Environment | Heilmittel

Wacholderschnaps und Brennnessel-Suppe

Welche Heilfplanzen gibt es in Südtirol und wie wichtig sind sie für Mensch und Umwelt? Unibz-Professor Stefan Zerbe über seine Studie zu Nutzpflanzen im Alpenraum.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Bergwiese
Foto: Hans - Pixabay

Egal ob Husten, Kopfweh oder andere Beschwerden: Es gibt immer irgendein Kraut oder irgendeine Pflanze, die helfen soll. Arnika, Wermuth oder Meisterwurz, die Großeltern vertrauen ihnen blind und auch der ein oder andere Arzt verweist auf sie. Vor allem früher war traditionelle Pflanzenheilkunde noch ein wichtiger Teil der Medizin, das damalige Alltagswissen ist jedoch heute nur noch eine Nische, manche Pflanzen wurden sogar zur Gänze vergessen. Um dieses Loch zu füllen und auf den Wert unserer „Allheilpflanzen“ aufmerksam zu machen, präsentierte Stefan Zerbe mit seinen Kollegen die Studie „Traditionelle Heilpflanzen als kulturelle Schlüsselarten für Naturschutz und Ökosystemrenaturierung - Ergebnisse einer Studie in den Südtiroler Alpen“. Dabei wurden 276 in Südtirol heimische Pflanzen, denen laut Literatur ein Nutzen für den Menschen nachgesagt wird, dokumentiert. Diese wurden weiter nach ihrem Nutzen und ihrer Häufigkeit analysiert. Die Wirkung von zwei Drittel der Pflanzen konnte verifiziert werden, zehn wurden sogar als kulturelle Schlüsselarten klassifiziert. Was genau so eine Schlüsselart ausmacht und wie Pflanzen unser Gesundheitssystem und unsere Umwelt entlasten können, erklärt der Initiator der Studie Stefan Zerbe, Professor an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften der Freien Universität Bozen und Leiter der Arbeitsgruppe „Interdisziplinäre Landschaftsökologie und Ökosystemrenaturierung, im Gespräch.

Stefan Zerbe
Stefan Zerbe, Professor an der Freien Universität Bozen und Initiator der Studie über Heilpflanzen (Foto: Stefan Zerbe)

Salto.bz: Um was genau dreht sich diese Forschungsarbeit?

Stefan Zerbe: Es ging zunächst darum, welche traditionellen Heilpflanzen in Südtirol überhaupt genutzt wurden und werden. Dann haben wir die Ergebnisse analysiert, insbesondere mit den Fragen, was für eine Bedeutung die Pflanzen für den Menschen haben, gegen welche Krankheiten oder Beschwerden sie helfen und in welchem Habitat sie vornehmlich vorkommen. Unser Ziel war es, kulturelle Schlüsselarten herauszufiltern, um diese dann als Katalysator für den Natur- und Ressourcenschutz zu nutzen. Wir wollten also zum einen dokumentieren, wie die Menschen traditionell natürliche Ressourcen genutzt haben, um dann Perspektiven zu entwickeln, wie dieses Wissen mit innovativen Ansätzen zusammengeführt werden kann. Innovative Methoden also, aber auf Basis des traditionellen Wissens.

Salto.bz: Was macht eine ökologische bzw. eine kulturelle Schlüsselart aus?

Eine ökologische Schlüsselart beeinflusst mit ihren Eigenschaften in erheblichem Maße die Funktionen eines Ökosystems. Ein Beispiel aus dem Pflanzenreich wäre die Fichte, die aufgrund ihrer sauren Nadelstreu und der Beschattung des Waldunterwuchses einen erheblichen Einfluss auf die Bodenvegetation hat. Eine „kulturelle Schlüsselart“ ist aus diesem ökologischen Konzept abgeleitet: Sie hat für den Menschen eine besondere Bedeutung, beispielsweise eine immergrüne Baumart, mit der man „langes oder ewiges Leben“ verbindet oder eine traditionelle Heilpflanze wie die Brennnessel.

Brennnessel
Mit der bloßen Haut möchte man eine Brennnesselpflanze nicht berühren, als Heilpflanze genießt sie jedoch hohes Ansehen (Foto: Michael Schwarzenberger - Pixabay)

Wie ist die Situation in Südtirol diesbezüglich aktuell?

In Südtirol ist noch sehr viel Wissen über traditionelle Heilpflanzen vorhanden, das ist eine gute Basis. Teilweise wird dieses Wissen auch noch angewandt, Leute nutzen traditionelle Heilpflanzen als Tee oder auch als Medizin. Die Kehrseite der Medaille ist, dass in Südtirol viel zu wenig in Bezug auf Arten-, Biotop- und Ressourcenschutz gemacht wird. Da würde ich mir wünschen, dass mehr Initiative gezeigt wird, um gegen Artenschwund und Biodiversitätsverlust anzugehen. Die UN-Dekade der Ökosystemrenaturierung (2021-2030) scheint in Südtirol nicht wirklich wahrgenommen worden zu sein.

Was kann man mit diesem Wissen machen?

Auf der einen Seite gibt es den medizinischen Aspekt: Heilpflanzen sind ja in der Vergangenheit auch verwendet worden, um verschiedenste Beschwerden zu kurieren und das durchaus auch mit Erfolg. Für ca. zwei Drittel der traditionellen Heilpflanzen in Südtirol ist die Wirkung medizinisch bzw. pharmakologisch tatsächlich nachgewiesen. Die traditionelle Heilpflanzkunde hätte das Potenzial, unserem überforderten Gesundheitssystem eine gewisse Entlastung zu bieten. Weiters kann man mit diesen Pflanzen auch den Arten- und Biotopschutz und die Renaturierung von Nutzungssystemen katalysieren und voranbringen. Das bedeutet zum Beispiel, dass man Habitate, in denen solche Pflanzen wachsen, wie z.B. artenreiche Bergwiesen, wiederherstellen kann, so dass ein kontrolliertes Sammeln der Heilpflanzen möglich ist.

Haben Schlüsselarten „Glück“, dem Menschen von Nutzen zu sein, weil dieser sich dadurch um sie kümmert?

Zum Teil ja, solange der Mensch die Pflanzen nachhaltig nutzt. Es ist vielfach nachgewiesen worden,  dass eine traditionelle Landwirtschaft viel für die Förderung der biologischen Vielfalt getan hat. Unsere traditionelle Kulturlandschaft wurde erst durch die Bauern entwickelt. Das kann man auch mit dem Glück verbinden: Wenn ein Ökosystem vom Menschen nachhaltig genutzt wird, dann bleibt es auch dauerhaft in einem guten Zustand. Allerdings müssen dafür Regeln formuliert werden: Eine Pflanze, die eine Bedeutung für den Menschen hat und deshalb genutzt wird, darf in ihrem Bestand nicht gefährdet werden.

Gemeine Schafgarbe
Die Gemeine Schafgarbe ist in der traditionellen Pflanzenheilkunde sehr beliebt, Anwendung findet sie etwa bei Appetitlosigkeit oder Menstruationsbeschwerden (Foto: Eva Bronzini)

Es ist also wichtig, die Pflanze nachhaltig zu pflücken?

Genau! Das ist relativ einfach, wenn man die Blätter und die oberirdische Pflanze nutzt. Schwieriger wird es, wenn man die Wurzel bzw. Rhizome der Pflanze nutzen möchte. Da müssen klare Regeln formuliert werden und falls die Population einer Pflanzenart zurückgeht, muss man auch entsprechende Maßnahmen ergreifen, um diese wieder zu stärken.

Was muss in Zukunft Ihrer Meinung nach in Südtirol gemacht werden?

Die Sensibilisierung der Bevölkerung, also das Informieren aller, ist von zentraler Bedeutung. Da gibt es in Südtirol auch schon einige gute Initiativen wie zum Beispiel die Winterschule im Ultental, in der das Wissen über traditionellen Praktiken bewahrt und verbreitet wird. Wichtig sind auch Regeln bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen, dass man bestimmte Arten einfach nicht pflücken darf. Man erinnere sich etwa an das Edelweiß in den Alpen: Es wurde zahlreich gepflückt und mitgenommen, bis die Art so stark gefährdet war, dass man die Notbremse ziehen musste. Diese hat auch gewirkt, heute kommt das Edelweiß wieder öfters vor.

Also zwei Schienen, Information und gegebenenfalls Maßnahmen?

Beides ist notwendig. Die Leute sollen informiert sein und wissen, wie mit Nutzungssystemen nachhaltig umzugehen ist. Andererseits braucht es auch klare Regeln, bis wohin man gehen darf und was tun, falls die Population einer Pflanzenart zurückgeht. Schlüsselarten haben eben den Vorteil, dem Menschen von Nutzen zu sein. Wenn so eine Art gefährdet ist, ist das nicht nur irgendeine unbekannte Art, die niemand kennt, sondern es sind Pflanzen, die in der Vergangenheit teils eine essenzielle Bedeutung für den Menschen hatten.

Edelweiß
Im Alpenraum berühmt und zum Symbol geworden, jedoch zeitweise stark überpflückt: Das Edelweiß (Foto: Hans - Pixabay)

Schlüsselarten haben also einen großen Nutzen für den Menschen, welchen Nutzen haben sie für die Natur?

Die meisten der von uns identifizierten Schlüsselarten sind Offenlandarten, man findet sie etwa auf Bergwiesen oder an Waldrändern. Das Offenland unterhalb der alpinen Hochgebirgsstufe ist von Menschen gemacht, also „anthropogen“. Ein kleinräumiges Mosaik aus Wäldern und Offenland ist essenziell für die Strukturierung und die Ästhetik unserer Kulturlandschaft, nur mit einer nachhaltigen Nutzung dieser kann man unsere Kulturlandschaft. Nur mit einer nachhaltigen Nutzung und Wiederherstellung beschädigter Landnutzungssysteme kann man unsere Kulturlandschaft und damit auch die Vielfalt der Pflanzenarten erhalten.

Diese Studie über traditionelle Heilpflanzen entstand aus der Initiative heraus, ein Forschungsnetzwerk in Südtirol zur Beziehung von Umwelt und Gesundheit zu etablieren. Ist es dazu schlussendlich gekommen?

Das Projekt entstand unter anderem aus den Impulsen der deutschen Fritz und Hildegard Berg-Stiftung, bei der ich Mitglied im wissenschaftlichen Beirat bin. Das Projekt, ein Forschungsnetzwerk zu gründen und damit die wertvolle Expertise im Land zu bündeln, wurde von der Provinz Südtirol gefördert, ein zukunftsfähiges Netzwerk konnte jedoch leider nicht langfristig umgesetzt werden.

"Wir brauchen interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Bereichen Umwelt und Gesundheit, wenn wir gegen aktuelle Probleme wie die Folgen des Klimawanadels vorgehen wollen" - Stefan Zerbe

Wieso nicht?

Einige Institutionen waren nicht an einer Zusammenarbeit interessiert und zu sehr in regionalem Konkurrenzdenken verhaftet. Es hat sich gezeigt, dass eine Kultur der interdisziplinären Zusammenarbeit und Synergien aus Wissenschaft und Praxis in Südtirol nur sehr rudimentär ausgebildet und derzeit aufgrund der forschungspolitischen Rahmenbedingungen kaum zukunftsweisend voranzubringen ist. Dabei wäre gerade ein fachübergreifender Ansatz in diesem Bereich sehr wichtig!

Wieso wäre so ein Ansatz von großer Bedeutung?

Wenn ich mich als Ökologe mit diesen Themen beschäftige und dann herausfinde, dass gewisse Arten, die eine Bedeutung in der traditionellen Hausmedizin haben, zurückgehen, nützt das allein oft nur wenig für den praktischen Naturschutz. Wir brauchen hier eine Kooperation mit den Gesundheitswissenschaften, mit der Medizin, mit der Praxis aus den Krankenhäusern und den Arztpraxen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist enorm wichtig, um die aktuellen Umweltproblemet zu lösen. Das Wissen, das im Laufe der Jahrhunderte gesammelt wurde, darf nicht unterschätzt werden. Traditionelle Heilpflanzen sind hierbei nur ein Beispiel, welches gewinnbringend für Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz in Südtirol genutzt werden kann, unter Bündelung der im Land vorhandenen Expertise.

Interview: Nathanael Peterlini