Büchernovember
1. Die Erweiterung
Autor: Robert Menasse
Verlag: Suhrkamp
Zwei Brüder, nicht leibliche Brüder, sondern "Blutsbrüder", verbunden durch einen Schwur, den sie im polnischen Untergrundkampf gegen das kommunistische Regime geleistet haben, gehen nach dessen Zusammenbruch getrennte Wege. Der eine, Mateusz, steigt in höchste Ämter auf und wird schließlich polnischer Ministerpräsident. Der andere, Adam, macht nach dem EU-Beitritt Polens in der Europäischen Kommission Karriere, in Brüssel ist er zuständig für die Erweiterungs-Politik. Während die Vorbereitungen für die Westbalkankonferenz im polnischen Poznan auf Hochtouren laufen, bittet Adam Mateusz um Unterstützung, doch der beginnt das Beitrittsgesuch Albaniens zu unterminieren. Aus der einstmals tiefen Verbundenheit wird eine unversöhnliche Feindschaft von europäischer Dimension. Auf einer vom albanischen Ministerpräsidenten organisierten Kreuzschifffahrt auf der SS Skanderbeg, zu der er alle Regierungschefs der Balkanstaaten, die EU-Außenminister und sämtliche Vertreter der Europäischen Union eingeladen hat, treffen die Beiden wieder aufeinander. Was dann passiert, steht längst nicht mehr in ihrer Macht. Der politische Konflikt der beiden Blutsbrüder ist aber nur der Rahmen, innerhalb dessen sich eine Vielzahl von Schicksalen entscheidet, kühne Pläne und große Lebensanstrengungen auf die Probe gestellt werden, bis es zum Showdown kommt, auf dem schwankenden Boden eines albanischen Kreuzfahrtschiffs.
2. Sisi
Autorin: Karen Duve
Verlag: Kiepenheuer
Als Elisabeth (Sisi) durch Heirat zur Kaiserin von Österreich wird, betritt sie eine streng geordnete Welt voll steifer Konventionen und langweiliger Empfänge. Ausbrechen kann sie nur auf ausgedehnten Reisen und bei Aufenthalten auf ihrem ungarischen Schloss Gödöllö. Dort kann sie ungezwungen leben und ihrer größten Leidenschaft nachgehen: wilden Reitjagden. Kein Wassergraben ist der Kaiserin zu breit, kein Hindernis zu gefährlich - Sisi gehört zu den besten und tollkühnsten Reiterinnen ihrer Zeit. Der legendäre Jagd- und Rennreiter Bay Middleton bewundert die Kaiserin nicht nur für ihr reiterliches Können. Bei einem Aufenthalt auf Gödöllö lädt Sisi ihre reit- und fechtkundige Nichte Marie Wallersee zu sich ein. Als Tochter einer Schauspielerin ist Marie eigentlich nicht standesgemäß, aber Sisi sieht in ihr ein freieres zweites Selbst und macht sie zur engen Vertrauten. Die 18-jährige Marie erliegt schnell dem Charme der kaiserlichen Tante und assistiert ihr nur allzu gerne, wenn diese die leidenschaftliche Reiterin und Femme fatale gibt. Doch bald wirkt auch Marie anziehend auf andere, besonders auf die männlichen Adligen. Sisi, daran gewöhnt im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sieht sich nach einem Ehemann für die lästige Konkurrenz um und beginnt ein intrigantes Spiel aus Verführung und Verrat.
3. Lektionen
Autor: Ian McEwan
Verlag: Diogenes
"Nichts ist so, wie man es sich vorstellt."
Roland Baines ist noch ein Kind, als er 1958 im Internat der Person begegnet, die sein Leben aus der Bahn werfen wird: der Klavierlehrerin Miriam Cornell. Roland ist junger Vater, als seine deutsche Frau Alissa ihn und das vier Monate alte Baby verlässt. Es ist das Jahr 1986. Während die Welt sich wegen Tschernobyl sorgt, beginnt Roland, nach Antworten zu suchen, zu seiner Herkunft, seinem rastlosen Leben und all dem, was Alissa von ihm fortgetrieben hat.
4. Intimitäten
Autorin: Katie Kitamura
Verlag: Hanser
Was braucht ein Ort, um zu einem Zuhause zu werden? Die heimatlose Erzählerin verlässt New York, um am Internationalen Gerichtshof als Dolmetscherin zu arbeiten. Als sie Adriaan kennenlernt, scheint Den Haag zur Antwort ihrer Sehnsüchte zu werden. Doch dann verschwindet er zu seiner Noch-Ehefrau und hinterlässt nichts als Fragen. Fragen, die sich zu einem existenziellen Abgrund auftun, als sie für einen angeklagten westafrikanischen Kriegsverbrecher dolmetschen muss und zweifelt: Was ist kalkulierte Lüge, was Wahrheit? Glauben nur noch die Naiven an Gerechtigkeit? Wer kann über wen richten? Katie Kitamuras subtiler Roman ist ein anregendes intellektuelles Vergnügen mit hypnotischer Sogwirkung.
5. Iris und Pupille
Autorin: Anne Marie Pircher
Verlag: edition laurin Innsbruck
Wie entkommt man dem Blick des Vaters oder dem des Lehrers? Maria ist jung und rebellisch, ihre Augen sehen mehr, als sie sehen sollten. Fliegen wie die Vögel um Mutters Trauerweide wollte sie schon als Kind. Nun folgt sie der schönen, dunkelhäutigen Isabelle, die sie während eines Sprachkurses in Marseille kennengelernt hat, nach Kalifornien. Die Neue Welt empfängt sie mit Musik und breiten Freeways. Mit einem Sommer, der selbst im Winter nicht vergeht, und einer Sprache, die alles Vergangene auszulöschen verspricht. Doch neben glatten Fassaden und vermeintlichen Familienidyllen findet Maria auch deren Kehrseiten. Versteckten Rassismus und latente Gewalt. Verletzte Kinderseelen und therapiesüchtige Erwachsene. Ausgerechnet bei einem Exil-Äthiopier, dessen Italien-Trauma durch das Mädchen aus dem Land Mussolinis wieder aufbricht, findet Maria den nötigen Halt. Und schließlich den Weg zurück in die eigene Sprache, der sie sich zaghaft stellt. Anne Marie Pircher legt einen packenden und berührenden Roman vor, der kraftvoll und poetisch die innere und äußere Welt einer jungen Frau in den 1980er Jahren auslotet. Eine Welt, die bei aller Abgründigkeit voller Musik und Leben ist.