Culture | Salto Gespräch
„Ich weiß, was für mich Jazz ist“
Foto: Ruth Goller
Salto.bz: Frau Goller, was haben Sonic Youth, Smashing Pumpkins und Pixies gemeinsam?
Ruth Goller: Da bin ich überfragt.
Alle drei sind Beispiele für Bands mit ikonischen Bassistinnen, womit sie zu einem Trend gehören, der in den späten 80ern und frühen 90ern anfing und ein Bild in der Popkultur geschaffen hat. Hat Sie das in irgendeiner Weise beeinflusst, dass in der Alternative Szene der Bass oft weiblich besetzt ist?
Ehrlich gesagt überhaupt nicht, ich habe nie darüber nachgedacht. Die Themen „Frau sein“ oder „Mann sein“, waren für mich nie wichtig, auch als Kind nicht. Meine Eltern haben mich immer in dem unterstützt, was ich gerne machen wollte, da spielte es keine Rolle, ob das zu meinem Geschlecht passen würde. Ich merkte das erst sehr spät, als ich bereits professionell spielte, dass das für andere Menschen ein Thema ist.
Die Themen „Frau sein“ oder „Mann sein“, waren für mich nie wichtig, auch als Kind nicht.
Haben Sie, wenn das für Sie selbst keine Rolle spielt, gemerkt dass Sie für andere vielleicht zu sehr das eine oder zu sehr das andere sind?
Für mich war das eigentlich immer besser, dass mir das egal war. Wenn das jemand mit sich herum schleppt, kann das belastend sein. Da ich immer mehr auf mich selbst geschaut habe als auf die Meinung von anderen, stand da das Professionelle für mich immer im Vordergrund: Bin ich gut genug, oder habe ich gut genug gespielt? Warum ging mit einem Tontechniker etwas schief? Ich habe da immer als Mensch reagiert, mehr denn als Frau.
Als Frau hat man aber, nicht nur in meiner Arbeit, sondern im ganzen Leben, immer wieder mit Sexismus zu tun, deswegen ist es etwas mit dem man lebt und umzugehen lernt. Wenn ich mein Bestes gegeben haben, dann war das immer der beste Weg für mich - und auch um ein Beispiel für andere zu sein.
Wie geht es Ihnen mit der anderen Hälfte, dem Bass? Er kann als Instrument in einer Band recht untergeordnet sein, aber für Struktur sorgen, aber kann auch nach vorne treten, wie etwa bei „Skylla“, ihrem Soloprojekt. Fühlen Sie sich da in beiden Rollen wohl?
Für die Art von Musik, die ich mache, sind beide Rollen wichtig und ich mache beides gern. Ich bin eher eine Bassistin, die über die letzten 20 Jahre ihren eigenen Sound entwickelt hat und werde deswegen auch angefragt, um in gewissen Projekten mitzuspielen. Ich bin jemand, der nicht nur Harmonie und Rhythmus versteht und eine Gruppe zusammenhalten kann, ich bringe auch meine eigene Person mit ein. Ich spiele auch viel als funktionelle Bassistin, da ich Musik studiert habe und lesen kann. Man kann mich sicher auch schnell mal einsetzen, ohne dass man lange proben müsste, weil ich die nötige Erfahrung habe.
Als Mensch bin ich jemand, der gerne im Hintergrund steht und eher introvertiert ist, aber musikalisch kommt oft ein anderes Gesicht zum Vorschein. Mein Soloprojekt ist sehr auf den Bass geschrieben und auch in anderen Bands habe ich meist mehr zu tun als nur die Basslinie zu spielen.
Ich arbeite auch noch viel mit Effekten und Sounds. Meistens, wenn ich an Songs schreibe, dann arbeite ich eher an Melodien als an Basslinien. Die sind oft das letzte, zu dem ich komme. In meiner Kariere hat es sich ergeben, dass ich mich mehr als Musikerin entwickelt habe denn als Bassistin. Es kommt also auf die Situation an, welche Rolle ich dann spiele und es können in einem Konzert auch beide sein.
Es ist auch okay, wenn meine Musik nicht ankommt. Das nehme ich dann mehr als ein Kompliment, weil es mir zeigt, dass ich bereit bin auch etwas musikalisch Riskantes zu machen.
Wie war es dann für Sie mit einem Soloprojekt letztes Jahr nach Südtirol zu kommen, wenn Sie als Mensch gern im Hintergrund stehen? War da eine besondere Nervosität?
Wir haben damals viel mit „Skylla““ gespielt, weil gerade im Vorjahr die Platte erschienen war und hatte bereits einige Konzerte in England und Europa gespielt. Nervös würde ich nicht sagen, aber dass ich mein Projekt mal in die Heimat bringe, das war schon speziell. Ich war froh, dass es sehr gut ankam, obwohl es musikalisch nicht gerade konventionell und vielleicht eher etwas ist, das man nicht alle Tage hört. Man weiß einfach vorher nicht, ob das ankommt.
Es ist auch okay, wenn meine Musik nicht ankommt. Das nehme ich dann mehr als ein Kompliment, weil es mir zeigt, dass ich bereit bin auch etwas musikalisch Riskantes zu machen. Ich will nicht immer das gleiche machen, weil das auch nicht dem entspricht, was Musik für mich ist. Da mache ich lieber etwas, das total „draußen“ ist. Auch wenn es nicht gefallen sollte, dann mache ich so etwas trotzdem lieber, als Lieder zu spielen die jeder schon kennt.
Was gibt Ihnen dann am Ende eines Konzerts das Selbstvertrauen, dass Sie sich selbst sagen können, Sie haben Ihre Sache gut gemacht, wenn Sie das doch auch ein Stück weit vom Publikum entkoppeln?
Das passiert mehr in meinem Kopf. Natürlich ist es immer schön, oder ideal, wenn ein Publikum, das mit dieser Musik sonst eher nicht zu tun hat, etwas in meiner Musik findet, das dann doch gefällt. Das heißt dann aber auch, diese Menschen sind offen genug, sich darauf einzulassen und zu sehen, ob es ihnen gefällt. Ich denke, das ist das eigentliche Problem vieler Leute, dass sie bereits eine Meinung haben über etwas, das erst noch kommt. Geht man so auf ein Konzert oder schaut sich Kunst an, dann kann ein Künstler nichts machen, dann hat er schon verloren. Deswegen finde ich, das kann dann nicht mein Problem sein. Natürlich erwarte ich mir nicht, dass allen das gefällt, was ich mache, das wäre größenwahnsinnig. Aber ich denke, wenn man offen zu Musik und Kunst kommt, dann findet man wahrscheinlich überall etwas, das gefällt. Auch wenn es sehr unkonventionell ist.
Sind Sie selbst nie in der Situation, dass Sie so gar nichts mit einem Konzert anfangen können?
Manchmal gehe ich zu Konzerten und sehe etwas, was ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Dann frage ich mich vielleicht, „hat mir das jetzt gefallen oder nicht?“, aber das führt von meiner Seite zu großer Dankbarkeit… zumindest den Gedanken, dass das für mich etwas Neues ist habe ich dann schon. Ich denke, dazu müssten wir eigentlich alle fähig sein.
Ich wollte damals, nach der Matura, einfach auch etwas weg aus Südtirol, was denke ich vielen Menschen so geht.
Beim diesjährigen Jazzfestival werden Sie, gemeinsam mit dem Amerikaner Dan Kinzelman beide als „Arbeitsmigranten“ angekündigt. Können sie sich damit identifizieren? Mussten Sie aus Südtirol fort?
Ich musste sicher nicht fort, aber für meine Weg als Musikerin war es wichtig in eine große Stadt zu ziehen und andere Arten von Musik zu hören, die ich zuvor so in Südtirol nie gehört hatte. Das Land ist einfach ein kleinerer Ort, wogegen London riesig ist und wahnsinnig viele Musiker hat. Ich ging dann auch an die Uni und es ging dann so dahin. Die Auswahl an verschiedenen Arten von Musik, die man sich jeden Abend in London anhören kann, hat man in Südtirol einfach nicht.
Ich denke, ich wäre auch Musikerin geworden, wenn ich geblieben wäre, aber sicher eine ganz andere Art von Musikerin, was aber für jeden Ort stimmt: Wäre ich nach New York oder Paris gezogen, ich wäre sicherlich jeweils eine andere. Nichts davon wäre schlechter - oder besser. Ich wollte damals, nach der Matura, einfach auch etwas weg aus Südtirol, was denke ich vielen Menschen so geht. Für mich hat sich mein Weg eher zufällig ergeben. Das war nicht geplant, ich habe eben jemand in London gekannt.
Wenn Sie nun meinen, es wäre wo anders weder besser oder schlechter gewesen, möchte ich Sie fragen: Was macht „gute“ oder „schlechte“ Kunst für Sie aus?
Für mich ist gute Kunst ehrliche Kunst, wenn man in ihr eine Ehrlichkeit im Ausdruck des Künstlers erkennt. Ob das dann einer Million Menschen oder nur einer Person gefällt, ist dafür irrelevant. Ehrlichkeit ist für mich die Hauptsache, die Kunst gut und wertvoll macht.
Für mich persönlich versuche ich immer innovativ zu sein und etwas Neues zu schaffen. Etwas zu rekreieren ist für mich oft grenzwertig und eine gewisse Form der Innovation ist für meine persönliche Kunst wichtig. Bei anderen Menschen sehe ich das weniger, aber ich schätze es, wie gesagt, auf einem Konzert zu sein und sagen zu können, selbst wenn es mir nicht gefällt: „So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gehört.“ Davor habe ich Respekt.
Ich mag das auch gar nicht gern, wenn mich nach dem Konzert jemand fragt, was das für eine Art von Musik gewesen sei. Warum ist das überhaupt wichtig, wenn man es gerade gehört hat?
Sie haben auch Ihr Studium angesprochen, haben aber auch eine gewisse Affinität zum Punkrock seit Jugendjahren. Welche Rolle spielt das in Ihrem heutigen Schaffen noch?
Ich denke, deswegen bin ich die Musikerin, die ich bin, weil ich aus einer ganz anderen Art von Musik gekommen und irgendwie in den Jazz gefallen bin. Ich habe für viele Jahre nur Jazz gespielt und mir selbst gesagt, ich dürfte gar nichts anderes spielen, weil ich ja Jazzmusikerin sei. Bis ich dann jemanden kennengelernt habe, der gleich aufgewachsen ist wie ich, also aus der Ecke Punk kam aber Jazz studiert, aber auch beides zusammengeworfen hat. Ich habe angefangen mit ihm zusammenzuspielen und mir wurde klar, dass ich eigentlich keine Entscheidung treffen muss.
Das ist ja alles Musik und solange ich mich ehrlich ausdrücken kann und das vermitteln kann, passt das. Auf jeden Fall denke ich, beides in meiner Musik stark verankert zu haben: die Improvisationen vom Jazz und auch die Energie und gewisse Sounds vom Punkrock.
Ich spiele viel Free Jazz Improvisation und da kommt vieles zusammen, es gibt keine Grenzlinien mehr. Ich mag das auch gar nicht gern, wenn mich nach dem Konzert jemand fragt, was das für eine Art von Musik gewesen sei. Warum ist das überhaupt wichtig, wenn man es gerade gehört hat? Wenn mich jemand darum bittet meine Musik zu beschreiben, dann beschreibe ich den Sound, den Klang der Band und die Besetzung, damit man sich das vorstellen kann. Ich höre alles: Von Punkrock über Techno, Klassik und Jazz. Alles das ist in meiner Musik, weil sie ja aus mir kommt und mit meinem Leben zusammenhängt.
Braucht es Genres vielleicht nur noch für den Algorithmus, im Sinne von „das könnte Ihnen auch gefallen“?
(Lacht) Das kann gut sein. Sonst bräuchte es Genres eigentlich nicht mehr, glaube ich.
Um das Thema abzuschließen, wie geht es Ihnen damit, dass der Begriff Jazz immer dehnbarer wird?
Für meine persönliche Musik brauche ich den Mantel nicht mehr. Ich weiß, was für mich Jazz ist. Man bekommt immer wieder die Frage „Was ist Jazz?“ gestellt, und für mich muss eine gewisse Art der Improvisation hinter der Musik stecken, wie auch eine gewisse Art von Blues, Swing und Feel. So würde ich für mich Jazz grob definieren. Wenn ich jetzt nicht auf ein Konzert gehe, das wirklich geradlinig mit American Standards arbeitet, dann würde ich nie sagen, etwas ist Jazz oder ist es nicht. Die für mich wichtigere Sparte ist „improvisierte Musik“. Das ist auch flexibler, da kann man alle Genres mit aufnehmen. In allem was ich mache, ist irgendwo Improvisation mit drinnen, wogegen wenn Sie „Jazz“ oder „Klassik“ oder „Punk“ sagen, dann sind diese Begriffe nicht in jedem Projekt von mir mit drinnen.
Mit der Formation „Let Spin“ spielen Sie auch bereits seit 10 Jahren. Wie wichtig ist es da, dass einem der Raum für Improvisation bleibt? Könnten Sie sich da vorstellen, ein Konzert ganz nach Setlist zu spielen?
Davon haben wir uns, speziell mit dieser Band, im Laufe der letzten 10 Jahre bemüht wegzubewegen: Wir haben alle zwei Lieder fürs Album geschrieben, Aufnahmen gemacht und eine Setlist erstellt… Da wir viel improvisierte Musik spielen und von einem ähnlichen Hintergrund kommen, wollten wir von dieser Struktur loskommen. Natürlich gibt es auch Unterschiede: Unser Gitarrist, Moss Freed, kennt sich wahnsinnig gut in der klassischen Musik aus, für die ich mich zwar auch interessiere, aber von der ich nicht so viel wüsste wie er; Und unser Schlagzeuger, Finlay Panter, hat klassische Geige studiert, wogegen Chris Williams, unser Saxophonist, mit mir an der Uni Jazz studiert hat.
Improvisation ist bei uns der gemeinsame Nenner, weswegen wir aktiv versucht haben unsere gemeinsame Improvisation zu verbessern. Das wird nicht an speziellen Orten im Set „eingebaut“, wir sehen das Konzert als große Improvisation. Wir haben die Priorität umgekehrt und sagen uns, statt Lieder mit Improvisation zu spielen, machen wir jetzt Improvisation mit Liedern. Die Lieder kommen irgendwann im Set und wir wissen nie genau wann. Unser Konsensus ist, dass alle wissen, jeder kann in jedem Moment „wegstarten“ und alle haben die Wahl mitzugehen, oder auch nicht. Wenn jemand die Melodie eines Liedes spielt, dann muss ich nicht genau die Basslinie dazu spielen, die auf dem Album zu hören ist. Das macht Spaß und besonders seit dem letzen Album haben wir es geübt, eine Dreiviertelstunde Non-Stop zu spielen.
Ich versuche, mich in jeder Situation zu fragen, wie ich das Beste für die Umwelt tun kann.
Zu etwas anderem: Gibt man Ihren Namen in eine Suchmaschine ein, so ist ein häufig wiederholter Halbsatz Sie seien „Bassistin, Sängerin, Komponistin und Umweltschützerin, bzw. ‚Enviromentalist‘“. Welche konkrete Form hat Ihr Einsatz für die Umwelt?
Das heißt einfach, dass ich als Mensch versuche ein umweltfreundliches Leben zu führen und Dinge zu ändern, bei denen ich erkenne dass ich das kann. Ich mache trotzdem immer meine Arbeit, aber versuche, das auf die für die Umwelt beste Weise zu tun. Das fängt mit Recycling und veganem Kochen an und geht weiter damit, dass ich mit dem Zug zu Konzerten reise, auch wenn ich einen Tag länger brauche dadurch. Ich versuche, mich in jeder Situation zu fragen, wie ich das Beste für die Umwelt tun kann.
Auf der langen Liste an Musikern, mit welchen Sie schon zusammengearbeitet haben, findet sich etwa auch Paul McCartney. Abschließend würde ich gern noch wissen, welche Zusammenarbeit für Sie die wichtigste war.
Ich denke, die Zusammenarbeit, die mich am meisten geprägt hat war als junge Musikerin, mit etwa 23 an der Uni. Ich begann damals, wie gesagt, mit einem englischen Schlagzeuger, Sebastian Rochford zu spielen.
Das war für mich ein Umschaltmoment in dem ich gemerkt habe, dass ich nicht das Label erfüllen muss, das ich mir selbst verpasst habe. So etwas kann sich auch ändern in ein, zwei Jahren. Sebastian ist neun Jahre älter als ich und hatte bereits viel professionell gespielt. Das war damals für mich alles sehr neu, zu sehen, wie er die Dinge angeht. Hätte ich ihn nicht getroffen wäre ich nie die Musikerin geworden, die ich jetzt bin.
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