Politics | EU-Gelder

Pathologische Mängel

Der Rechnungshof hat vor drei Jahren massive Mängel in der Kontrolle des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) festgestellt und Alarm geschlagen.

Am 27. Oktober 2011 versammeln sich am Bozner Sitz der Kontrollsektion des regionalen Rechnungshofes die Richter Raffaele Dainelli, Josef Hermann Rössler, Michele Cosentino und Alessandro Pallaoro, um einen Bericht mit dem Titel „Untersuchung der Gebarung der EU-Fonds“ zu verabschieden.
Der Bericht wird bereits am nächsten Tag nicht nur den zuständigen Landesämtern, sondern auch den zuständigen nationalen und EU-Behörden zugestellt. Ebenso veranlassen die Richter, dass das Ergebnis ihrer Kontrollarbeit unmittelbar dem Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder sowie dem Landtagspräsidenten, damals Mauro Minniti, zugestellt wird. Auch in deutscher Übersetzung.
Die Abhandlung gelesen haben dürfte aber anscheinend keiner der angeschriebenen Politiker. Oder man will sich nicht mehr daran erinnern. Denn in dem Bericht steht all das, was jetzt seit Wochen durch die Medien geistert. Nur geht es hier nicht um den Europäischen Sozialfonds (ESF), sondern um den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). In dem Bericht werden die Südtiroler Politiker vor jenem Debakel gewarnt, das sich jetzt ähmlich bei den ESF-Fördergelder abzeichnet.
Das Problem: Niemand hat sich um den Zwischenruf des Bozner Rechnungshofs geschert.

Der Bericht

Der Bozner Rechnungshof hat in Zusammenarbeit mit der Kontrollsektion für europäische und internationale Angelegenheiten die Verwaltung des EU-Fonds der Programmperiode 2000-2006 untersucht. Auf insgesamt 54 Seiten wird die Gebarung des EFRE durch das Land Südtirol und die zuständigen Ämter detailliert dargestellt und analysiert.
Bereits auf Seite 5 heißt es:

Hinsichtlich des Funktionierens der auf Landesebene üblichen Verwaltungs- und Kontrollsysteme und insbesondere der Ausübung der Kontrollen vom sog. ersten Grad, die der Verwaltungsbehörde obliegen, wurden grobe Mängel anlässlich der von den EU-Behörden angeordneten Kontrollen festgestellt. Es ist daher die Notwendigkeit zu betonen, für die neue Programmperiode 2007/2013 wesentliche Korrekturmaßnahmen einzuführen. Es ist nämlich zu bedenken, dass eventuelle Richtigstellungen und/oder Sanktionen zu Lasten des Staates zu erfolgen müssen, unbeschadet des Rückgriffrechtes gegenüber den Regionen oder anderen für Verletzungen des Gemeinschaftsrechtes verantwortlichen öffentlichen Körperschaften ...(...)...

Es ist daher die Notwendigkeit zu betonen, für die neue Programmperiode 2007/2013 wesentliche Korrekturmaßnahmen einzuführen.

Die Unregelmäßigkeiten und die Pathologien, die bezüglich der Kontrollen festgestellt wurden, bestätigen die Wichtigkeit – die in Vergangenheit wiederholt auch vom Rechnungshof bekräftigt wurde –, die Instrumente der internen Kontrolle des Landes und der Gemeindeverwaltungen zu verstärken, auch durch Aktivierung der nachträglichen Gebarungskontrolle bei den Landesanstalten, den örtlichen Körperschaften und den anderen öffentlichen Einrichtungen, die auf ordentlichem Weg vom Land finanziert werden, welche der Art. 79, dritter Absatz, des Autonomiestatutes seit dem 1. Januar 2010 der Körperschaft Land als zusätzliche Form der Kontrolle innerhalb der Landesordnung als ganzer zugewiesen hat.

Die Empfehlungen

Am Ende des Berichts befindet sich ein Kapitel mit dem vielsagenden Titel „Schlussfolgerungen und Empfehlungen (insbesondere im Bereich der Kontrollen)“.
Dort wird noch mal unmissverständlich auf eine dringend notwendige und schnelle Änderung der Südtiroler Gepflogenheiten hingewiesen:

Was die Kontrollen angeht, ist zu betonen, was im abschließenden Durchführungsbericht hervorgehoben wurde, beziehungsweise dass, im Lichte der gereiften Erfahrung, beim neuen operativen Programm die Verantwortung für die Kontrollen ersten Grades von den Verantwortlichen der verschiedenen Interventionslinien auf die Verwaltungsbehörde übergegangen ist, mit einer größeren Zentralisierung und Supervision der entsprechenden Aufgabe. Nicht klar sind allerdings die Gründe für das, was nachher mit dem Dekret des Landeshauptmanns vom 14. Februar 2011, Nr. 7, verfügt wurde, das dem Amt für Ausgaben der Abteilung Finanzen der Autonomen Provinz Bozen folgende Zuständigkeit zugeteilt hat: “... Kontrolle ersten Grades der EU-Programme...”.



Angesichts der aufgetauchten Lücken ist die Notwendigkeit zu unterstreichen, bei der Durchführung der Kontrollen ersten Grades, die der Verwaltungsbehörde zugeteilt wurden, größte Aufmerksamkeit walten zu lassen, um eine effiziente und rechtmäßige Verwendung der Gelder sicherzustellen; dabei ist davon auszugehen, dass diese Kontrollen, auch wenn sie von qualifiziertem internen Personal, in Übereinstimmung mit den EU-Verordnungen und den internationalen Prinzipien der Kontrolle durchgeführt werden, nie von dem für die Untersuchung der Projekte selbst zuständigen Personal gemacht werden können, dies um die Unabhängigkeit und Getrenntheit der Aufgaben sicherzustellen.

Die EU hat vom 30. September bis 2. Oktober 2009 bei den Südtiroler EU-Dienstellen eine Überprüfung zum Programm 2000-2006 durchgeführt. Bereits am 14. April 2010 wurden dem Land die Schlussfolgerungen zugestellt. Im Schreiben ist zu lesen, dass “... die Audit Berichte – Systemaudit und Audit über die Operationen – eine Standardisierung bezüglich Präsentation und Vollständigkeit erfordern, um ein angemessenes Erfassen des erheblichen Arbeitsaufwandes der beauftragten Rechnungsprüfer zu gewährleisten...
Da die Landespolitik nicht umgehend auf diese Vorhaltungen reagiert hat, musste das Land am Ende sehr viel Geld an Brüssel zurückgeben. Es sind über 1,6 Millonen Euro. Weil das ganze aber weit stiller abgehandelt wurde, als jetzt die ESF-Affäre fielen diese Fehler öffentlich nicht so auf.

Der ESF

Der Rechnungshof kontrollierte aber auch die Gebahrung des Europäischen Sozialfonds (ESF) im Jahr 2007. In einem im März 2008 von den Richtern ausgestellten Untersuchnungsbericht werden dem ESF durchaus gute Noten ausgestellt. Angeführt werden im Bericht allerdings auch rund ein Dutzend Fälle in denen die Finanzwache und die Staatsanwaltschaft Strafermittlungen wegen Unregelmäßigkeiten eingeleitet hat. Ein Teil dieser Beanstandungen war von Kontrollen aus dem ESF-Amt ausgegangen.
Als die Richter drei Jahre später den EFRE untersuchen und Empfehlungen zur Kontrolltätigkeit abgeben, werden die problematischen Aspekte schriftlich auch der der Verwaltungsbehörde des ESF gemeldet.  Doch die Kontrollestelle bemüht sich nicht einmal darauf zu antworten. 

Hier können sie den gesamten Bericht des Rechnungshofes lesen.

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Willy Pöder Wed, 09/03/2014 - 08:23

"Non saccio!" Südliches *Sprachflair* ist im Heiligen Land Tirol, speziell diesseits von Outlet Brennero, spätestens seit den energiegeladenen Skandalen (Sel, Stein an Stein, Sonderfonds, ESF...) beheimatet und, wie es scheint, breit und tief verwurzelt. "Non saccio" versinnbildlicht ein System, eine Mentalität, eine Verhaltensform. Der hohe Norden und der tiefe Süden gehen aufeinander zu, reichen sich die Hand - zumindest auf wirtschaftspolitischer Ebene. Tirol ist eben lai oans und oanmolig dazu.

Wed, 09/03/2014 - 08:23 Permalink
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Jutta Kußtatscher Wed, 09/03/2014 - 15:15

Christoph Franceschini hat einige Informationen in diesem Artikel präzisiert und upgedatet. Vielen Dank, auch für die Hinweise auf Unstimmigkeiten.

Für die Redaktion
Jutta Kußtatscher

Wed, 09/03/2014 - 15:15 Permalink
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Germana Nitz Thu, 09/04/2014 - 10:23

Kann gut sein, dass kein/e PolitikerIn die Abhandlung gelesen hat. Aber selbst wenn eine/r gelesen hätte, welche Erkenntnisse hätten aus einer Übersetzung wie der folgenden gewonnen werden können?
"Es ist daher die Notwendigkeit zu betonen, für die neue Programmperiode 2007/2013 wesentliche Korrekturmaßnahmen einzuführen.
Es ist nämlich zu bedenken, dass eventuelle Richtigstellungen und/oder Sanktionen zu Lasten des Staates zu erfolgen müssen...." (S.5)

Thu, 09/04/2014 - 10:23 Permalink