Economy | Gastbeitrag

Tila Mair: So sollte ein solidarisches Europa aussehen

Europas wesentliche Eckpfeiler aus Gewerkschaftssicht kränkeln weiterhin vor sich hin: Die gerechte Verteilung der Arbeit, eine einheitliche Steuerpolitik, ein gemeinsames Lohn- und Vertragssystem sowie die soziale Wohlfahrt.

„+ Arbeit, + Europa, + Solidarität“, die drei Pluszeichen im Motto der Gewerkschaftsbewegung anlässlich des Tags der Arbeit weisen auf drei wesentliche Mankos in Europa hin. Jetzt, auch im Hinblick auf die bevorstehenden EU-Parlamentswahlen am 25. Mai, ist es an der Zeit, die Behebung dieser Mankos anzugehen: Europa selbst soll, ja muss mehr Verantwortung für ein soziales und solidarisches Europa übernehmen. „Arbeit ruft Europa“, so könnte man diesen Appell aus gewerkschaftlicher Sicht auf den Punkt bringen.

„Arbeit ruft Europa“, so könnte man diesen Appell aus gewerkschaftlicher Sicht auf den Punkt bringen.

Nicht zu vergessen sind die Gründe, die wesentlich zur derzeitigen schwierigen Lage geführt haben. Da ist zum einen die 2008 von den Finanzspekulationen ausgelöste Wirtschaftskrise, die uns alle in Europa bisher geschätzte 1.000 Milliarden Euro gekostet hat. Aber auch die meisten europäischen Länder, darunter Italien, tragen große Mitverantwortung an der derzeitigen Situation, da sie es versäumt haben, politische und soziale Verantwortung zu übernehmen: keine tiefgreifenden Maßnahmen wurden gesetzt und kein Richtungswechsel wurde eingeschlagen, um die hohe Haushaltsverschuldung abzubauen, längst fällige und bitter notwendige Reformen stehen immer noch aus. Nichts von all dem wurde angepackt, im Gegenteil, man hat weiterhin über die Verhältnisse gelebt und „weitergewurschtelt“. Wie anders sollte man es formulieren, wenn Staaten über Jahre mehr ausgeben als einnehmen. Die Spitze der Verantwortungslosigkeit ist Griechenland, das mit gefälschten Staatsbilanzen in die Währungsunion eingetreten ist.

Die Spitze der Verantwortungslosigkeit ist Griechenland, das mit gefälschten Staatsbilanzen in die Währungsunion eingetreten ist.

Dass heute ein starker Aufruf an alle ergeht, die schwierige Situation zu überwinden, unter dem Motto „Nur gemeinsam können wir es schaffen“ ist zwar verständlich, aber nicht selbstverständlich. Fakt ist, dass diese Finanzkrise seit 2008 überwiegend auf den Schultern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgetragen wird. Sie haben die schwerste Last zu tragen; und die sichtbarsten Zeichen sind die hohe Jugend- und Altersarbeitslosigkeit, die geschrumpfte Einkommen und der Kaufkraftverlust. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben die Folgen der Krise und des (zu) harten EU-Sparkurses zu spüren bekommen, und sie sagen mit Recht: „Wir haben bereits gegeben“.

Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben die Folgen der Krise und des (zu) harten EU-Sparkurses zu spüren bekommen, und sie sagen mit Recht: „Wir haben bereits gegeben“.

Nun ist die Politik am Zug. Sie muss klare Entscheidungen und adäquate Maßnahmen treffen, und zwar im Zeichen der sozialen Ausgewogenheit. Das Gebot der Stunde ist, sich selbst und jene in die Verantwortung holen, die, wie schon erwähnt, die größte Schuld an dieser Krise tragen.

Auch die EU hat Verantwortung zu übernehmen und ein soziales und solidarisches Europa mitaufzubauen. Wir brauchen Länder, die miteinander arbeiten, statt gegeneinander. Voraussetzung und erste wichtige Schritte für ein solches Europa sind:

  • Eine einheitliche europäische Steuerpolitik, um dem Wettlauf nach unten, in und unter den einzelnen Staaten, entgegenzuwirken. Es darf nicht sein, dass Spekulationen wie „Wo lohnt es sich für mich am meisten“ zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen. So ist es nämlich derzeit häufig der Fall.

  • Ein europäisches Vertrags-, Lohn- und Arbeitsrechtssystem bis hin zu gemeinsamen europäischen Verträgen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche. Derzeit reicht die Bandbreite in Europa von einem Dumpinglohn von 2 Euro pro Stunde bis über 10 Euro; bei den Lohnkosten von 3,70 Euro bis 40 Euro

  • Ein Flexicurity-System in und zwischen den europäischen Ländern, also eine Art europäischer Solidaritätspakt gegen die weitläufige Präkarisierung der Arbeit, damit jeder und jedem die Chance gegeben wird, in den Arbeitsmarkt zurückkehren zu können. (Flexicurity bezeichnet den Ausgleich zwischen Flexibilität und Sicherheit in der Arbeitsmarktpolitik)

  • Einen europäischen Wohlfahrtsstaat. Es gilt den oft sehr unterschiedlichen sozialen Schutz (Mutterschaft, Gesundheit, Abfederungsmaßnahmen, Recht auf Rente) in den einzelnen Ländern zu vereinheitlichen, damit sich jeder als europäischer Bürger fühlt und Europa als „Heimat“ wahrgenommen wird.

So sollte ein soziales und solidarisches Europa aussehen.

Mir ist bewusst, dass die Unterschiede in Europa groß sind, ebenso wie die Schwierigkeiten, daran etwas zu verändern. Aber wir müssen beginnen, uns darüber Gedanken zu machen und erste Schritte zu setzen. Wenn wir ein soziales und solidarisches Europa wollen, und wir wollen es, dann müssen wir alle daran arbeiten. 

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Harald Knoflach Sat, 05/03/2014 - 19:00

1. was hat eine einheitliche steuergesetzgebung mit arbeitgeber vs. arbeitnehmer zu tun?
2. österreich hat hat nur eine geringfügig niedrigere steuerquote als italien und dennoch die niedrigste arbeitslosigkeit in der eu. wie erklärst du dir das dann, wenn deiner meinung noch hohe steuern zu hoher arbeitslosigkeit führen? die steuerquote in schweden, norwegen und belgien ist wesentlich höher als in italien, die arbeitslosenquote dort beträgt jedoch ungefähr die hälfte bis ein viertel jener italiens. während jene griechenlands fast dreimal so hoch ist - bei einer steuerquote, die um fast 10 prozentpunkte unter jener italiens liegt.

Sat, 05/03/2014 - 19:00 Permalink