Economy | Reformmarketing

Künftig arbeiten wir "smart"

Mit dem „lavoro agile“ wird die abhängige Lohnarbeit noch flexibler. Was gut klingt, geht durchaus mit einem kulturellen Normierungsanspruch für den Arbeitsmarkt einher.
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Lavoro
Foto: upi

Mit dem „lavoro agile“ wird eine flexible Ausführung der abhängigen Arbeitsverhältnisse mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung und einer verbesserten Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zu ermöglicht. Die Flexibilisierung besteht darin, dass im individuellen Arbeitsvertrag festgelegt werden kann, dass ein Teil der Arbeitsleistung im Betrieb und ein Teil außerhalb des Betriebs ohne einen fixen Arbeitsplatz unter Nutzung technologischer Instrumente erfolgt. Der Anwendungsrahmen betrifft sowohl die Privatwirtschaft wie den öffentlichen Dienst. Die Reform ist im Gesetzentwurf zum Schutz der selbständigen Arbeit enthalten, die „nicht unternehmerische Charakteristiken“ aufweist, und wird in Kürze neuerlich im Senat behandelt. Anknüpfend an die Bestimmungen zur Telearbeit trägt die Definition des „lavoro agile“ der Realität bereits gängiger Ausformungen der individuellen Arbeitsverträge Rechnung. Im Rahmen von zahlreichen Betriebsabkommen zum „Smart Working“ ist diese zusätzliche Flexibilisierung bereits experimentell angewendet worden.

Befürchtungen, dass mit dieser Neuerung die Tür für die Entwicklung der Lohnabhängigen hin zum Arbeitskraftunternehmen geöffnet wird, sind nicht von der Hand zu weisen. Treibende Kraft für solche Risiken ist die allmähliche Loslösung der Arbeitsmarktregelungen aus dem Zugriffsbereich der Gewerkschaften, etwa durch die zunehmende Individualisierung der Vertragsabschlüsse und Deregulierungstendenzen in Bezug auf den sozialen Schutz und eine angemessene Rentensicherung. Die Begriffswahl des Gesetzgebers liefert zugleich die programmatische Vorgabe dafür, welche Form der Arbeit künftig als „smart“ zu gelten hat.

Auf dem Weg zum Arbeitskraftunternehmer?

In der derzeitigen Fassung bietet der Gesetzentwurf keine große Angriffsflächen. Die Neuerung beruht auf schriftlichen Vereinbarungen, bekräftigt die Gleichstellung der neuen „Smart-Working-Verträge“ mit Vollzeitangestellten mit denselben Aufgaben bei der Entlohnung und ist an den Rahmen der geltenden Arbeitszeitregelungen gebunden. Doch in Zukunft kann diese Weichenstellung noch weiter im Sinne eines mutigen Reformansatzes zur der Steigerung der Eigenverantwortung der Lohnabhängigen ausgebaut werden. Dies befürwortet eine Studie des renommierten Forschungszentrums Adapt als Zielrichtung für eine wirksame Neuausrichtung des Smart-Working-Konzepts. Aufgrund der vorsichtigen Öffnung in diese Richtung betrachten die Fachleute des Forschungszentrums Adapt den vorliegenden Gesetzentwurf jedenfalls als nützliche Marketinginitiative. Es gibt auch kein Zurück mehr, was die Einführung des „lavoro agile“angeht: Der kollektivvertraglichen Ebene billigt der vorliegenden Gesetzentwurf nur die Möglichkeit zu, zusätzliche Vereinbarungen zu treffen, die die Nutzung dieser abgewandelten Form des Arbeitsvertrags fördern. Was noch auffällt ist, dass die gewerkschaftlichen Rechte nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs sind. Für die Qualität der Arbeit so wesentliche Aspekte wie die Handhabung der Sozialabgaben und die Sicherung angemessener Rentenansprüche könnten durchaus zum Gegenstand politischer Händel werden, bei denen sich die Gewerkschaften schwer tun, sich Gehör zu verschaffen.

Deregulierung ist bereits Teil des Politikmarketings

Der Begriff „Smart Working“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Marketingstrategien auch im politischen Geschäft gang und gäbe sind. Auf der Homepage von www.smartbusinessconcepts.de wird damit „eine Weise der Arbeit, die durch Nutzung moderner Technik die eigene Flexibilität und Unabhängigkeit stärkt“ beschrieben, deren Ziel es ist, „die eigene Arbeitsbelastung zu senken und die Freude an der eigenen Arbeit zu steigern“, was in der Regel zu einer „Steigerung der Produktivität“ führe. Angesiedelt ist das Phänomen laut dieser Homepage sowohl in der „Veränderung der Firmenkultur großer Companies“ als auch als „Lebenshaltung“ des Einzelnen als „Entrepeneur“, sei es als Angestellter, sei es als Freelancer. In Italien, wo Wortreichtum sowohl Ausdruck eines individuellen Gestaltungsanspruchs als auch eines unbefangenen Umgangs mit die Rechtskultur prägenden Begriffen ist, hat es das „Smart Working“ in der adaptierten Promotion-Version des „lavoro agile“ gleich geschafft, als Rechtsbegriff in einen Gesetzentwurf aufgenommen zu werden.

Eochale Umstrukturierung ohne gesellschaftlichen Grundkonsens

Die angebahnte Arbeitsmarktreform beruht nicht auf einem konzertativen Prozess. Dabei geht es um Bausteine einer epochalen Umstrukturierung des Arbeitsmarkts. Wie diese unter den Vorzeichen steigender Autonomie und individueller Verantwortung der Arbeitskräfte, der umfassenden Nutzung der IKT-Technologien und des Rückzugs der Unternehmen aus der sozialen Verantwortung hinsichtlich der Lohnpolitik und der sozialen Schutzmechanismen für die nächsten Generationen tragfähig gestaltet werden kann, sollte Gegenstand einer  breiten gesellschaftlichen Debatte sein. Für die Gewerkschaften ist das Neuland. Sie müssen Themen wie Solidarität, Lohngerechtigkeit, sozialen Schutz  und Spielräume individueller Autonomie in diesem Rahmen erst neu verorten. Da ist vieles ganz neu zu verhandeln und gar nicht gesichert, dass Konsensthemen der „alten“ Arbeitsbeziehungen auf die neuen Rahmenbedingungen umgelegt werden können. U. a. sind erst Kriterien zu erarbeiten, worin die Anreize für die Produktivitätssteigerung bestehen und wie diese angemessen vergütet werden können bzw. welche Maßnahmen in der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zum Tragen kommen und wie diese finanziert werden sollten. Marketingmäßig wird mit dem „lavoro agile“ ein Standard dafür gesetzt, was smart ist. Alles was nicht darunter fällt, ist somit nicht smart. In der Einprägung dieser Diskrepanz durch die tagtägliche Verwendung des Begriffs „lavoro agile“ besteht die Langzeitwirkung der Begriffssetzung und somit ihre politische Dimension und ihr Effekt auf die qualitative Dimension der Arbeit. Insofern gibt es jenseits der in der Adapt-Studie geäußerten Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer stark an die Telearbeit orientierten Definition des „Lavoro agile“ aus der Sicht der Verfechter der Marktideologie jedenfalls strategische Deregulierungsperspektiven.

Schutzbestimmungen für selbständig Erwerbstätige „ohne unternehmerische Charakteristiken“

Eingebettet ist die Einführung des „lavoro agile“ in einen Gesetzentwurf, der im ersten Teil wichtige und lange schon eingeforderte Klärungen zugunsten der Kategorie der selbständig Erwerbstätigen „ohne unternehmerische Charakteristiken“ enthält, denen sich die Gewerkschaften nicht verschließen können. Er dehnt zahlreiche Schutzbestimmungen, die zugunsten der Arbeitnehmer/-innen bestehen auf die selbständige Erwerbstätigkeit aus, u. a. betreffend Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall. Von besonderem Interesse sind Erleichterungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt: So ist im Bereich der Arbeitsvermittlung der Aufbau spezifischer Dienstleistungen und eine Unterstützung für den Zugang zu öffentlichen Aufträgen vorgesehen. Für die steuerliche Absetzbarkeit der Ausgaben für Weiterbildung wird eine Obergrenze von 10.000 Euro eingeführt, für Aufwendungen für die Berufsorientierung, die Unterstützung unternehmerischer Selbstorganisation (autoimprenditorialità) und die Zertifizierung von Kompetenzen gilt ein Limit von 5.000 Euro.

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Markus Lobis Sat, 05/06/2017 - 20:13

Interessanter Artikel, Karl! Du machst ein großes Fass auf. Und das ist höchste Zeit.

Ich bin für maximale Deregulierung der Arbeit und dafür, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft auf einem möglichst freien Markt verkaufen können.

Aber nur, wenn parallel dazu ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird.

Sat, 05/06/2017 - 20:13 Permalink