Politics | Kommentar

Diplomatische Krise?

Der Fall Carola Rackete sorgt für Verstimmungen zwischen Italien und Deutschland. Aber darum wetteifern, wer der „Bösere“ ist, hilft in diesem Fall keiner Seite.
Sea Watch 3
Foto: sea-watch.org

Der Fall Carola Rackete riskiert eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und Italien in Gang zu setzen. So jedenfalls ist der Eindruck, wenn man sich italienische Medien anschaut. Nachrichtenformate der Mediaset veröffentlichten am Montag ein Video, in dem angeblich deutsche Behörden abgelehnte Asylbewerber mit Gewalt versuchen, zurück nach Italien zu schicken. Augenzeugen in dem Video berichten, sie wären vorher von der Polizei betäubt worden, bevor man sie ins Flugzeug steckte und zurück ins erste Ankunftsland, also Italien, schickte. „Sedati prima di essere rispediti in Italia, ecco come la Germania gestisce i rimpatri dei migranti”, titelten die Schlagzeilen.

Woher das Video kommt, ist unklar. In deutschen Medien hört man nichts davon. Schon seltsam, dass solch ein Video gerade jetzt auftaucht, nachdem die italienische Regierung Kritik aus Deutschland bekommen hatte wegen ihres Umgangs mit Flüchtlingen und der Inhaftierung der Kapitänin des Seenotbootes Seawach 3, Carola Rackete. Zuerst twitterte der deutsche Außenminister Heiko Maas „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“. Kurz darauf folgte ähnliche Kritik vom deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier.

Wo blieb der Satz „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“, als das Dekret für Sicherheit, das eben jene Seenotrettung kriminalisierte, von der italienischen Regierung erlassen wurde?

Italiens Reaktion darauf klingt sehr nach Verleumdung, und Selbstschutz nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Anstatt selbstkritisch zu hinterfragen, ob an einer Politik, die zu solchen Polemiken – auch im eigenen Land – führt, nicht etwas geändert werden sollte, kommt es nun zum gegenseitigen Mit-dem-Finger-aufeinander-Zeigen à la dritte Volksschule. Die Deutschen sollten auf ihren eigenen Umgang mit Flüchtlingen schauen, bevor sie sich in unsere Angelegenheiten einmischen, heißt es auf Social Media. Al Presidente tedesco chiediamo di occuparsi di ciò che accade in Germania e, possibilmente, di invitare i suoi concittadini a evitare di infrangere le leggi italiane”, twitterte Matteo Salvini. Es wirkt, als lege der italienische Innenminister bereits das Fundament für die Propaganda, die wohl nicht lange auf sich warten lassen wird, um in anderen Spannungspunkten mit Deutschland anzuknüpfen: Die Deutschen wollen uns nicht nur vorschreiben, wie wir unser Geld auszugeben haben, sondern uns jetzt auch noch heuchlerisch wegen unserer Flüchtlingspolitik rügen“, könnte ein möglicher Mobilisierungsversuch der italienischen Regierung werden, um auch ihre exzessive Schuldenpolitik zu legitimieren, und stattdessen die Schuld der vermeintlichen Einmischungspolitik Deutschlands und der Europäischen Union zuzuschieben.

Die Spaltung besteht weniger zwischen Deutschland und Italien, als vielmehr zwischen dem liberalen und konservativen Lager – eine Spaltung, die europaweit zu sehen ist.

Dass unter der italienischen Bevölkerung das Argument deutscher Heuchelei zieht, ist allerdings auch auf die mangelnde Sensibilität des Nachbarlandes zurückzuführen. Dass zivilgesellschaftliche Kritik geäußert wird, und sich Menschen des öffentlichen Lebens wie Jan Böhmermann mit Carola Rackete solidarisieren, ist richtig und wichtig. Erst kürzlich startete der deutsche Komiker eine Spendensammlung, um Carola Rackete in einem eventuellen Gerichtsverfahren, das ihr droht, zu unterstützten. Kritik vom deutschen Staatspräsidenten, allerdings, ist etwas anderes. Insbesondere im Hinblick auf das europaweite Unvermögen, Alternativen zum gescheiterten und kontraproduktiven Dublin-III-Abkommen zu finden, das die Ressentiments vieler Italiener der Flüchtlingsproblematik gegenüber erst geschürt hat. Außerdem, wo blieb der Satz „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“, als das Dekret für Sicherheit, das eben jene Seenotrettung kriminalisierte, von der italienischen Regierung erlassen wurde? Erst jetzt, nachdem es sich um einen populären Fall handelt, der emotional von der Gesellschaft aufgenommen wird, werden Stimmen vom Außenminister und Bundespräsidenten laut. Sowohl Maas, als auch Steinmeier gehören der sozialdemokratischen SPD an – einer Partei, die gerade um ihre Existenz kämpft. Der Fall Seawatch 3 kommt den deutschen Genossen somit auch sehr gelegen, um unter der deutschen Bevölkerung ihren Ruf etwas aufzupolieren und neue Wählergunst zu gewinnen.

Anstatt zu hinterfragen, ob an einer Politik, die zu solchen Polemiken – auch im eigenen Land – führt, nicht etwas geändert werden sollte, kommt es nun zum gegenseitigen Mit-dem-Finger-aufeinander-Zeigen à la dritte Volksschule.

Ob Propaganda oder nicht – gegenseitiges Auf-die-Finger-Hauen und darum wetteifern, wer der „Bösere“ ist, hilft in diesem Fall aber keiner der beiden Seiten. Stattdessen sollte man aus diesem Fall lernen und endlich das bereits seit Jahren bestehende Grundproblem angehen: eine fehlende europäische Asylpolitik und Einheit in Europa. Das Ereignis zeigt auch: Die Spaltung besteht weniger zwischen Deutschland und Italien, als vielmehr zwischen dem liberalen und konservativen Lager – eine Spaltung, die europaweit zu sehen ist. Nicht nur deutsche Organisationen, auch italienische Medien, Politiker und Wissenschaftler solidarisierten sich mit Carola Rackete und sprachen sich gegen Salvinis Abschottungspolitik aus. Daher wird klar: Die Flüchtlingsbewegungen müssen „gemanaged“ werden, und zwar auf europäischer Ebene. Denn dieses Problem kann nicht national gelöst werden. Solange die EU sich nicht solidarisiert und endlich strukturelle Lösungen findet, werden sich nicht nur die EU-Staaten untereinander zerstreiten, sondern insbesondere auch die innerstaatlichen Gesellschaften immer mehr spalten. Und damit ist keiner Regierung geholfen.