Von Rayan und Reimen
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Zugegeben, Helene Bachmann ist als Lyrikerin deutlich weniger bekannt als ihre literaturheilige Namensvetterin Ingeborg Bachmann, aber vielleicht gerade deshalb ist es schön zu sehen, wie schnell Poesie und Literatur im Ost West Club zu Gast sein dürfen, und zwar zweisprachig. Noch bevor Helene Bachmann (Künstlername „helenida“) auf die Bühne kommt, wagt Claudio Calabrese die Flucht nach vorne. Der Lehrer und Künstler stellte bei der Literaturnacht sein Romandebüt vor: „Di fuga in fuga“ (Edizioni Praxis Verlag).
Seinen mattomanischen Protagonisten, dem er den klingenden Namen Rayan Biker gibt, lässt Calabrese, gemeinsam mit seiner Mutter Halima, illegal in Italien einreisen. Für den Autor „erleidet“ sein Protagonist die Migration, als er im Alter von vier Jahren nach Italien kommt. Zwischen Mutter und dem mittlerweile 32-jährigen Sohn führt eine neue Beziehung der Frau zu Gennaro aus Neapel zu einer vergrößerten Distanz. Rayan, dessen Gedanken der Autor uns aus einer auktorialen Erzählperspektive näher bringt, wird bemüht begegnet. Für Calabrese handelt es sich um „letteratura impegnata“. Am Ende führt ihn sein Weg dahin, dass sich Rayan für andere Mitbürger stark macht. Zu den Rechten von Migranten klärt Calabrese, der auch nicht auslässt, uns an das Privileg unserer Geburt zu erinnern, uns einleitend auf. Bereits am Anfang zeigt sich Calabrese „bemüht“, der Hauptfigur empathisch zu begegnen und sich auch kritisch gegenüber dem Schulsystem zu äußern. Mit dessen Integrationsbilanz zeigt sich der Lehrer unzufrieden. Wie nahe Claudio Calabrese der Perspektive eines marokkanischen Migranten kommen kann, ergibt sich aus einer Lesung noch nicht. Das Unterfangen ist sicherlich kein leichtes, zumal für einen Debütroman.
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Die lyrischen Zeilen von Helene Bachmann, aus ihrem Gedichtband „du findest mich“ (Bei A. Weger zu finden) wurden dagegen als Vertonungsprojekt mit Gitarristen Simon Rainer umgesetzt. Die in einfachen Paarreimen gestalteten Gedichte achten darauf, ein idyllisches Naturbild mit einer Seelenlandschaft und Innenleben zu verknüpfen. Zu den schillernd hohen Gitarrentönen von Rainer klingt das im Zusammenspiel musikalisch, wenn sich Gitarrist und Lyrikerin allerdings abwechseln, so erinnerte letztere in der Rhythmisierung ihrer Sprache, mit stark betonten Hebungen und Senkungen, etwas an den Vortrag einer Fürbitte. Fehlen darf natürlich auch nicht eine literarische Homage an die „andere“ Bachmann, zu der eine literarische Brücke gebaut wird, mittels einer freien Nachdichtung, ebenso wie zu Marlene Dietrichs Version des Folksongs „Where Have All the Flowers Gone“ (im Original von Pete Seeger).
Anders als in der Kirche (oder beim Poetry Slam) hat das Publikum bis zum Ende der Lesung nichts zu sagen und nur andächtig zu lauschen. Es gilt ein Höchstmaß an Respekt für die Autor:innen, die beim Auftritt nicht gestört werden sollen. Als Möglichkeit zum Gespräch und zur Kontaktaufnahme gibt’s dagegen den an die Lesung anschließenden Gesprächsteil mit LiteraturClub „Erfinderin“ Sonja Steger, die die Diskussion so gestaltet wie den Abend selbst: Offen, niederschwellig und immer offen für einen frischen Luftzug, umso mehr, da man jetzt ins Freie tritt.