Politics | Südtirol

Autonomiekonvent und Postdemokratie

Still und heimlich arbeiten SVP und PD an der Reform unserer Autonomie. Über Inhalte weiß man nichts – vielleicht ist das auch vorerst auch "besser" so.
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In den Medien hört man nicht allzu viel und auch jene politischen Kräfte, die eigentlich kein Interesse daran haben sollten, dass man Grundpfeiler unserer Autonomie in Frage stellt, sind überraschend still. Es geht um den "Autonomiekonvent", der derzeit in den stillen Kämmerchen der Südtiroler Gesetzgebung formell ausgehandelt wird. Über die Inhalte weiß man so gut wie gar nichts. Das Risiko ist folglich groß. Die Bevölkerung klammerte und klammert man dabei - wie auch schon in der Vergangenheit - weitgehend aus.

Vollautonomie als Reaktion auf die bundesdeutsche Einigung

Als sich die bundesdeutsche Einigung vollzog und man auch sonst im östlichen Europa das Selbstbestimmungsrecht durchsetzte, ging natürlich ein Ruck durch die Politik in Südtirol. Wieso sollte Südtirol diesem Treiben tatenlos zusehen? Damals hatte sich die Mehrheitspartei – anders als das Volk – allerdings schon mit dem Verbleib bei Italien abgefunden. Die Streitbeilegungserklärung 1992 war eine Verzichtserklärung in Bezug auf weiterreichende Unabhängigkeit. Trotzdem unterließ man es nicht, zumindest ideell weiterreichende Visionen vorzugeben. „Vollautonomie“ war damals das Schlagwort. Was daraus wurde, ist jedem Südtiroler mehr als deutlich bewusst. Nichts.

Besagte „Vollautonomie“ sollte knapp 20 Jahre wieder aus der Vergessenheit erweckt werden. Wie es der Zufall so will, ist die „Lust“ der Südtiroler an der Unabhängigkeit von Italien nämlich in den vergangenen 20 Jahren wider Erwarten und wider Bestrebungen der Politik ganz deutlich angestiegen. Da sind politische und gesellschaftspolitische Bewegungen erstarkt, die sich ganz klar für die Sezession Südtirols aussprechen. Die Mehrheitspartei hatte dabei freilich längst kein Interesse mehr, irgendetwas in Südtirol – die Machtstruktur, die Besitzverhältnisse, die politische Ausrichtung des Landes – in Frage zu stellen. Man reagierte völlig unvorbereitet mit den Schlagworten „dynamische Autonomie“ oder „Vollautonomie“. Und selbst die Jüngeren in der Partei übernahmen ganz unreflektiert die „Vollautonomie“, ohne sich bewusst zu sein, dass das schon 20 Jahre vorher ein Debakel war.  In der Hitze der Debatte äußerten sich sogar SVP-Vertreter annähernd positiv in Bezug auf die Selbstbestimmung (oder versuchten zumindest vergeblich, über den eigenen Parteischatten zu springen) oder erklärten ernsthaft, man wolle sich von Italien freikaufen.

Autonomiekonvent und „solidarische“ Autonomie

Es blieb letztlich freilich nur Schall und Rauch. Wie sollte sich eine Partei, wie die SVP, die längst innenpolitisch, als auch EU-politisch in einem parteipolitischen Zwangskorsett steckt, gegen die Interessen der eigenen Bündnispartner aussprechen, die weder in Italien, noch in Europa ein Interesse daran haben, Grenzfragen neu aufzuwerfen? Das einzige, was übrig blieb, war letztlich das Spiel mit den Begriffen. „Dynamische Autonomie“, „Vollautonomie“ oder neuerdings „Autonomiekonvent“ zum Beispiel, was noch gar nichts darüber aussagt, ob wir am Ende dieses Konvents mehr oder weniger Autonomie haben. Aber der Begriff klingt vielleicht nett. Darin steckt aber auch eine klare Grenze: Bis zur Autonomie und nicht weiter. Indem man – statt forsch und fordernd gegenüber Italien aufzutreten, wie es sich immer breiter werdenden Bevölkerungsschichten wünschen würden – die bestehende Autonomie mit den bestehenden Kompetenzen neu aushandeln will und Prinzipien derselben in Frage stellt. Indem man letztlich so tut, als sei das der einzig gangbare Weg. Und indem man in einem angeblich „grenzenlosen“ Europa nicht über die Grenze am Brenner hinauszudenken vermag.

Gerade der „Erfinder“ dieses ominösen Konvents hatte ja darüber hinaus auch die Idee Südtirol solle sich zu einer „solidarischen Autonomie“ weiterentwickeln und sich gegenüber einem Staat solidarisch zeigen, auch wenn man sich den nie ausgesucht hat – freilich ohne die betroffene Bevölkerung zu fragen. Das bedeutet also „demokratisch“ bei der „Demokratischen Partei“. Beteiligung an der Staatsverschuldung und so. Andererseits geistert da im PD das Konzept einer „territorialen Autonomie“ herum: Wir sollen also nicht mehr „autonom“ sein, weil wir ethnisch vom Staatsvolk abweichen, sondern weil wir bestimmte „territoriale“ Gründe dafür haben. Wir sind vielleicht „schöner“ als die anderen Regionen. So oder anders wird das nicht mehr endende Neiddebatten mit anderen Provinzen, die ähnliche Kompetenzen wollen, herausfordern, die ebenso „schön“ sind. Und letztlich: Wie viele Südtiroler haben wirklich ein Interesse daran, dass man so, wie es der PD will, über zentrale Gegebenheiten unserer Autonomie verhandelt und wie es die SVP in ihrer völligen Orientierungslosigkeit zulässt? Proporz? Muttersprachliches Prinzip? Ansässigkeitsklausel? Ja, wie viele Prozent der Bevölkerung wollen das? Und wie viele wollen das nicht?

Postdemokratie

Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch hatte den Begriff „Postdemokratie“ geprägt, um damit eine Entwicklung zu beschreiben, die heute überall eintritt: Politik wird immer stärker verschachtelt, indem man sie beschränkt, begrenzt, reguliert, korrigiert und delegiert. An die Stelle von übersichtlichen Wahlen mit direkten Entscheidungseinflüssen wird die Politik zunehmend indirekter, indem Gremien neue Gremien einsetzen und besetzen und man das Volk letztlich nicht entscheiden lässt, sondern weitgehend ausklammert. Wahlen haben schlichtweg den Zweck, dieses System zu legitimieren. Das Risiko, dass das Volk nämlich „falsch“ entscheidet ist relativ groß. Das nennt sich dann „partizipativ“, ist aber das Gegenteil einer direkten Demokratie. „Partizipativ“ ist auch der Autonomiekonvent. Da bestimmten einige auserwählte „Experten“ und so genannte „Volksvertreter“ über die Zukunft unserer Autonomie.

Im Falle des Autonomiekonvents werden die Teilnehmer entweder von politischen Vertretungen (Gemeinden, Landtag, Landesregierung), Interessensvertretungen (Wirtschaft, Gewerkschaften) ins Rennen geschickt oder es kommen ausgesuchte Rechtsexperten zum Zug oder Bürger, die sich bewerben und ausgewählt werden. Interessant wird das Ganze, wenn man sich dann auch noch vergegenwärtigt, dass der Ausschuss des Konvents in regelmäßigen Abständen mit den Parlamentariern zusammenkommt und Entscheidungen des Konvents prüft und bewertet. Da können dann also die Südtiroler Parlamentarier in Rom letztlich entscheiden, was konkret in die Wege geleitet wird und was nicht. Zufällig gehören die Parlamentarier wegen eines fragwürdigen Wahlgesetzes mehr oder weniger den gleichen politischen Richtungen an, wie die „Erfinder“ des Konvents. Kurzum: Politische Vertretungen oder Interessensvertretungen, die nicht gewählt wurden, um an unserer Autonomie herum zu pfuschen, sondern aus anderweitigen Gründen, erfinden unsere Autonomie neu. Als ob es den Wählerauftrag gäbe, unsere Autonomie zu verändern.

Man muss sich dann auch die Frage stellen, welche Rolle der einfache Bürger bei diesem Konvent spielt? Richtig, gar keine. Man kann es noch so lange beschönigen und behaupten, „jeder“ Südtiroler könne sich ja theoretisch bewerben. Es glaubt allerdings kein Mensch, dass in dem im Gesetzentwurf vorgesehenen, durch 100 Bürger besetzten „Forum“ wirklich ein authentisches Spiegelbild der Südtiroler Bevölkerung sitzen wird, das alle Bevölkerungsschichten umfasst. Wird so leicht auch nicht möglich sein.

Man könnte dem aber Abhilfe verschaffen, nämlich durch wirkliche Bürgerbeteiligung statt „Partizipation“. Anstatt das Konventergebnis im Landtag zu behandeln, wo schon wieder eine SVP-PD-Mehrheit sitzt, wird das alles in Form einer Volksabstimmung der Südtiroler Bevölkerung unterbreitet mit dem Auswahlkriterium: Zustimmung zum SVP-PD-Beschluss oder weiterreichende Unabhängigkeit von Italien in Form der Selbstbestimmung. Das wäre dann Demokratie. 

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Benno Kusstatscher Tue, 03/03/2015 - 08:59

WOW, Michael, dass ich einen Beitrag von Dir zu so weiten Teilen mittragen kann, ist bemerkenswert. Gut, wenig der vorgetragenen Kritik ist neu, trotzdem ist das Unbehagen berechtigt und die Situation ziemlich gut zusammengefasst. danke dafür. Dass der Konvent ein direktdemokratischer Höhepunkt werden könnte, ... na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wo ich allerdings energisch widerspreche, ist die mitschwingende Suggestion, dass Selbstbestimmungskonzepte ausgereifter und visionärer wären, als die theoretischen Möglichkeiten des Konvents. Die Mehrheitspartei darf jederzeit abgewählt werden, sollte sich eine Mehrheit in der Bevölkerung für die sofortige Durchführung der Selbstbestimmung aussprechen. Tut sie bis dato aber offensichtlich nicht. Die demokratische Voraussetzung einer Abwahl ist aber absolut gegeben, da kann man der SVP kein faules Ei ins Nest legen.

Außerdem sind die mir bis dato bekannten Freistaatkonzepte noch älter, noch verstaubter, noch reaktionärer, noch unmoderner, noch unattraktiver als die Autonomie, mit ihren diversen Prä- und Suffixa. Auch orientiert sich der Konvent nicht nur an nationaler Polarisierung, sondern an möglichen Alternativmodellen wie EVTZ oder EUSALP. Zugegebenermaßen kann man auch die als Worthülsen verunglimpflichen. Beide orientieren sich aber primär an einer europäischen Ordnung, um den Zwängen der nationalen Bilaterismen zu entkommen. Auch wenn sich Europa dieser Tage schwer tut, sich innovativ zu erneuern, ist die EU und deren Regionalisierung meines Erachtens der einzige Hoffnungsschimmer, unserem Land die verdiente Selbstverwirklichung zu ermöglichen.

Autonomiekritik aus der Bewegung, die keine Gelegenheit auslässt, die EU schlecht zu reden und ihr destruktiv gegenüber steht, die sich in keinster Weise konstruktiv an Regionalisierungsmodellen übt, und deren Euregio-Verständnis bei Hofer-Hymnen endet, finde ich persönlich höchst alarmierend.

Trotzdem möchte ich unterstreichen, dass ich Deine Kritik an der intransparenten Umsetzung des Konvents mit Sorge teile.

Tue, 03/03/2015 - 08:59 Permalink