Society | Tagebuch aus Alpbach

Drei Amerikaner in Tirol

Christian Munter über ein Treffen mit dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, dem Historiker Timothy Snyder und dem Ökonomen Jeffry Sachs und ihre Haltungen zur Urkaine.
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Foto: Casa

Der Nobelpreisträger Joseph Eugene Stiglitz ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Columbia University. Er war von 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank und hat am diesjährigem Forum die Rolle der Zentralbanken in Zeiten von hoher Inflation besprochen. Aus diesem Vortrag habe ich mitgenommen, dass es sich zur Zeit um einen supply shock handle und es deshalb relative schwierig für eine Zentralbank sei, die Wirtschaftsaktivität zu beeinflussen, da ihre Instrumente vor allem auf der demand side der Volkswirtschaft über den Zinssatz greifen. Er beruhigte auch einige besorgte Teilnehmer damit, dass sich die Verteuerung in den letzten Monaten beruhigt habe.

Des Weiteren war auch Timothy Snyder anwesend, ein US-amerikanischer Historiker und Professor an der Yale University mit Forschungsschwerpunkt Osteuropäische Geschichte und Holocaustforschung. Sein Bezug zu Alpbach hat er über seine Permanent Fellowship am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen. In seinen Ausführungen hat er den Teilnehmern mithilfe von historischen Parallelen mit dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt, warum die Ukraine von strategischer Wichtigkeit ist. Aus seinen Nachforschungen deduziert er, dass es auch für Russland selbst wichtig sei, diesen Angriffskrieg von Putin zu verlieren, um sich als Gesellschaft zu einem Rechtsstaat mit demokratischen Werten zu entwickeln. Seiner Argumentation nach haben sich westliche europäische Länder erst dann zu wertegeleiteten Staaten im Sinne der Menschrechte entwickelt, nachdem sie ihre imperialen Kriege verloren haben. Deutschland sei erst nach dem Scheitern in der Suche nach Lebensraum und Agrarland im Osten - mit zentraler Rolle der Ukraine, wo wir Südtiroler im Zuge der Option auf der Krim ein neues Zuhause hätten finden sollen - entschieden demokratisch geworden, und Frankreich habe nur dann die europäische Zusammenarbeit gesucht, nachdem der imperiale Krieg in Algerien verloren war.

 

Während Snyder den militärischen Sieg der Ukrainer von oberster Wichtigkeit ansieht, vertritt Jeffry Sachs, ein US-amerikanischer Ökonom und Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network, eine gegenteilige Position. In seinen Ausführungen appellierte er das Publikum sich auf humane Werte zu besinnen und nicht in ein Frontendenken zu verfallen. Rhetorisch geschickt verglich er die amerikanische Außenpolitik mit dem Spiel Risiko mit Bezug auf die 85 US militärischen Stützpunkte im Ausland, von denen aus Machtprojektion ausgeübt wird. Zudem skizzierte er verschiedenen US Interventionen - unter anderem in Vietnam und Afghanistan - und erklärte nüchtern, dass diese nicht nur militärische Niederlagen, sondern vor allem humanitäre Tragödien waren. Er sehe in Putins Krieg und in den legitimen Verteidigungsbemühungen der Ukrainern ein trauriges Potenzial für einen weiteren unendlichen Regress von Gewalt, der das Land in Schutt und Asche legen werde. Zudem erklärte er den ukrainischen Teilnehmern, dass sich der durchschnittliche US-amerikanische Staatsbürger nicht wirklich um die Ukrainer sorge, denn die meisten wüssten kaum, wo sich dieses Land geografisch befände und dass diesen sensationssüchtigen Bürger sowieso in ein paar Monaten eine neue Krise von den Medien präsentiert werde.

Diese Haltung werde ich mit nach Hause nehmen, und zudem auch ihre Telefonnummer.

Unter den Teilnehmern war zwischen den beiden Positionen die kriegerische Haltung von Snyder beliebter und Sachs musste einige böse Kommentare einstecken, vor allem seitens ukrainischen und taiwanesischen Teilnehmern. Ohne mich positionieren zu wollen, fand ich es inspirierend wie diese beiden renommierten Akademiker sich fundamental uneins waren, wie beide ihre Position mit Mut vorgetragen haben und wie wir junge Erwachsene direkte und provokante Fragen stellen durften. Dieser freie Diskurs ist die Stärke des Westens und wir sollten die Bereitschaft anderen Meinungen aktive Gehör zu schenken wertschätzen besonders in Zeiten der Polarisierung unserer Gesellschaft. Ich bin diesen drei erfahrenen Herren auch zutiefst dankbar dafür, dass sie sich in diesen pandemischen Zeiten dennoch mit jungen Menschen auseinandersetzen, um uns diesen dialektischen Diskurs vorzuleben. Diese Haltung werde ich mit nach Hause nehmen, und zudem auch ihre Telefonnummer.