissen. Dort gilt es, anzusetzen.”

Eine vor kurzem erstellte Zeichnung im Flur das an die Savoy angeschlossene Mädchenheim. Die Bewohnerinnen haben sie gemeinsam mit in Meran untergebrachten Flüchtlingen angefertigt.

Sie haben beide die Verunsicherung, die auch nach den jüngsten Geschehnissen unter den Schülern herrscht, mitbekommen. “Es ist schon verständlich, dass Ängste da sind. Die jungen Menschen stehen heute ja unter Dauerbeschuss: Medien, soziale Netzwerke und so weiter. Daher müssen wir sie fit machen.” Vor allem für ihre künftige Arbeit, aber auch das Leben insgesamt.


Alle in der Pflicht

Werte wie Offenheit und Toleranz gehören zu grundlegenden Eigenschaften, die an der Savoy vermittelt werden sollen: “Im Gastgewerbe geht es darum, sich zu begegnen, sich kennen zu lernen. Und durch die positiven Erlebnisse, die dabei gemacht werden, besteht weniger Gefahr für Radikalisierung”, sind sich Kerschbaumer Sigmund und Enz einig.

Ausländerfeindlichkeit ist Wirtschaftsfeindlichkeit. (Beatrix Kerschbaumer Sigmund)

Als erste Schule italienweit wurde die Savoy 2008 als “Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage” ausgezeichnet. “Und dieser Titel verpflichtet”, betont die Direktorin mit Nachdruck. Die Schule und ihre Schüler, aber auch die Lehrer. Denn unter ihnen gibt es genauso Verunsicherung wie bei den Jugendlichen: “Daher müssen wir sie stärken, denn es braucht den Rückhalt der Lehrpersonen. Sie funktionieren als Multiplikatoren, die die Gedanken an die Schüler weitergeben.”

“Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage”: Ein Titel, der verpflichtet.

Kommende Woche etwa steht ein pädagogischer Tag für alle Savoy-Lehrpersonen an. Gemeinsam mit den Volontarius-Mitarbeitern, die sich in Meran um die Flüchtlinge kümmern, sollen “Ängste beseitigt und Vorurteile geklärt” werden, so die Direktorin, “damit jeder Lehrer in seinem Unterricht auf die Grundgedanken, auf die unsere Schule aufbaut, eingehen und die Schüler dafür begeistern kann”. Probleme, diese zu motivieren, gibt es laut Kerschbaumer Sigmund und Enz keine. Mit Vorurteilen behafteten oder menschenverachtenden Aussagen begegnen sie mit Argumenten, “nicht mit Emotionen”. “Uns muss einfach klar sein, dass wir mit fremdenfeindlichen Verhalten einiges zu verlieren haben”, sagt die Schuldirektorin.

Wenn ich weiß, was für Dich wertvoll ist, werde ich dich dort nicht verletzen. (Peter Enz)


Verbinden statt Trennen

Voneinander lernen, darum geht es den Pädagogen in der Savoy. Peter Enz zählt zu den beliebtesten Lehrern an der Landesberufsschule – und das als Religionslehrer, möchte manch einer denken. Tatsächlich gibt es nur wenige Schüler, die sich von seinem Religionsunterricht abmelden, berichtet Enz. Er bemüht sich um jeden einzelnen, damit er am Unterricht teilnimmt. Und gestaltet diesen dementsprechend, “auf eine entkrampfende Art”: “Mir geht es darum, dass die Jugendlichen über die Religionen ihrer Mitschüler Bescheid wissen, erfahren, wie es bei den anderen ist. Denn das bereichert.”

Die Menschenrechte, gezeichnet von Schülern in ihrer Freizeit, hängen am Flur der Landesberufsschule.

Nicht Missionieren will er, sondern Religionslehrer, der nach eigenen Angaben bereits 15.000 Schüler unterrichtet hat, hat eine ganz andere Mission: “Mein Ansatz ist, das Verbindende in den Religionen aufzuzeigen und nicht das, was uns trennt.” Denn schließlich seien Christentum, Islam und Judentum “Geschwisterreligionen”. Dass es wie in jeder Familie dabei zu Streitigkeiten kommt, ist nichts Ungewöhnliches. “Vor allem das ‘Sandwichkind’ Christentum will immer auffallen”, sagt Enz mit einem Schmunzeln. Aber am Ende seien doch alle Geschwister, alle gleich viel Wert – das versucht er seinen Schülern beizubringen. “Denn wenn man diese Gleichwertigkeit akzeptiert, dann wird nicht gestritten”, ist er überzeugt.

Wir erklären unseren Schülern etwa, dass es um die Jahrhundertwende fünf verschiedene Religionsgruppen in Meran lebten. Und eine jede hat ihre Existenzberechtigung. (Beatrix Kerschbaumer Sigmund)


Ein Blick hinaus und nach vorn

Dass die Realität außerhalb des Klassenzimmers jedoch mitnichten um einiges rauer ist, das sieht auch Peter Enz ein. Wie die Verhaftungen in Meran und die Anschläge in Paris ein weiteres Mal gezeigt haben, gibt es Menschen, die ihre Religion als Rechtfertigung für kriminelle Taten und sogar Morde hernehmen. Der Religionslehrer hat eine klare Botschaft an seine Schüler: “Hier wird die Religion missbraucht. Es geht nicht um die Sache selbst, sondern um die Gier nach Geld und Macht. Und die hängt nicht von der Religion ab.”

Man muss die Religion zeitgemäß bringen, denn wer hat heute noch Zeit, lange Antworten zu geben? (Peter Enz)

Wer Beatrix Kerschbaumer Sigmund und Peter Enz zuhört, der merkt, dass es den beiden ernst ist. Den Weg, den ihre Schule eingeschlagen hat, folgt einer klaren Linie und einem klaren Ziel. “Die Welt wird sich von alleine nicht verändern, sondern wir müssen etwas dafür tun”, sagen die beiden. In nächster Zukunft wollen sie übrigens die Möglichkeit prüfen, ob an der Savoy künftig Flüchtlinge ausgebildet werden können: “Denn wer einen positiven Asylbescheid erhält und bleiben kann, der muss auf die Integration vorbereitet werden.”