Culture | Salto Afternoon
„Neue“ Töne
Foto: Privat
Zu diesem Zwecke waren zwei der drei Instrumente nicht handelsüblich: Georg Vogels „Klaviton“, ein 31-Ton Tasteninstrument, welches er selbst in der Garage zusammengebaut hatte überzeugte durch Wandelbarkeit und zahlreiche verschiedene Klangfärbungen, welche mal an Glockenspiel, mal an Orgel, mal an Keyboard und noch an weitere erinnerte. Auch schlüpfte Vogel in die Bassrolle, in welcher er sich mit E-Gitarristen David Dornig abwechselte, dessen Instrument eine weitere, wenngleich nicht selbstgebaute Spezialanfertigung war, mit acht Saiten und 31 Bünden pro Oktave. Am „normalen“ Schlagzeug saß Valentin Duit, der durch typische - doch nie banale - Jazz-Rhythmen, inklusive Tempowechseln und Polyrhythmik dem Publikum einen Bezugspunkt zu vertrauteren Konzerterlebnissen gab. Hier die ungewohnten Instrumente:
Das „Dsilton“-Konzert begann am Klaviton mit dem Klang einer Jahrmarkt- oder Stadiumorgel, wechselte mit dem Einsatz der anderen Instrumente - anfangs mit gefühlvoll gespieltem Donner am Becken des Schlagezeugs, dann mit der Gitarre in Bassfunktion - zu Glockenspielhaften Tönen. Im Verlauf des Stückes gewann die Gitarre an Prominenz, war, anders als im Einstieg, für den Rest des Abends nicht leicht im Mix vergraben, sondern bewegte sich auf Augenhöhe mit dem Klaviton. Man erlebte von Beginn an Musiker, welche in der Komplexität ihrer Arrangements und Stücke versunken, oder besser: abgetaucht, waren und nur für einen Blick auf einen gemeinsamen Einsatz mit einem Lächeln aufblickten. Der Spaß den man auf der Bühne hatte, übertrug sich auf das Publikum, welches ruhig hätte etwas zahlreicher sein können.
Man hatte keine Bedenken die Anwesenden Zuhörer zu fordern oder gar zu überfordern und stieg in den zweiten Song des Abends stampfend und rhythmisch diversifiziert ein, bevor sich die Musiker aufeinander einstellten und das Gefühl einer gemeinsamen Vorwärtsbewegung evozierten. Der Bass war nun vom Klaviton abgedeckt, Vogel entlockte ihn dem oberen „Aufbau“ des Instruments. Die gewonnene Freiheit nutzte Gitarrist Dorning um mit Effektpedalen verschiedene Klangfärbungen zu demonstrieren, bevor das Klaviton zu einer Solopassage ansetzte. Während im Vordergrund in klassischen Keyboard-Sound das Klaviton virtuos gespielt wurde (wie viele Vergleichsmöglichkeiten gäbe es wohl), hielten sich Drums und Gitarre nur bedingt zurück, spielten in eigener Rhythmik, so dass es zu Überlagerungen im Klang kam, bis man zum gemeinsamen Tempo zurückkehrte.
Gerne griffen die Instrumentalisten die Tätigkeit des jeweils anderen im Laufe des Abends auf: Begleiteten einander ein Stück weit, um dann wieder für Kontrastierung zu sorgen. Das dritte Stück des Abends eröffnete die Gitarre, in gedrosseltem Tempo, man spielte mit langem Atem, Ritardandi und einer allgemeinen Entschleunigung, einen hinkenden Takt. Das Stück charakterisierten in besonderer Weise Wechsel zwischen stark verzerrter E-Gitarre und unverzerrtem Klang, zwischen Picking und Akkorden an Klaviton und Gitarre, die durch Aussparung von Effekten an anderer Stelle besonders rauschhaft erschienen. Auch der Drummer passte sich im Stück ohne eine eindeutige Stimmung, nur mit fixer Marschrichtung nach vorne an durch häufiges Wechseln der Schlägel. Im Outro des Lieds ein Klavitonsolo, welches die beiden Mitmusiker Vogels dieses mal aussaßen und mit verschmitztem Grinsen zusahen, wie Finger spinnenhaft und präzise übers Klaviton glitten.
Kontrastierte man beim Songwechsel zuvor durch eine Entschleunigung, so war es diesmal durch anfängliche Einfachheit der Komposition, welche an die Endsequenz der TV-Serie Spongebob erinnerte. Spielerisch ja, aber auch aufschlussreich um zu sehen, dass Komplexität für die Musiker keine Gegebenheit „a priori“ ist, sondern sich aus dem Spiel heraus, aus dem eigenen Wunsch sich künstlerisch zu äußern heraus entwickelt.
Man wechselte zum ersten Mal des Abends zu einem Stück in welches Duit am Schlagzeug einführte, mit Jazzbesen an den Drums, es war wohl auch der rhythmisch komplexeste und undurchlässigste Part des Abends, welchen eine E-Gitarre mit ordentlich Strom abrundete, welche in ihrem Aufbauschen als Klangteppich bereits in Richtung Post Rock Stimmungen wies.
Für das letzte reguläre Stück des Abends bot sich die unerklärliche Situationskomik eines Gitarristen der präzise an einer Gitarre mit zahllosen Bünden (mehrheitlich durch Picking) agierte, aber sein Plektrum fallen lässt. Allzu menschlich und sympathisch, Ersatz war gleich bei der Hand. Man ging über zu einer fernöstlichen Ästhetik, welche an einen nun wirklich unerhörten Mix aus Tönen die man eher in traditioneller chinesischer Musik vermuten würde und Jazz. Einmal mehr wurde mit komplexer, vielschichtiger Rhythmusarbeit das Publikum gefordert. Mittlerweile schlich sich bei mir ein Zweifel ein, ob die Genre-Zuweisung „Shoegaze“ hier zutreffend sein könnte, nicht wegen exzessiven Gebrauchs von Effekt-Pedalen auf der Bühne (also die Musiker viel zu Boden blickten), sondern weil der Blick auf die Schuhe von Gitarrist Dornig bei der Mustererkennung half.
Am Ende des Abends, als Zugabe von dem mit warmen Applaus gedankten Trio gab es noch eine klassische Volksweise aus dem Egerland, die, nach einem im Vergleich wiedererkennbaren Intro abermals eskalierte. Aus „Heut scheint der Mond so schön“ machte man „Mond so scheh“ (In Lautschrift), als wolle man die eigene Dekonstruktion von Provinzialismus ironisieren. Nachdem man das Publikum ein weiteres Mal mit einem angetäuschten, nur wenig verzögertem Ende austrickste, ein weiterer warmer Schlussapplaus. Im familiären Ambiente des Anreiterkellers blieben die Musiker zum Plauschen aufgelegt und für das Publikum greifbar, ließen sich auch in die hieroglyphischen Notenblätter blicken, die umso erstaunlicher aussahen, da Vogel und Dornig verschiedene Notationssysteme verwendeten.
Die, wie Jazzchef des Hauses Max von Pretz einleitend festhielt, viereinhalbjährige Arbeit am Debütalbum als Trio hatte sich ausgezahlt. Der Release verpasste den Termin in Brixen knapp, von Pretz kündigte ihn für März an. Ob es schon ein Release-Date gäbe? Den 31., meinte Vogel. Natürlich, ein anderer Tag käme nicht in Frage.
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