Politics | Gastkommentar

Eine vollkommen unnötige Polemik

Beim Thema der Ausübung der eigenen Sprache kann es für eine sprachliche Minderheit keine Zweifel oder Kompromisse geben.
Arzt
Foto: Unsplash

In seltener Einigkeit zeigen sich in diesen Tagen wieder einmal ansonsten schwer verfeindete italienische Parteien wenn es darum geht, den im Rahmen des Vereinfachungsdekrets eingebrachten Abänderungsantrag 19.0.76, mit dem im Interpretationswege die Kenntnis der deutschen Sprache als ausreichende Voraussetzung für die Eintragung in das Berufsverzeichnis der Ärzte klassifiziert wird, als vermeintlichen Anschlag auf das Gesundheitswesen oder die Einheit des italienischen Staates darzustellen. Dabei handelt es sich um einen Antrag, der als solcher eigentlich gar nicht notwendig sein sollte.

Oberflächliche Argumentationsführungen können und dürfen hier nicht unwidersprochen stehen bleiben

In der Region Trentino-Südtirol ist die deutsche Sprache der italienischen Sprache vollständig gleichgestellt (Art. 2 und 99 des Autonomiestatuts).
In der Durchführungsbestimmung D.P.R. Nr. 197/1980, Art. 7 ist mit spezifischem Blick auf das Gesundheitswesen der vollständige medizinische Schutz der Bürgerinnen und Bürger der Autonomen Provinz Bozen in Beachtung ihrer ethnischen und sprachlichen Besonderheiten als Ziel festgelegt und anerkannt.
In der Autonomen Provinz Bozen ist demzufolge die Kenntnis einer der beiden Sprachen für die Eintragung in das Berufsverzeichnis der Ärzte ausreichend.
Ein Privatarzt in freier Tätigkeit oder in weisungsgebundener Tätigkeit in einer privaten Struktur muss keinen Zweisprachigkeitsnachweis vorweisen, sondern es genügt, dass er nachweist, eine der beiden Sprachen zu beherrschen. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann für sich selbst entscheiden, zu welchem Privatarzt oder in welche private Struktur sie/er sich in medizinische Behandlung begibt.   
Davon unbeschadet bleibt die Pflicht zur deutsch-italienischen Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst (Art. 100 des Autonomiestatuts). Selbst im öffentlichen Dienst dürfen aber Ärzte, die Italienisch, aber nicht ausreichend Deutsch sprechen, zwecks Aufrechterhaltung der Dienste vorübergehend für drei Jahre arbeiten (Art. 1, Abs. 1/bis des L.G. Nr. 18/1983). Dieser Grundsatz muss auch umgekehrt gelten dürfen.

Der Beschluss der hiesigen Ärztekammer, der für die Eintragung in die Berufsverzeichnisse der Ärzte in Südtirol Kenntnisse der italienischen Sprache verlangt, beinhaltet eine indirekte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und führt zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten von Ärzten aus anderen Mitgliedstaaten

Diese Auslegung entspricht auch vollinhaltlich dem EU-Recht, insbesondere dem Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit und dem daraus ableitbaren Diskriminierungsverbot. Der Beschluss der hiesigen Ärztekammer, der für die Eintragung in die Berufsverzeichnisse der Ärzte in Südtirol Kenntnisse der italienischen Sprache verlangt, beinhaltet zum einen eine indirekte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, zum anderen führt er zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten von Ärzten aus anderen Mitgliedstaaten, die in Südtirol arbeiten möchten. Und solcher gibt es viele und sie werden angesichts der Ärzteknappheit in unserem Land auch dringend gebraucht!
Zu beachten ist zusätzlich Art. 53 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, laut dem ein Mitgliedstaat bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen sicher stellt, dass die Überprüfung der Sprachkenntnisse auf die Kenntnis einer Amtssprache des Aufnahmemitgliedstaats oder einer Verwaltungssprache des Aufnahmemitgliedstaats, sofern diese Verwaltungssprache auch Amtssprache der Europäischen Union ist, beschränkt ist.
Zumal es in Südtirol mit Italienisch und Deutsch zwei gleichrangige Sprachen gibt und beide auch gleichzeitig Amtssprachen der Europäischen Union sind, darf die Ärztekammer von einem Arzt aus einem anderen EU-Mitgliedstaat nur Kenntnisse einer dieser beiden Sprachen überprüfen, nicht jedoch beider.
Unerheblich ist diesbezüglich, dass die staatliche Regelung in Art. 7 des gv.D Nr. 206/2007 (Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG ins innerstaatliche Recht) bei den „erforderlichen Sprachkenntnissen“ nur von Kenntnissen der italienischen Sprache spricht. Nach dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts haben die Verträge und das von der EU auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Dieser Vorrang trifft auch Verwaltungsbehörden wie die Ärztekammer, die dazu verpflichtet ist, dem EU-Recht entgegenstehendes staatliches Recht nicht anzuwenden, wenn die EU-rechtliche Regelung - so wie Art. 53 der Richtlinie 2005/36/EG - inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist.

Mir sei abschließend der doch ein wenig technische Gastkommentar verziehen. Beim Thema der Ausübung der eigenen Sprache kann es aber für eine sprachliche Minderheit keine Zweifel oder Kompromisse geben. Oberflächliche Argumentationsführungen können und dürfen hier nicht unwidersprochen stehen bleiben. Und dafür werden wir uns, trotz aller Widerstände von vermeintlichen „Freunden“ der Südtiroler Autonomie, auch weiterhin einsetzen.

 

Es ist einfach beschämend, wie manche ungestraft ihre Position so missbrauchen dürfen. Einfach unerträglich. Man sollte das Verbreiten von falschen Meldungen - bes. um gegen Minderheiten und deren Grundrechte Stimmung zu machen - endlich auch mal ahnden.
https://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=60143
Wo bitte steht denn, dass Ärztinnen und Ärzte in Bozen nur noch deutsch sprechen dürfen ...?

Wed, 09/02/2020 - 19:26 Permalink
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Michl T.

Präzendenzfall schaffen, den EUGH anrufen und geltendes EU-Recht durchsetzen.
dann können die Süd-Sarner da unten Kopf stehen oder die Luft anhalten bis sie blau anlaufen :)
und danach machen wir eine tolle Flasche auf und stoßen auf die EU-Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit an

Thu, 09/03/2020 - 09:08 Permalink