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"Wir bezahlen unsere Trikots selbst"

Im Salto-Gespräch sprechen wir mit einem der größten Südtiroler Talente im American Football: Alex Ferrari über Karriere, Football in Italien und die heutige Super Bowl.
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Foto: Valentina Gallina

Alex Ferrari ist ein sogenannter "Figlio d'arte", ein American-Football-Spieler, der in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist und für die Bolzano Giants aufläuft. Doch der Karriereweg des 25-jährigen Bozners scheint nun eine neue Richtung einzuschlagen. Nach dieser Saison wechselt er nach Schwäbisch Hall: Die Unicorns aus dem 40.000-Seelen-Städtchen gehören zu den besten Teams Europas und geben dem jungen Bozner die Möglichkeit, einen nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu nehmen.

Dass auf ihn eine mehr als intensive Zeit zukommt, weiß Ferrari selbst: "Als bester Spieler Italiens wirst du in Deutschland erst einmal als Mittelmaß angesehen." In der Tat bewegt sich die Liga in Deutschland auf ganz anderen Ebenen, denn "die italienische Liga ist von der deutschen so weit entfernt wie die deutsche von der NFL" - und kennt man sich mit dem Sport nur ein wenig aus, weiß man, dass dabei von Welten gesprochen werden darf.

Aber die Faszination für den Sport und der Wille weiterzukommen hat Ferrari schon früh gepackt, ihn sogar bis in die Nationalmannschaft gebracht. Doch bevor es nun zu seinem Abenteuer nach Deutschland aufgeht, wartet noch eine Saison für die Giants auf ihn und nicht zu vergessen die heutige Super Bowl zwischen den New England Patriots und Los Angeles Rams. 

 

salto.bz: Wann haben Sie denn eigentlich richtig mit American Football angefangen?
Alex Ferrari:
2008, mit 15 Jahren, habe ich das erste Mal mittrainiert. 2009 ging es in die erste richtige Saison. Da haben die Bolzano Giants ihre erste italienische Super Bowl (Meistertitel, Anm. d. Red.) geholt. Ich spielte in jenem Jahr noch in der U16. Das Jahr darauf habe ich zwei Jahrgänge übersprungen und bin mit 16 direkt in die U19 aufgestiegen. Mit 18 ging es dann in die U21, die es jetzt nicht mehr gibt; jetzt ist die letzte Jugendmannschaft die U18. Vor fünf, sechs Jahren ging es dann in die Herrenmannschaft.

 

Waren Sie sofort integraler Bestandteil des Teams?
Das erste Jahr nahm ich vorwiegend auf der Bank platz. Dann ist aus Reggio Emilia ein Trainer – bis heute noch mein Lieblingstrainer – nach Bozen gekommen. Er war schon der Defense-Trainer der italienischen Nationalmannschaft. Dann hat er eben auch die Defense in Bozen übernommen. Damals wurde ich noch als Defensive End eingesetzt. Er hat mich beobachtet und meinte, ich sollte mich als Linebacker versuchen, da ich seiner Meinung nach auf der falschen Position spielte. Ab da ging es dann nur noch aufwärts, ich bin in der Position voll aufgegangen. In der Zeit habe ich mich immer mehr dem Sport gewidmet. Ich habe körperlich im Kraftraum zugelegt, habe Videos studiert und an meiner Technik gearbeitet.

 

Was hat den Unterschied dann ausgemacht, dass Sie als Linebacker besser funktioniert haben als als Defensive End direkt an der Line?
Ich bin vergleichsweise kein besonders schneller oder physisch starker Spieler. Meine Stärke ist es, dass ich das Spiel sehr gut lesen kann. Schon bevor der Spielzug der Gegner losgeht, weiß ich meistens, was passieren wird. Damit schaffe ich mir genug Zeit, entsprechend zu reagieren. Als Defensive End hat man diese Zeit nicht, zumal man nur eine Aufgabe hat. Und je stärker und schneller man ist, umso besser funktioniert man in diesem Aufgabenbereich. Man geht ins Eins-gegen-Eins. Kommt man durch, gut; dann hat man eine klar definierte Aufgabe, nämlich den Quarterback an einem Pass zu hindern. Kommt man nicht durch, ist halt nichts. Somit überwiegt in dieser Position die Physis. Dein Kopf hat da nicht so viel zu verarbeiten. Als Linebacker kann man viel mit Lesen und Täuschen kompensieren und sich so in Nuancen einen Vorsprung herausholen, der den Unterschied macht.

 

Wie ist eigentlich Ihr Vater Remo zum Football gekommen? Der hat ja auch bei den Bolzano Jets/Giants gespielt und Sie zum Sport gebracht.
Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Er hat es mir nie richtig erzählt. Was ich weiß, ist, dass er als Türsteher gearbeitet hat und da Arbeitskollegen von ihm Football gespielt haben. Wahrscheinlich haben sie ihn zum Spiel gebracht. Genau kann ich das aber nicht sagen. Mein Onkel hat auch gespielt. Er ist einfach rein gerutscht. Anders wird es nicht gewesen sein, so läuft das bei uns hier in Bozen.
 

Ist es so schwierig, Interessierte zu finden, die den Sport einmal ausprobieren möchten?
In Bozen ist es halt so: An erster Stelle der Fußball, besonders weil man dazu keine expliziten körperlichen Voraussetzungen mitbringen muss. Viele körperlich sehr gute Athleten finden sich im Eishockey. Und American Football ist bei uns seit jeher nur ein Nischensport. Entweder man hat einen Vater oder einen Großvater, der einem den Sport nahegelegt hat, oder einen Freund, der einen vielleicht einmal zum Training mitnimmt. Aber aus Eigeninitiative kommt man eher nicht zum Football. Zwar verfolgt man es hier durchaus. Aber selbst zu spielen kommt eher wenigen in den Sinn.

 

Tatsächlich hat es in Österreich und Deutschland in den letzten Jahren einen regelrechten Boom gegeben. Wie kommt es, dass es diese Begeisterung noch nicht über den Brenner geschafft hat?
In Italien ist die Antwort immer wieder die gleiche: Fußball. Zwar ist Deutschland traditionell auch eine Fußball-Nation, jedoch ist das Sportinteresse dort doch ein wenig breiter gefächert. Ein Aspekt könnte auch sein, dass es in Deutschland viel mehr ansässige Amerikaner gibt. Die bringen die Begeisterung teilweise mit. In Italien ist der Anteil an Amerikanern zurückgegangen. Vor einigen Jahrzehnten gab es in Italien noch viel mehr amerikanische Militärbasen, mittlerweile werden diese aber immer weniger und somit haben wir auch weniger Amerikaner hier. Außerdem investiert man in Deutschland mehr Geld in den Sport.
Auch der italienische Verband macht viel zu wenig und es wird ihm auf Verbandsebene beim CONI zu wenig Wichtigkeit beigemessen. Hinzu kommt in Südtirol, dass American Football ein sehr "italienischer" Sport ist, die deutsche Sprachgruppe fühlt sich weniger angesprochen. Und auch größere Unternehmen, die man eher der deutschen Sprachgruppe zuordnen kann, konzentrieren sich eher auf die traditionellen Sportarten wie Fußball oder Eishockey, wo viel mehr auch darauf geachtet wird, dass beide Sprachgruppen angesprochen werden.

 

Also stellt Deutschland momentan die beste Liga Europas. Wo kann man sie auf globaler Ebene einordnen? Und wo findet sich da dann die italienische Liga?
Sagen wir so: Die italienische Liga ist von der deutschen so weit entfernt wie die deutsche von der NFL (National Football League, nordamerikanische American Football Liga, Anm. d. Red.), also der Unterschied ist schon gewaltig. In Italien wird man als guter italienischer Spieler immer einen Platz im Team finden. In Deutschland ist man als bester Spieler Italiens erst einmal Mittelmaß.
Das kommt auch daher, dass man den Spielern auf finanzieller Ebene mehr bietet. Man wird bezahlt oder zumindest mit Benefits vergütet und die Motivation steigt, besser zu werden und sich dem Sport mehr zu widmen.
Ein anderer Aspekt ist, dass es in Deutschland kein Limit an Amerikanern gibt. Da dürfen in den Mannschaften so viele spielen, wie man halt hat. Und je mehr Amerikaner umso höher das Niveau. Das ist dann auch Ansporn für die einheimischen Spieler, die intensiver trainieren müssen und somit ein höheres Level erlangen. Das zieht wiederum mehr Zuschauer an.
 

Was wird sonst getan, um die Liga in Deutschland weiter zu fördern?
Erst in den letzten Wochen sind die GFL (German Football League, Anm. d. Red.) und die CFL (Canadian Football League, Anm. d. Red.), also die zweitgrößte Profiliga der Welt, eine Kooperation eingegangen. Das wird sich so abspielen, dass gemeinsame Events veranstaltet werden oder Spieler untereinander ausgetauscht werden. Es ist einfach eine ganz andere Art der Organisation dahinter und der Wille, Geld zu investieren ist einfach größer. Früher war das in Italien auch so. Da gab es Sponsoren wie zum Beispiel Armani in Mailand. Die Bergamo Lions standen mit der finanziellen Unterstützung auch gut da in den Zeiten, als sie Europameister wurden. In Bozen haben wir zwar keine schlechten Sponsoren, aber in Deutschland ist das schon wieder eine andere Kategorie. Der Hauptsponsor von Frankfurt Universe, die letztjährigen Finalisten der Eurobowl, ist zum Beispiel Samsung. Letztes Jahr haben die einfach so eine Finanzspritze von 2 Millionen Euro erhalten.

 

Wie kann man sich dann die Bedingungen bei einem der größten Footballteams Italiens wie den Bolzano Giants vorstellen?
Ein gutes Beispiel ist unser Kraftraum: Den haben wir erst vor Kurzem aus eigener Brieftasche aufgerüstet, um für den Sport angemessene Trainingsbedingungen vorzufinden. Auch die Spieltrikots für die neue Saison müssen wir uns selbst bezahlen.

 

Sie spielen ja auch im italienischen Nationalteam. Funktionieren da Organisation und das Finanzielle besser?
Da ist es schon ein wenig besser. Da bekommt man die Spielausrüstung gestellt. Aber bei Treffen, die meistens in Bologna stattfinden, muss man die Anfahrtskosten aus eigener Tasche bezahlen. Die Übernachtungen werden meist übernommen oder man bekommt ein Budget zur Verfügung. Aber alles ist nicht bezahlt. Das ist irgendwo auch verständlich: In einem Team gibt es 45 Spieler, somit kommen bei den Auswahlverfahren meist 150 Spieler aus ganz Italien zusammen. Das würde dann teuer. Wird man aber ausgewählt und ins Trainingscamp der Nationalmannschaft eingeladen wie ich vor zwei Jahren in Lignano, dann werden die Kosten voll übernommen. Wir haben zwar auf Feldbetten in einer Militärbasis geschlafen, aber immerhin. (lacht)

 

Wie kann man sich das Auswahlverfahren der Amerikaner, die nach Italien geholt werden, vorstellen?
Meistens handelt es sich um Spieler, die nach dem College nicht den Sprung in die NFL geschafft haben. Die werden dann beobachtet und kontaktiert. Wenn sie dann Lust auf diese Herausforderung haben, wird ihnen alles gestellt: Auto, Wohnung, Gehalt – sie werden wie Profis behandelt. Sie müssen sich dann aber auch entsprechend verhalten. Außerdem fungieren sie teilweise auch als Coaches, da sie ein breiteres Know-How mitbringen. Viele nutzen diese Gelegenheit dann dazu, zu reisen. Als Football-Spieler kommt man in Italien viel herum und das ist für einen Amerikaner natürlich etwas großartiges. Am Ende der Saison wird ihnen dann noch der Flug zurück in die Heimat finanziert. Wenn jemand dann sehr gut war, wird er einfach wieder gerufen.
 

Welche Positionen werden da bevorzugt?
Normalerweise darf man in Italien zwei Amerikaner haben. Dabei sind es meistens ein Quarterback und ein Safety. Das sind die zwei Positionen, die den Unterschied in der Offense beziehungsweise in der Defense machen können. Wenn man die Möglichkeit hat, jemand in so einer Position zu holen, dann macht man das auch. Amerikaner wachsen mit dem Sport auf und sind einfach besser. Und seit zwei Jahren ist es erlaubt, auch Doppelstaatsbürger in die Mannschaft aufzunehmen, die müssen nur einen italienischen Pass haben. Wir zum Beispiel haben einen Kanadier mit italienischen Pass. Viele andere holen sich Amerikaner.

 

Dass ein Safety so wichtig ist hätte ich mir jetzt nicht erwartet. Ich hätte da eher an einem Linebacker oder Runningback gedacht.
Safeties sind in der Defensive vielseitig einsetzbar. Sie sind sowohl in einem Pass- als auch in einem Run-Play wichtige Komponenten. Ein Defensive End, der zu den Linemen gehört, kann bei einem Passspiel nicht viel anrichten, da er durch den Pass überbrückt wird. Außerdem sind es meistens die athletischsten Spieler in der Verteidigungs-Mannschaft.
Ein Quarterback, der weiß, dass da ein amerikanischer Safety spielt, der wirft den Ball dann auch nicht unbedingt in diese Richtung. Damit nimmst du ihm schon eine Anspielstation. Eine Interception will man einfach nicht riskieren; denn fängt er den Ball ab, ist es schwer, ihn noch aufzuhalten.

 

Wie kann es aber sein, dass Amerikaner diesen Vorsprung haben. Immerhin spielen sie bis auf ein paar Wochen im Sommer nur im Herbst und dann war es das mit der Saison. Wird American Football bei uns nicht wie in anderen Sportarten das ganze Jahr über trainiert?
Nicht ganz. In der Jugend spielt man von Ende Sommer bis circa Dezember. Wenn jemand dann gut genug ist, steigt er in die Herrenmannschaft auf. Diese spielt dann nur von März bis Juli. Es wird zwar ab Jänner schon trainiert, die Saison dauert aber nur vier Monate.

 

Und wie kommt es, dass Sportler aus Übersee dann so überlegen sind? Gibt es da einen Knackpunkt ab einem gewissen Alter, wo das Training in den USA sich vom Training hier abhebt?
Der Qualitätsunterschied ist eigentlich immer schon da. In den USA fängt man in viel jüngeren Jahren an, American Football zu spielen. Man beginnt in den Mittelschuljahren, wenn nicht schon vorher an. Ich zum Beispiel bin erst mit 15 Jahren ins Training eingestiegen. Die können dann teilweise mit zehn Jahren spielen, weil sie in den Schulen die Teams haben. Bei uns gibt es solche Jugendmannschaften nicht. Also wachsen sie damit auf. Hinzu kommt, dass man in den USA im Jahr dann mehrere Sportarten machen kann. Im Herbst bei den Jungen eben American Football, im Winter Basket oder Ringen und im Frühjahr dann Baseball oder Leichtathletik. Anschließend siehst du, in welchem Sport du richtig gut bist. Somit fahren nur wirklich gute Spieler mit dem Sport fort. In Italien fängt fast jeder mit Fußball an. Immer nur Fußball. Dann probiert man vielleicht mal Handball oder sonst was, aber nie mit der Hingabe, mit der man in den USA grundsätzlich Sport betreibt.
 

Gab es schon jemanden, der hergekommen ist, das Niveau gesehen hat und gesagt hat: „Nein, so etwas tue ich mir nicht an?“, um sogleich wieder in den Flieger zu steigen?
Nein. Viele sehen es einfach als eine schöne Möglichkeit, Italien kennenzulernen. Und Italien genießt in den USA einfach einen schönen Ruf. Das ist für sie das Wunderland, sie sind regelrecht fasziniert davon. Und während der Saison spielt man dann in Rom, in Mailand, in Florenz oder in Turin – sie sehen die schönsten Städte Italiens und können nebenher auch noch American Football spielen. Die essen dann typische italienische Gerichte und es folgen Kommentare wie: "Wow, wo bin ich den bisher mein ganzes Leben gewesen?" (lacht). Du wirst also für eine Kulturreise bezahlt, da beschwert sich niemand.

 

Nun steht Sonntag Nacht die Superbowl zwischen den Los Angeles Rams und den New England Patriots an. Es ist eines der größten Sportereignisse der Welt, kaum ein anderes wird von so vielen Menschen verfolgt. Ist es für den Football-Fan vergleichbar wir für einen Fußball-Fan ein Champions-League-Finale?
Es ist fast schon ein bisschen größer. Im Football gibt es jedes Jahr so viele Änderungen, dass es viel spannender ist. Es kommt selten vor, dass die gleichen Teams zwei Mal hintereinander im Finale stehen. Außerdem sind jedes Jahr neue Teams potentielle Kandidaten auf die Super Bowl, während andere, obwohl sie das Jahr zuvor gut waren, gar nichts mehr zu melden haben. Zum Beispiel kann eine Verletzung eines Spielers das Niveau einer Mannschaft so in Mitleidenschaft ziehen, dass sie leistungstechnisch unglaublich abfallen. Wenn sich der Quarterback verletzen sollte, dann war es das mit der erfolgreichen Saison. Verletzt sich Cristiano Ronaldo, kann das Team das doch noch auffangen. Ein fehlender Leistungsträger im Football hat eine ganz andere Tragweite. Gewisse Positionen können einfach nicht ersetzt werden.
Und ein Spiel im American Football ist auch viel länger offen.

 

Nennen sie mir ein Beispiel.
Nehmen wir die Super Bowl von 2017, New England Patriots gegen die Atlanta Falcons. Nach dem dritten Viertel führten die Falcons 28 zu 9. Eigentlich war der Titel schon in trockenen Tüchern. Im vierten Viertel sind sie dann komplett untergegangen, um schließlich in der Overtime 34 zu 28 zu verlieren. Wenn du im Fußball 4:0 in der 70. Minute hinten liegst, dann verlierst du da das Spiel. Da spielt die führende Mannschaft dann auf Defensive und bringt das Ergebnis über die Zeit. Im Football braucht es nur ein einschneidendes Ereignis zum richtigen Zeitpunkt, zum Beispiel eine Interception, was den ganzen Verlauf auf den Kopf stellen kann.

 

Auch das Drumherum trägt ja viel zur Beliebtheit bei.
Ja, es ist eine riesige Show. Die Halbzeitshow wird groß aufgezogen, sogar die Werbung in den Pausen zählt zu den Highlights. Unternehmen investieren Millionen, nur um zu dieser Zeit einen 15-sekündigen Werbespot schalten zu können, den man zuvor schon Jahre geplant hat. Und es sind schöne Werbungen, extra für die Super Bowl gedreht.

 

Sie haben gesagt, dass es in der NFL immer offen ist, wer ins Finale kommt und außerdem kommen immer neue Teams dazu oder fallen weg. Eine Konstante hat es in den letzten Jahren aber gegeben, die New England Patriots, die es in elf Jahren sechs Mal in die Super Bowl geschafft haben. Wie schafft es die Franchise, dieses Niveau zu halten?
Bei den Patriots ist es einfach deren Spielsystem, dass so gut funktioniert. Das heißt: Manche Mannschaften zählen auf die individuelle Klasse ihrer Spieler, andere profilieren sich besonders durch ihre besondere Art zu spielen, also das System. Die Patriots haben seit Jahren den gleichen Trainer, Bill Belichick – er ist einfach genial und ein Football-Fanatiker – und der hat sein System über die Jahre da etabliert. In diesem System sind Spieler austauschbar. Man kann einen guten Spieler wie Tight End Rob Gronkowski mit einem mittelmäßigen ersetzen und es läuft trotzdem, der Spieler funktioniert trotzdem. Eine Voraussetzung muss er jedoch mitbringen: Er muss „coachable“ sein, also anpassungsfähig an das System und auch bereit dazu, die Anpassungen an seinem Spiel vorzunehmen. Die individuelle Klasse wird dem System untergeordnet.
 

Und wie sieht es bei den Los Angeles Rams aus?
Sie hingegen zählen mehr auf individuelle Klasse. Da spielen einfach die besten Spieler der Liga, die ihren Gegenüber meistens technisch oder körperlich überlegen sind. So gewinnen sie Spiele. Das ist der Unterschied zwischen den zwei Mannschaften heuer und macht die Super Bowl sehr interessant.

 

Oft wird die Super Bowl auch als Kampf zwischen den zwei Quarterbacks hochstilisiert. Dieses Jahr trifft der ewige Tom Brady (fünfmaliger Superbowl-Champion, Anm. d. Red.) von den Patriots auf einen sehr jungen Gegenüber bei den Rams, Jared Goff. Auch wenn die Qualitäten von Brady unbestritten sind, kann man dieses Jahr sagen, dass Goff über ihn steht angesichts des Saisonverlaufs? Die Patriots haben ja nur stockend Fahrt aufgenommen.
Im Football – und besonders beim Quarterback – steht Konstanz über allem. Und Tom Brady ist der Inbegriff der Konstanz. Brady glänzt durch einfache Dinge und dass er sie auch erfolgreich zu Ende bringt. Der zieht sein Ding von Anfang bis zum Ende der Saison durch. Goff ist sehr jung, gerade einmal 24 Jahre alt, und hat viele Hochs und Tiefs. Bei einigen Spielen ist er sehr gut, dann bei anderen sehr schlecht. Das zieht sich bei ihm durch die ganze Saison. Wenn Goff nun einen schlechten Tag hat, wird es schwierig, da man das Spiel so ausrichten muss, dass ihm Einfluss drauf genommen wird.

 

Vor einem Spielzug wird vom Trainer jener ja vom sogenannten Playbook vorgegeben. Aber es kommt auch vor, dass ein Quarterback dann entscheidet, doch einen anderen zu spielen. Ist das eher die Ausnahme oder die Regel?
Ich erzähle Ihnen das an einer Anekdote: Als die Bolzano Giants 2009 in der italienischen Super Bowl waren und sie gewonnen haben, konnte man den Erfolg auf zwei Schultern aufteilen: Einerseits auf Running Back Reggie Green, einer der größten Spieler, die jemals in Bozen gespielt haben; und andererseits auf unserem Quarterback. Der hat jeden Spielzug, den er bekommen hat, einfach abgeändert und selbst entschieden. Er hat sich die Situation vor dem Snap nochmal angesehen und meistens gemerkt, dass ein anderer Spielzug besser wäre.

 

Der Trainer wird da aber keine große Freude gehabt haben? 
Der Trainer hat es hingenommen, da es meistens funktioniert hat. Das gleiche passiert auch auf höchstem Niveau. Belichick hat so viel Vertrauen in Brady, dass er weiß, sollte sein Quarterback den Spielzug ändern, dass dieser etwas gesehen hat, was die neue Vorgehensweise rechtfertigt. Sollte Brady dann doch einen Fehler machen, ist das halb so wild. Der ist schon so viele Jahre da, der hat schon bewiesen, was er kann.
Bei Goff könnte das schon andere Konsequenzen nach sich ziehen. Der ist jung, da schauen sich die Verantwortlichen schon schneller nach einem Ersatz um.
Insgesamt kann man aber sagen, dass einfach nicht immer das gespielt werden kann, was ausgerufen wird. Der Coach sieht Dinge und wählt den entsprechenden Spielzug. Aber auch der Quarterback sieht dann wieder etwas neues und kann etwas ändern.

 

Als abschließende Frage noch: Wer gewinnt die Super Bowl und wieso?
Wenn ich auf Nummer sicher gehen wollte, dann würde ich auf die Patriots tippen. Ich riskiere aber etwas und sage, die Rams gewinnen. Ich habe Vertrauen in ihren Quarterback Goff. Außerdem haben sie einen Defense-Spieler, Aaron Donald, dem ich es einfach gönnen würde. Er ist weitaus der beste Spieler auf seiner Position, sieht sich immer zwei Gegnern gleichzeitig ausgesetzt und ist trotzdem Leistungsträger. Und wie die Amerikaner so schön sagen: Der Angriff verkauft die Tickets, die Verteidigung gewinnt das Spiel.