Society | Gastbeitrag
Was wir lieben zerstören wir
Foto: Suedtirolfoto.com/Helmuth Rier
Wir leben in einer Welt, in der Wohlstand und Mobilität wachsen. Somit hat der Tourismus eine wachsende Zukunft. Jedoch werden immer mehr negative Wirkungen des Tourismus sichtbar. Niemand will ernsthaft Abhilfe schaffen.
Da viele Länder wirtschaftlich eher stagnieren sind die Triumphmeldungen der Tourismusbranche umso erstaunlicher. Der Tourismus zeigt, dass er ein überraschend stabiler Wirtschaftszweig ist. Er trägt zur wirtschaftlichen Erholung bei, generiert Millionensummen an Einnahmen und schafft Arbeitsplätze.
Zur Zeit wächst der Fremdenverkehr in Südtirol bedeutend schneller als der Rest der Wirtschaft und beweist eine bemerkenswerte Anpassungskraft. Terroranschläge in Paris, Nizza, Brüssel, Istanbul ? Kein Problem, dann eben in’s Südtirol. Syrische – und andere Flüchtlinge auf griechischen Inseln ? Bomben und Kugeln an den Süd- und Osträndern der „Badewanne Mittelmeer“, in Tunesien, Aegypten, Israel ? Dann eben ins beschauliche Südtirol !
Nichts kann hierzulande offenbar den „überrissenen“ Tourismus aufhalten. Was der Nahe- und Mittlere Osten an Reisenden verliert, das gewinnen Destinationen wie Südtirol inklusive Bonus dazu.
Und dieser Trend werde anhalten, prophezeien, die von Gier getriebenen, Südtiroler- Touristikfachleute.
Die Zahl der Touristen soll weiterhin signifikant steigen.
„Der Tourismus zerstört das,was er sucht, indem er es findet“Hans Magnus Enzensberger
Alles in Ordnung ? Nein und nochmals Nein. Die konstante Sorge um die ökologische Zukunft ist nicht zu verneinen. Der Druck des Südtiroler Massentourismus auf die Gesundheit der Bevölkerung ist evident, schon allein in Folge der erhöhten CO2-Emmissionen, verursacht durch hunderttausende Touristenfahrzeuge.
Auch die, ach so schöne, Landschaft leidet. Dörfer werden mehr und mehr zubetoniert und Almwiesen werden heruntergetrampelt. Massentourismus gleicht Massenvernichtungswaffen.
„Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet“, schrieb Enzensberger Ende der fünfziger Jahre. Daran hat sich absolut nichts geändert, im Gegenteil, das Problem hat sich verschärft. Wir bringen systematisch um, was wir lieben und verpacken den Wahnsinn in diskursive Zukunft.
Auf jede Tourismuskritik folgt von touristischen Intelligenzbestien unmittelbar eine Gegenthese, die umso unwiderlegbarer erscheint, als sie auf ökonomischen Argumenten beruht. Dies ist genauso bescheuert, wie wenn Thailands Rotlichtbranche darauf hinweist, dass ihr Umsatz von 27 Milliarden Dollar jährlich 14 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmache und deshalb doch eine wunderbare Sache sei. Woraus wenn möglich gefolgert werden soll, dass der Sex-Tourismus insbesondere der einheimischen Bevölkerung zugute komme.
Der Massentourist als Helfer der einheimischen Bevölkerung ? Stefan Gössling, Professor für Service-Management an der Universität Lund, bestreitet dies vehement. Neue Studien zeigten, dass die vermeintlich positiven wirtschaftlichen Effekte des Tourismus vernachlässigbar oder gar negativ seien.
Zubetonierung (Landnahme) übermässige Beanspruchung von Strom-, Wasser- und anderen Ressourcen sowie Luftverschmutzung erschweren andere Wirtschaftstätigkeiten. Wenn die Klimaziele unter anderem infolge des Tourismus nicht erreicht werden gefährden wir die Zukunft kommender Generationen.
Tourismus gab es schon vor uns – denken wir an die alten Römer in Aegypten –und es wird ihn auch nach uns geben.
Es stellt sich eigentlich nur die Frage: Wer ist Subjekt und wer ist Objekt des Tourismus ? Und da müssen wir zur Kenntnis nehmen dass radikal neue Verhältnisse geschaffen werden. Handelt es sich doch bei der bis 2030 hinzukommenden Tourismusmilliarde vorwiegend um Menschen aus heutigen Schwellenländern wie China und Indien. Das heisst, die Südtiroler-Abendländer werden zunehmend zu den Bereisten zählen. Dies wird die Perspektive verändern.
Die schiere Wucht der Massen
Vor neunzig Jahren landete der Flugpionier, Walter Mittelholzer, auf seinem Afrikaflug in Gebieten, wo heute Masai-Führer ihre touristischen Bus-Ladungen ganz dicht an die Löwen heranführen. Heute ist die Afrika-Romantik „zur Sau“ !
Jetzt wird mit dem Geländewagen in drei Stunden eine Strecke zurückgelegt, für die eine Karawane einst vierzehn Tage benötigte. Die schönen Zeiten der Safari sind endgültig und für immer vorbei.
Ist es gut, dass es so ist und dass hier die Gründe der Menschlichkeit den Sieg über die ästhetischen Erwägungen davongetragen haben ?
Und wenn sich die Touristen in Südtirol sonnen,
wollen sie nicht zu hören bekommen,
wem sie dadurch schaden.
Die erwähnte „Menschlichkeit“ bezieht sich einzig auf mehr Komfort für Touristen, Belange von Einheimischen spielen dabei keine Rolle. Es kommt halt auf die Perspektive an. Warum sollten die Touristenhorden sich darum scheren, dass die Wucht ihrer Masse sowohl Landschaft, Preisgefüge und Infrastruktur schaden ?
Die Franzosen, das meistbesuchte Volk der Welt, machen sich Gedanken: „Comment faire avec les Tourists“ ?
Wer macht sich in Südtirol Gedanken ?
Es gibt folgende These: „Würde der Unmut der Bevölkerung zu gross, könnte die Regierung eingreifen, indem sie Besucherquoten beschliesst. Sie würden es tun, allein schon, um nicht abgewählt zu werden.“ Ich halte diese These für Unsinn, insbesondere in Südtirol.
Mallorca zum Beispiel
Allerdings gibt es Fälle wie Mallorca oder Venedig. Die spanische Mittelmeerinsel wird jährlich mit 10 Millionen Touristen überflutet. Die Bevölkerung leidet. Litt man früher unter den Exzessen des „Ballermann-Tourismus“ geht es heute an die Substanz. Touristische Hotspots sind vollends überlaufen, die Einheimischen werden an den Rand gedrängt, und es fehlt an Wasser (Wie war dies diesen Frühsommer in Südtirol ?).
Das von den Massen bedrängte Venedig wiederum weist inzwischen die höchste Lungenkrebsrate Italiens auf. Nicht nur Autos, sondern auch Kreuzfahrtschiffe verschmutzen die Luft.
Weder auf Mallorca noch in Venedig fehlt es an Protesten und Bürgerinitiativen.
Nur geholfen haben sie bisher nichts. Weil, analog Südtirol, individuelle Gier meist stärker wiegt als kollektive Vernunft.
Anything goes- solange die Profite stimmen.
Die Uno hat 2017 zum „Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“ erklärt. Wie die Entwicklung in Südtirol zeigt, lediglich „eine neue Etikette“.
An die endlosen Sanftheitsversprechen der Touristik-Trottel und der infiltrierten Gemeinderäte, welche jährlich immer noch mehr Touristenbetten bewilligen, glaubt inzwischen niemand mehr.
Wo Hunderttausende auf der Suche nach Sonnen- und Erlebnisaufenthalten auf den besten Deal klicken, werden alle Sanftheitsversprechen zur Utopie.
Einst wurde der radikal-ironische Vorschlag gemacht, man möge doch die DDR einzäunen, umbauen in ein Areal für den Massentourismus. Damit es anderswo wieder etwas leerer werden könnte !
Wie man weiss, ist leider aus der Idee nichts geworden.
Quelle: Michael Stuhrenberg, NZZ
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