Chronicle | Affäre Kuhn

Unerwartete Zeuginnen

Der Prozess, den Gustav Kuhn gegen den Tiroler Publizisten Markus Wilhelm anstrengt, könnte für den Maestro zum Bumerang werden. Der Zwischenstand.
gustav_kuhn.jpg
Foto: You Tube
Markus Wilhelm lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. 
Auf seinem Blog „dietiwag.org“ gibt es seit langem ein Forum, in dem die User sehr rege und kontrovers zu den verschiedensten Themen diskutieren. Unter anderem auch zur Affäre um Gustav Kuhn und die Festspiele Erl.
Am Mittwoch teilte der Ötztaler Blogger überraschend mit, dass er das Forum „bis auf Weiteres einstellen werde“.
Der Grund für diesen überraschenden Schritt: Vor wenigen Tagen erhielt Wilhelm eine weitere Klage von Hans Peter Haselsteiner zugestellt.
Der österreichische Bauunternehmer mit Wohnsitz in Bozen/Moritzing hat gegen den Betreiber des Forums eine Unterlassungsklage mit einem Streitwert von 100.000 Euro eingebracht.
Wilhelms Kommentar dazu:
 
„Dem vom Steuerzahler mäzensierten Mäzen von Erl gefällt es ganz offenbar nicht, dass man auf dietiwag.org offen über die unterirdischen Zustände bei den Festspielen diskutieren und ihn und seinen Günstling Kuhn kritisieren darf.“
 
Und der Nordtiroler Aufdecker wählt ein wunderbares Wortspiel, das auf die politische Vergangenheit Haselsteiners anspielt: „Herr Haselsteiner mag kein liberales Forum“.
 

Die Affäre

 
Dabei lastet auf Wilhelms Schultern seit Monaten ein mächtiger Druck.
Ausgangspunkt sind seine Enthüllungen zu den Festspielen Erl und dem Verhalten ihres künstlerischen Leiters Gustav Kuhn. Wilhelm hat die anonymisierten Aussagen zahlreicher MusikerInnen und SängerInnen veröffentlicht aber auch Dokumente, in denen „Lohndumping“, „schlechte Arbeitsbedingungen“ und „respektloses Verhalten des Festivalleiters“ dokumentiert werden. Außerdem werfen mehrere Sängerinnen und Mitarbeiterinnen dem ehemaligen künstlerischen Leiter des Bozner Haydn-Orchesters Gustav Kuhn auch offen sexuelle Übergriffe vor. dietiwag.org schrieb deshalb auch ausführlich über die „Besetzungscouch in Erl“.
Die Enthüllungen Wilhelms haben international für Furore gesorgt. Renommierte Medien haben die Geschichte aufgegriffen. Künstlerorganisationen bestätigten die zum Teil unhaltbaren Zustände in Erl. Die Nordtiroler Politik begann nach einer gewissen Schockstarre mit einer Schadenbegrenzungsaktion. Offiziell untersucht man die Vorwürfe.
 
Gustav Kuhn nahm nur einmal öffentlich gegen die Anschuldigungen Stellung. Die Botschaft dabei: „Völliger Irrsinn - Alles erfunden“. Auch Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner, dessen Privatstiftung alleiniger Gesellschafter der Festspiele ist und der mit Kuhn seit Jahrzehnten eng befreundet ist, mauert. Die Vorwürfe von angeblichem Lohn- und Sozialdumping, Lohnwucher oder Scheinselbstständigkeit seien bereits von der Tiroler Gebietskrankenkasse und Finanzpolizei geprüft worden. 
 

Sechs Klagen

 
Das Duo Gustav Kuhn und Hans Peter Haselsteiner reagierte auf die Veröffentlichung umgehend mit rechtlichen Schritten. Insgesamt strengt man sechs Verfahren gegen Markus Wilhelm an. Drei Klagen hat der ehemalige künstlerische Leiter des Bozner Haydn-Orchesters Gustav Kuhn eingebracht, zwei der Kuhn-Mäzen Hans Peter Haselsteiner und eine Klage hat die „Festspiele Erl Betriebsges.m.b.H.“ eingereicht.
Als Anwalt tritt in allen Fällen ein prominenter Ex-FPÖ-Politiker auf. Der Wiener Anwalt Michael Krüger ist der kurzlebigste Minister der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Krüger fungierte lange als Kultur- und Mediensprecher der FPÖ, bevor er am 4. Februar 2000 als Justizminister angelobt wurde. Genau 15 Tage später trat er als Justizminister aber wieder zurück. Offiziell aus gesundheitlichen Gründen. In Wirklichkeit war er zu stark in die Kritik geraten. Unter anderem wegen seiner Absicht sich einen Jaguar als Dienstwagen anzuschaffen.
 
An den eingebrachten Klagen lässt sich bereits jetzt aber eine klare Wende in der Affäre um Erl und Gustav Kuhn erkennen. Denn in allen sechs Verfahren geht es weder um Lohndumping noch um schlechte Arbeitsbedingungen, sondern ausschließlich um die Vorwürfe der „sexuellen Nötigung“.
 

Der Prozess

 
Gustav Kuhn hat in Innsbruck zwei Medienklagen gegen Markus Wilhelm wegen übler Nachrede und Verletzung der Unschuldsvermutung eingereicht. Der Dirigent verlangt dabei 50.000 Euro Schadenersatz wegen der Veröffentlichung auf dietiwag.org und weitere 50.000 Euro, weil Markus Wilhelm einen Hinweis auf die Berichterstattung auf Facebook gepostet hat.
Das Landesgericht Innsbruck hatte bereits im März auf Antrag des Kuhn-Anwaltes Michael Krüger eine einstweilige Verfügung erlassen. Demnach musste Wilhelm gewisse Vorwürfe schwärzen oder aus dem Netz nehmen.
Seit acht Wochen läuft in Innsbruck das Hauptverfahren, in dem die beiden genannten Kuhn-Klagen zusammengelegt wurden. Dabei wird nach zwei Verhandlungstagen eines deutlich: Der Vorwurf, dass Markus Wilhelm die Anschuldigungen erfunden habe und es die belästigten Frauen gar nicht gebe, wurde bereits jetzt augenscheinlich widerlegt. Denn zwei Zeuginnen haben vor Gericht äußerst detailliert und glaubhaft über ihre Erlebnisse mit Gustav Kuhn ausgesagt. Weitere sollen folgen.
Dass es der Vorsitzenden Richterin Martina Kahn dabei wirklich um Aufklärung geht, zeigt allein schon ihre Verhandlungsführung. Der Prozessauftakt ist still und leise am 12. April erfolgt. An diesem ersten Verhandlungstag wurde nicht nur Markus Wilhelm selbst einvernommen, sondern auch eine Frau. Weil die Zeugin um Anonymität ersuchte, teilte die Richterin den Verfahrensbeginn bewusst nicht der Öffentlichkeit mit.
Vor Gericht berichtete die Zeugin Mitte April dann von Übergriffen, die sie als 17jährige durch Gustav Kuhn erfahren hat. Inwieweit diese ausführliche Einvernahme prozessrelevant ist, bleibt aber noch offen.
 

Versuchte Beeinflussung?

 
Am Montag, den 30. April, ging am Innsbrucker Landesgericht der zweite Verhandlungstag über die Bühne. Markus Wilhelm und sein Anwalt hatten insgesamt vier Zeuginnen benannt. Doch zwei der geladenen Zeuginnen konnten an der Verhandlung am Montag nicht teilnehmen. Richterin Martina Kahn erklärte in der öffentlichen Verhandlung: „Eine Zeugin wird nicht aussagen, weil sie sich dazu nicht in der Lage sieht“. Die zweite Zeugin könne erst Ende Juni nach Innsbruck anreisen, weshalb die Richterin erklärte, man werde eine Videokonferenz organisieren.
Einvernommen wurde am Montag aber eine bekannte österreichische Opernsängerin. Weil die Künstlerin Anonymität wünscht und das im österreichischen Rechtssystem möglich ist, wurde die Öffentlichkeit am Montag von der Verhandlung ausgeschlossen.
Nach Informationen von salto.bz soll die Frau in einer langen und sehr emotionalen Einvernahme äußerst detailliert ihre Erlebnisse mit Gustav Kuhn nachgezeichnet haben. Richterin Kahn soll bei der Einvernahme zwar äußerst bedächtig vorgegangen sein, im entscheidenden Moment aber auch hartnäckig nachgefragt haben.
 
Während der Einvernahme kam es zudem zu einem Zwischenfall. Denn die Zeugin berichtete von mehrfachen Anrufen eines engen Kuhn-Freundes im Vorfeld der Verhandlung. Der Mann versuchte die Künstlerin zu bewegen von ihrer Aussage im Verfahren abzusehen. Zudem versuchte er einen direkten telefonischen Kontakt zwischen der Zeugin und Kuhn herzustellen.
Damit aber steht die Frage einer möglichen Zeugenbeeinflussung im Raum. Weil die Opernsängerin - wie sie vor Gericht angab - diese Telefongespräche aufgezeichnet hat, beantragte die Richterin, dass die Bänder und Abschriften in die Prozessakten aufgenommen werden. Kuhn-Anwalt Michael Krüger widersetzte sich diesem Antrag nicht.
 

Abwesender Maestro

 
Wie bereits am ersten Verhandlungstag war Gustav Kuhn zwar geladen, aber entschuldigt abwesend. „Aufgrund einer Terminkollision“ konnte der Maestro - laut seinem Anwalt - nicht erscheinen. Michael Krüger versicherte aber, dass Gustav Kuhn beim nächsten Verhandlungstag anwesend sein wird. Dann soll der Dirigent und Festspielleiter auch einvernommen werden.
 
Richterin Martina Kahn hat den dritten Verhandlungstag für den 22. Mai angesetzt. An diesem Tag soll per Videokonferenz die dritte Zeugin der Verteidigung angehört werden. Es handelt sich um eine weltbekannte deutsche Mezzosopranistin, eine Wagner-Spezialistin, die in zahlreichen Opernhäusern überall auf der Welt auftritt und auch selbst Opernchorgesang unterrichtet.
Danach sollen auch jene sieben Zeugen angehört werden, die von Kuhns Verteidiger Michael Krüger für den Prozess geladen wurden. Es handelt sich um Andreas Leisner, den stellvertretenden Leiter des Festspiele Erl, Christin Krin, Kuhns Lebensgefährtin und die Leiterin der „Accademia di Montegral“ in Ponte a Moriano bei Lucca, der Kuhn-Dependance in der Toskana, die Berliner Kostümbildnerin Lenka Radecky, den beiden deutschen Sängern Oskar Hillebrandt und Michael Kupfer sowie der römischen Opernsängerin Michela Sburlati und den Londoner Künstleragenten Jasper Parrot.
Sie sollen vor Gericht das Gegengewicht zu den Aussagen der Künstlerinnen sein. Die Zeugen - so steht es im Antrag - sollen den Beweis erbringen, „dass die Besetzung von Künstlerinnen und Künstlern der Tiroler Festspiele Erl ausschließlich nach qualitativen Kriterien durch ein mehrköpfiges Gremium erfolgt, sodass es ausgeschlossen ist, dass der Antragsteller im Alleingang Auswahlentscheidungen aus sachfremden Motiven treffen kann.“
Gustav Kuhn will im Verfahren damit beweisen, dass es in Erl oder anderswo weder eine Besetzungscouch gegeben habe. Und damit auch keine sexuellen Übergriffe.

Die Bloggerszene ist in Nordtirol nun wirklich nicht üppig. Umso bemerkenswerter, dass sich Wilhelm tapfer mit den ganz Großen anlegt. Im Vertrauen, dass in Innsbruck Recht gesprochen wird, sind die Folgen einer Niederlage Wilhelms für die mediale Vielfalt nicht abzusehen. Mit 100.000-Euro-Klagen macht man wohl jeden Blogger mundtot. Die Vorstellung, dass die diversen Platzhirsche auf den Stockzähnen applaudieren, wenn das mediale Korrektiv dietiwag von der Bildfläche verschwinden sollte, ist unerträglich. Deshalb, ohne den konkreten Sachverhalt beurteilen zu können/wollen: Es werden auch südlich des Brenners die Daumen gehalten.

Thu, 05/03/2018 - 08:12 Permalink