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„Den Dialog mit der Politik suchen“

Ariane Benedikter steht seit Kurzem an der Spitze der Südtiroler HochschülerInnenschaft. Die Vorstandsvorsitzende über Kernkompetenzen, sowie Feminismus und Umweltschutz.
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Foto: Privat
Benedikter wird als Vorsitzende Teil einer recht kurzen Reihe von Frauen (siehe Liste in der Infobox am Ende des Arikels) an der Spitze der größten, seit 1955 aktiven Interessenvertretung von Südtiroler Studierenden im In- und Ausland, sowie der Student:innen an Südtiroler Standorten. Während in den Corona-Jahren in der SH vor allem auf widrige Studien-Bedingungen aufmerksam gemacht werden und - nach Möglichkeit - Lösungen und Gegenmaßnahmen gefunden werden mussten, steht mit Benedikter nun eine Idealistin an der Spitze. Sie absolvierte in Salzburg das Bachelorstudium Philosophie, Politik und Ökonomie (PPÖ).
Die junge Boznerin, die bislang stellvertretende Vorsitzende an der Seite von Julian Nikolaus Rensi war, hatte es unter anderem im März 2019 in die lokalen und nationalen Nachrichten geschafft, als Sie von Ex-Präsident Sergio Mattarella für ihr Engagement bei der NGO „Plant for the planet“ den „Alfiere della Repubblica“ verliehen bekam. Das Projekt führt sie gemeinsam mit anderen in der Aktionsgruppe „South Tyrol Plants“ fort, die sich auch zur Linderung der Waldschäden durch das Sturmtief Vaia aktiviert hat und allen Bürger:innen offen steht.
 
Salto.bz: Frau Benedikter, Sie sind an der EURAC im Minderheitenschutz und mit Ihrer Aktionsgruppe „South Tyrol Plants“ im Umweltbereich aktiv. Außerdem sind Sie bekennende Feministin. Lässt sich in diesen Themenfeldern durch die Südtiroler HochschülerInnenschaft etwas vorantreiben? Wenn ja, wie?
 
Ariane Benedikter: An der EURAC mache ich derzeit ein Praktikum am Institut für Minderheitenrechte, das Günther Rautz leitet. Es ist für mich, da ich gerade einen Bachelor mit Politik- und Ökonomieschwerpunkten abgeschlossen habe, sehr interessant dort Einblick zu erhalten. Ich werde mich immer für Minderheitenrechte interessieren. Als Vorsitzende der SH in diesem Jahr werde ich mich mit unserem Vorstand speziell auf Frauenrechte und Umwelt konzentrieren. Meine beiden Vorgänger - beide männlich - haben bereits damit begonnen, mehr im gesellschaftspolitischen Bereich aktiv zu werden. Dies, auch weil die SH mittlerweile eine sehr große Plattform hat und unter vielen Studierenden bekannt ist, ein gewisses progressives Standing hat. Deswegen ist es wichtig, Themen wie Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben, die ein Großteil unserer Generation als mit die dringlichsten Thematiken ansehen.
 
 
Und die Geschlechterfrage?
 
Der feministische Aspekt ist mir ebenso wichtig. Unser SH-Vorstand ist geschlechtlich ausgewogen geprägt, und ich bin seit 2014 die erste Frau an der Spitze der HochschülerInnenschaft. Da gilt es als SH, darauf aufmerksam zu machen, welche Projekte es bereits gibt und diese weiter zu tragen. Wir haben konkrete Ideen, aber da diese im Vorstand erst noch weiter ausgearbeitet werden müssen, möchte ich noch nicht zu viel verraten. 
 
Sie haben angesprochen, dass Sie als erste Frau seit acht Jahren an der Spitze der SH stehen. In der Tageszeitung wurden Sie Anfang des Jahres (2022) zitiert: „Feminist*in zu sein, sei keine Frage des biologischen Geschlechts“. Warum glauben Sie, waren dieses Thema weniger präsent in den letzten Jahren?
 
Wenn ich an meinen Vorgänger Julian Nikolaus Rensi denke, so hat dieser sehr konsequent jedes Jahr zum Tag der Frau eine Pressemitteilung ausgeschickt. Ich glaube nicht, dass dieses Thema innerhalb der SH weniger präsent war. Nur stand  es auf Grund der Pandemie für viele Studierende nicht unmittelbar im Vordergrund. Die Onlinelehre und das Heimkommen über die Grenze: diese Themen dominierten den Alltag, da wir uns einem Ausnahmezustand befanden. Da waren diese dringlichen Interessen - heim oder zum Studienort fahren zu können, oder auch sich das Studium überhaupt leisten zu können - natürlich präsenter. Wir werden das sicher auch im Auge behalten: allen leistbares Studieren zu ermöglichen. Das ist der Kern studentischer Interessensvertretung. Weil wir aber zu einer Situation zurückgekehrt sind, in der Studieren wieder in Präsenz statt findet und sich vieles im Unialltag eingependelt hat, können wir uns wieder stärker auf gesellschaftspolitische Themen zurück besinnen. Ich glaube nach wie vor, Feminist*in zu sein hat nicht zwingend etwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun.
 
Fakt ist: Mittlerweile studieren mehr Südtiroler Frauen als Männer.
 
Hat das etwas mit FLINTA* zu tun – also mit Frauen, Lesben, intersexuellen, nicht-binären, trans- und agender-Personen?
 
In der Gender-Debatte geht es in der Tat über die Frage hinaus, ob man ein Mann oder eine Frau ist. Davon auszugehen ist, dass jede FLINTA*-Person ein Interesse an Gleichbehandlung hat. Es geht nicht darum, dass einzelne Personen mehr Rechte haben möchten als andere, es geht darum, dass man gleiche Chancen hat, ob man eine FLINTA*-Person ist oder nicht. Fakt ist: Mittlerweile studieren mehr Südtiroler Frauen als Männer. Im Studienjahr 2019/20 waren es 5646 Männer und 7186 Frauen. Das nun aufzuzeigen, finde ich wichtig. 
 
 
Zurück zum Thema leistbares Wohnen: Volontarius muss mittlerweile neben Obdachlosen zum Teil auch Forschenden mit Stipendium eine Unterkunft bieten. Wie kann man für das Wohnproblem an Universitäten Abhilfe schaffen?
 
Vor kurzem hat zum Beispiel Unibz-Direktor Günther Mathà gesagt, das viele der Studierenden, die einen Platz an der Uni erhalten hätten, fast ein Drittel, diesen nicht annehmen, weil die Wohnmöglichkeiten fehlen. Wenn sich die Stadt Bozen noch mehr als Universitätsstandort etablieren will, ist das eines der ersten Probleme, die man lösen muss. Da können wir als SH zunächst einmal darauf aufmerksam machen und den Dialog mit der Politik suchen. Wir haben immer wieder konstruktiven Kontakt mit Landesrat Achammer. Ich habe den Eindruck, dass der Politik bewusst ist, dass das ein großes Problem ist und dass da noch mehr getan werden muss, zum Beispiel Studierendenheime bauen. Da gibt es auch einige angedachte Projekte. Trotzdem, wenn man die 4500 Studierenden, die es an der Freien Universität Bozen gibt, berücksichtigt, dann ist es unvorstellbar, dass es noch nicht genügend Plätze gibt. Wir sollten auch neue Ideen andenken, abgesehen von Studierendenheimen. Was ich von vielen Studierenden mitbekomme, ist, dass auch die Universitätskultur weiterentwickelbar ist. Ich, als Boznerin, 2000 geboren - da gab es die Universität bereits seit mehreren Jahren - habe nicht wirklich viel vom Universitätsleben mitbekommen. Als HochschülerInnenschaft können wir, auch mit der Gründung der Sektion sh.asus BBB (Bozen-Brixen-Bruneck), die Universitätskultur im täglichen Alltag noch ausbauen. Ich habe auch den Eindruck, dass Wohnungsbesitzer, die vermieten wollen, noch ein bisschen zurückhaltend sind, was das Vermieten an Studierende anbelangt.
 
Dadurch verändert sich auch die Dynamik in der SH, dass wir jetzt auch Nicht-SüdtirolerInnen vertreten dürfen.
 
Bei der Universitätskultur stellt sich die Frage: Gibt es ein Sichtbarkeitsproblem oder fehlen Räume?
 
Es fehlen schon zum Teil Räumlichkeiten. Es gibt in Südtirol zwar viele Events, aber es könnte mehr für ein spezifisch junges Publikum geben. Es gibt etwa in Salzburg den Studentenmittwoch, an welchem fast alle Bars teilnehmen und auch unter der Woche länger als zum Beispiel 21 Uhr geöffnet sind. Das könnte eine Anregung für Bozen sein. Dadurch, dass die Uni Bozen dreisprachig ist, kommen die Studierenden nicht nur aus Deutschland oder Italien, sondern etwa auch aus Brasilien. Dadurch verändert sich auch die Dynamik in der SH, dass wir jetzt auch Nicht-SüdtirolerInnen vertreten dürfen. Da braucht es auch entsprechende Events, die breiter gedacht sind. Die SH, Sektion Bozen, die mit über 600 Mitgliedern mittlerweile die größte ist, hat da auch schon mit entsprechenden Events einiges in Gang gesetzt.
 
 
Sehen Sie mögliche Konflikte zwischen Klimaschutz und Feminismus? In der Außenwirkung entsteht der Eindruck, dass hier Kräfte verloren gehen, die nicht gebündelt werden können?
 
Die beiden Themenfelder divergieren in der Praxis tatsächlich oft. Ich finde es zutreffend, was der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon beim Forum Alpbach 2020 gesagt hat. Er meinte, dass beide Themen unumgänglich verbunden sind. Wir können nicht Chancengleichheit oder Gleichberechtigung erreichen, wenn wir nicht auch dafür kämpfen, dass die Klimakatastrophe bestmöglich verhindert wird. Wir können die Klimakatastrophe auch nicht ausreichend eingrenzen, wenn wir nicht Gleichberechtigung erreichen. Da über die Hälfte der Weltbevölkerung weiblich ist und die Auswirkungen der Klimakrise im globalen Süden besonders zu spüren sind, so erklärte Ban Ki-moon, sind  es gerade die Frauen, die besonders betroffen sind. Es ist daher kein Problem, beiden AktivistInnengruppen Raum zu bieten: FeministInnen und KlimaaktivistInnen. Idealerweise gelingt ein gemeinsames Engagement. Es wird sich zeigen, wie wir das umsetzen können.