Society | Prostitution

Vom Bordell- und anderem Unwesen

Ich habe gehört, Salvini wolle die Bordelle wieder einführen.
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Foto: unbekannt, aus dem Netz

Das passt zu ihm (und seiner Gefolgschaft), ist kohärent und wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenso wenig zielführend oder erfolgreich sein wie die anderen Maßnahmen dieses „Herrn“ da auch.

Wie immer, wenn das Thema Prostitution in der einen oder anderen Form hochkocht (Salvini weiß, was wirkt, und tut sich keinerlei Zwänge an, ja sind‘s denn schon wieder Wahlen), werden von der Befürworter-Seite die üblichen um nicht zu sagen übelsten "Argumente" aus den zerfledderten alten Hüten gezogen, und damit die Stammtische und sozialen Netzwerke geflutet. Bordelle seien wichtig, heißt es dann zum Beispiel, sie seien sauber und sicher und sowieso sei Prostitution das älteste Gewerbe der Welt (was übrigens zu beweisen wäre). Frau kann da schlecht umhin, sich zu fragen, was das für ein Argument sein soll: Auch Wucher gab es schon in biblischen und in vorbiblischen Zeiten, aber noch habe ich keinen sagen hören, jene Tatsache sei eine Legitimation für Wucher, im dritten Jahrtausend der zivilisierten Menschheit.

Auch gern hört man, Prostitution – mit oder ohne Bordell – sei wichtig, zum Schutze der „anständigen“ Frauen. Wenn nämlich letztere die Testosteronspiegel ihrer männlichen Gegenüber gewollt oder ungewollt „ins Unermessliche“ steigen lassen, sollte besser eine anständige Frau, in deren Ermangelung eine Prostituierte, in der Nähe sein, damit der Testosteronspiegel wieder abgesenkt werden kann, auf ein anständiges Niveau, auf anständige Weise. Anderenfalls Vergewaltigungen zwingenderweise zunehmen würden, mithin die Sicherheit anständiger Frauen bedroht wäre (ganz ohne Einbeziehung von Migranten, da schau an). Gruseliger – und armseliger – kann wohl nicht „argumentiert“ werden.

Ein anderes Lieblings-„Argument“ jener hartnäckigen Immer-Wieder-Gänger, jenes der „Freiwilligkeit der Dienstleistung“, ist nicht ganz so seicht und durchsichtig, und hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Tatsächlich: Wenn es legal und legitim, moralisch und ethisch korrekt und kein bisschen halbseiden ist, sich die Hände den Körper die Dienstleistung eines Kloputzers oder einer Tankwartin zu kaufen – warum sollte es dann nicht legal und legitim (...) sein, sich den Körper einer Frau zu kaufen, für sexuelle Zwecke? Der Unterschied ist, meine ich, klein aber oho: Die Dienstleistung des Kloputzers oder der Tankwartin sind notwendig und unabkömmlich im Sinne der funktionierenden Gesellschaft (vielleicht auch nur im Sinne der aggressiven Marktwirtschaft, aber das ist ein anderes Thema) – die Dienstleistung der Prostituierten ist das nicht. Sie ist vielmehr ein Privileg der männlichen gesellschaftlichen Minderheit, und trägt wohl dazu bei, deren Machtstatus (von dem niemand weiß, woher er kommt, und wozu er gut ist) zu erhalten und zu zementieren. Nur so lässt sich erklären, dass das Prostitutions-Phänomen in Zeiten von Tinder und Generation Porno so derart hartnäckig mit Zähnen und Klauen verteidigt wird.

Freiwillig übrigens ist in diesem Metier in den allermeisten Fällen sowieso nichts, und wo doch, ist Prostitution nicht Salvini’s (und auch sonst niemandes) Problem, sondern die freie Entscheidung einer freien Person (mit Betonung, zwei Mal, auf „frei“). Die tatsächlich freiwillige Form der Prostitution ist auch höchst selten bis gar nicht auf den Schutz (so und wo gegeben, was ja keineswegs gesichert ist, per se schon gar nicht) eines Bordells angewiesen, und würde sich dort mehrheitlich wohl auch nicht ansiedeln wollen, hätte das ja gar nicht nötig. Wozu auch? 

Bliebe der große Rest, die „schmutzige“ und unfreie Schwester der freiwilligen Prostitution. Die soll jetzt, mit der großen Wahl am Horizont (Salvini weiß, was seine Kundschaft will), von der Straße weg - ab mit ihr, ins Bordell! -, aus den Augen (aus dem Sinn!) der sauberen Öffentlichkeit. Nun ist ja das Bordell an und für sich etwas Ältliches, ein ebensolcher Anachronismus wie die Prostitution selbst, und schon allein deshalb nicht wirklich klar ersichtlich, wie es die heutigen, grenz-, kultur- und religionsüberschreitenden Probleme lindern oder gar lösen helfen soll. Das tut es auch nicht: Salvini hätte seinen Blick nur kurz nach Norden lenken müssen (was, allerdings, seinem Denken in engen nationalistischen Grenzen widerspräche), um zu erkennen, dass dieses Rezept nicht funktioniert. Aber um den Schutz, die Sicherheit und das leidlich gute Arbeitsumfeld für die Frauen geht’s ihm und seiner Gefolgschaft, der reellen und der virtuellen, wohl auch gar nicht. Vielmehr fürchte ich - eigentlich ahne ich – dass in bekannter Salvini-Manier lediglich ein Bild (!) von „Ordnung“ hergestellt werden soll. Denkbar wäre aber auch – kleiner Ausrutscher -, dass „nur“ den afrikanischen und/oder migrantischen Anbieterinnen der Markt ruiniert und ihre dunkelhäutige Präsenz aus dem Bild der italienischen Alltage gelöscht werden soll („prima le italiane!“). Im tieferen Untergrund wäre nicht zuletzt möglich, dass es darum geht, die Zu- und Umstände männlicher Vorherrschaft über die weibliche Mehrheit aufrecht zu erhalten und/oder wiederherzustellen, nach dem Motto des Tancredi im „Gattopardo“: „Alles muss sich ändern, wenn alles so bleiben soll, wie es ist.“   

Das schwerwiegendste Indiz in diese Richtung und zuungunsten von Salvinis jüngster Mission der wiederaufgelegten Bordelle ist aber die Tatsache, dass das Ursächliche an der Problematik einmal mehr! auch hier! völlig außer Acht gelassen und beharrlichst weg geschwiegen wird, dass die grobe Unwucht des Phänomens selbst und der Debatte darum keine Rolle spielen darf. Die unrunde Wahrheit ist nämlich, und daran führt kein Weg vorbei: Die Frauen haben ein Problem, aber sie sind nicht das Problem. Die Männer sind das Problem, aber sie haben kein Problem (remember? Jackson Katz, und eines der Hauptmerkmale von Macht und Privileg: „ungeprüft weitergehen“).

Das grundsätzliche Problem nämlich sind perspektivlose mithin unfreie Frauen, und machthabende Männer (en gros und en détail), die sich weder an der Armseligkeit noch an der Unrechtmäßigkeit des Angebotes groß stören, sich vielmehr seiner ausgiebig bedienen, vom Anfang der perfiden Kette bis zu ihrem - für die Männerseite -, unwürdigen Ende. Daran wird die Wiederbelebung des alten Bordell-Wesens nichts zu ändern vermögen, allenfalls wird es in den Bordell-Gehern, den Zulieferern und jenen anderen, die sich lieber auf der Straße bedienen, der Dumpingpreise und einer Anmaßung von Überlegenheit wegen, ein Gefühl der Rechtmäßig- und Billigkeit des Phänomens schaffen - derweil jene Frauen, die es nicht in ein Bordell schaffen oder nicht dorthin wollen, noch weiter in den Untergrund verdrängt und den unschönen Ausblühungen gefühlter Männlichkeit noch schutzloser ausgeliefert sein werden.

Seien wir doch ehrlich: Wer dem Straßenstrich, dem Menschenhandel, der Ausbeutung der Frauenkörper ernsthaft ein Ende setzen will, der muss woanders ansetzen - nämlich dort, wo es weh tut: beim eigenen Bewusst_Sein.

Nicht zuletzt noch kurz zu einer Sache, die mich schon länger beschäftigt, nämlich der Bebilderung von Texten und Artikeln über Prostitution. Sie scheint fast ausnahmslos der männlichen Benutzer-Fantasie entsprungen, und hat mit der überwiegenden und hochproblematischen Realität wenig gemein. Vielleicht würde es ja schon helfen, im Sinne der Sensibilisierung und Bewusstmachung, wenn die Redaktionen ehrlicher bebildern würden. Ich habe also das Titelbild zu diesem Text sehr bewusst gewählt: Es zeigt in ungebremster Schärfe die Einsamkeit, die Verlorenheit und die Ausgesetztheit der Prostituierten.

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Hier übrigens ein schöner Beitrag mit sehr verschiedenartig perspektivierten Antworten zur grundsätzlichen Frage: "Soll man Sex kaufen dürfen?" "(...) Am Philosophischen Stammtisch diskutiert Barbara Bleisch mit Salomé Balthus, Philosophin und Prostituierte, Sandra Konrad, Psychologin und Autorin von "Das beherrschte Geschlecht", Peter Schaber, Professor für Philosophie am Ethikzentrum der Universität Zürich und Dominique Kuenzle, Privatdozent für Philosophie an der Universität Zürich und Feminist."