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Morgensternslam – Finale 2018

Südtirols größter Dichterwettstreit hat eine neue Landesmeisterin. Ania Viero hat die diesjährige Ausgabe des Morgensternslams gewonnen. Doch was beschäftigt die Szene?
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Foto: Foto: Salto.bz

Ein Gastbeitrag von Christoph Waldboth:

Am 01. Juni 2018 war es wieder soweit. Nach mehreren Vorrunden in Bozen, Meran und Bruneck standen acht Finalisten in der Endrunde des Morgensternslams. Zu lauschigen Temperaturen fanden sich Poetry Slam-Fetischisten, und solche, die es noch werden wollen, im Schloss Maretsch ein, um den Dichtern beim Rezitieren ihrer eigenen lyrischen und poetischen Kreationen zuzuhören.

Poesie ist jung wie nie...

Noch bevor Slam-Veteranin Lene Morgenstern die Veranstaltung mit ihrer locker-humorvollen Art eröffnete, spielten das musikalische Duo Perrin und Barbarossa treibende, gar peitschende Rhythmen, die das Blut der Zuschauer zum Kochen brachten. Diese jugendliche Energie, die sich später auch in den Texten niederschlagen sollte, unterstrich Lene Morgenstern mit ihrem einleitenden Satz. „Poesie ist jung wie nie...“ hieß es da. Und tatsächlich waren die jüngsten Teilnehmer erst 16 Jahre alt. Das zeigt abermals, dass gerade die Slamszene nicht die Kunstform einer elitären, und etablierten Dichterzunft ist, sondern geerdet und empfänglich für jugendlichen Geist.
Präsentiert wurden bis dahin unveröffentlichte Texte, wobei nur fünf Poeten in die letzte von zwei Finalrunden kamen. Der Poetry Slam folgt einer Reihe an Regeln, die Lene Morgenstern dem Publikum näherbrachte. So darf ein Text nicht länger als sechs Minuten sein, Singen auf der Bühne ist nicht erlaubt. Über die Notenvergabe entschieden wie immer Freiwillige aus dem Publikum, die ihr Urteil auf kleinen Täfelchen und mit Zahlen zwischen 0 und 10 nach dem Vortragen jedes Textes verkündeten.

Nach allerlei Vorgeplänkel ging es dann auch endlich los. Der Zufall entschied über die Reihenfolge der Teilnehmer. Den Beginn machte Ania Viero, die sich in einer Mischung aus Deutsch und Italienisch über die Zweisprachigkeitsprüfung und deren Rattenschwanz an Problemen lustig machte. Ihr Protagonist, ein Individuum mit dem klangvollen Namen Mario Rossi wurde Projektionsfläche und Bindeglied zweier Sprachen, und es sollte nicht sein letzter Auftritt an diesem Abend bleiben. Es folgte der Poet mit dem Künstlernamen Steini, der über das Anderssein philosophierte, ein Thema, welches immer wieder in den Texten auftauchte, und anhand von der Individualität propagiert wurde. Mit der Startnummer drei erzählte Eeva Aichner von ihrer Heimatstadt Bruneck, deren Doppelleben bei Nacht und davon, dass sie selbst (noch) ein Teil dieses Ortes ist. Eine berührende Liebeserklärung. Eva Prunner stellte schließlich die Frage, ob es denn poetischer sei, zu leiden, oder zu lieben, und trug dazu passend ein T-Shirt mit der Aufschrift „Romeo & Juliet“. Philosophierend sitzt ihr alter Ego am Klavier und sinniert über die großen Themen des Lebens, stets im Spielraum der 88 Tasten. Die Liebe schien auch die nächste Poetin zu beschäftigen. Lara Marmsoler hielt eine flammende Rede gegen die inszenierte Liebe, den Kitsch und die aus ihrer Sicht verachtenswerte Rolle der Sozialen Medien in einem Schatz-Mausi-Bussibär-Schlaraffenland. Klara Enemoser schrieb in ihrem Text vom Spiegelbild, welches man selbst nicht sehen möchte. Es ging um Selbstakzeptanz, und darum, jemand anderer sein zu wollen. Man erkennt, die Suche nach dem eigenen Ich scheint ein wichtiges Thema im Alltag der Jugendlichen zu sein. Nach einigen ruhigen, nachdenklichen Texten holte Felix Maier den Holzhammer hervor und beschrieb in einem einzigen, langen Goethe-Zitat einen turbulenten Drogenrausch, der mit seiner Willkür und seinem Irrsinn das Publikum auf einen Trip schickte und mit frenetischem Applaus belohnt wurde. Möglicherweise sind die Südtiroler doch liberaler, als sie sich geben. Die letzte Kandidatin in einer abwechslungsreichen ersten Runde war Ursula Niederegger. Wie die großen Philosophen im Alltag Platz finden, und ob die Theorien eines Kant, Epikur oder Demokrit bei einem Date weiterhelfen, wurde hier poetisch ausgeführt.

Jeder Schmerz hat einen Sinn

Die zweite Runde startete abermals mit einem Knall. Felix Meier schilderte die Leiden seines Smartphones, und wie sie sich auf sein eigenes Leben auswirken. Eine Momentaufnahme der Sorgen und Nöte der Generation Millennial. Großen Mut bewies Klara Ennemoser mit ihrem zweiten Beitrag zum Abend. Auch hier war wieder Aufruf zur Individualität zu spüren, doch bekannte sie sich deutlich zu Gott und ihrem Vertrauen zu ihm. „Jeder Schmerz hat einen Sinn“, nur ein Satz aus einem berührenden, hervorragend geschriebenen Text.
Ania Viero brachte zur Überraschung des Publikums ihren Charakter Mario Rossi noch einmal zurück, und ließ ihn Teilnehmer einer Südtirol-Ausgabe der Millionenshow werden. Mit einem guten Gespür für Zeitgeschehen und komödiantisches Timing sorgte sie für viele Lacher. Am Ende hallte ein nachdenklicher Aufruf nach dem Motto „Was ist Südtirol?“ samt fliegender Papierblätter durch den Saal.
Abermals mit einem skurrilen Humor bewaffnet betrat Ursula Niederegger die Bühne. „Tarzan“ war der Protagonist ihrer kleinen Geschichte, in der ein Hund seine Besitzer in den Wahnsinn treibt.
Als letzte Finalistin stellte Eeva Aichner die Sinnhaftigkeit der Mathematik in Frage. Als Schülerin und Maturantin ist das Zahlenchaos ihre Nemesis und zerstört das ansonsten schöne und gute Leben.

Ania Viero war und ist eine verdiente Siegerin

Wie Lene Morgenstern am Ende des Abends anmerkte, waren die Texte durchweg stark. Am Ende gewann mit deutlichem Vorsprung Ania Viero, die mit einer Mischung aus Humor, Zweisprachigkeit und tiefsinnigen Botschaften die Gunst des Publikums für sich gewinnen konnte. Sie wird Südtirol beim Ö-Slam vertreten. Platz 2 belegte Felix Meier, Platz 3 Ursula Niederegger. Der Morgensternslam 2018 war ein Zeichen dafür, dass die Dichterszene hierzulande lebendig ist wie nie zuvor. Ob die beste Poetin gewonnen hat, wird sicher Streitfrage bleiben, doch sind die Texte der Teilnehmer viel zu divers, als dann man sie ernsthaft vergleichen könnte. So viel sei gesagt, Ania Viero war und ist eine verdiente Siegerin, ein Umstand, der beim vom Publikum bestimmten Poetry Slam nicht selbstverständlich ist.